Ausgabe 03/2007
Mai + Juni 2007

Die Geschichte von Hachiko -

Japans treuestem Hund

Foto: http://www.akita.de

Was für die Griechen Argos, der Hund des Odysseus, ist und für die Schotten Greyfriars Bobby, das ist für die Japaner Hachiko, ein Akita Inu, der in den zwanziger bis dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einem Tokioter Vorort in Japan lebte. Alle drei gelten als Sinnbilder der bedingungslosen, unerschütterlichen Treue eines Hundes zu ihrem Herrn. In Japan kennt jedes Kind die Geschichte von Hachiko, denn diese findet sich schon in den Lesebüchern der kleinen Japaner abgedruckt.

Hachiko war ein cremefarbener Akita Inu-Rüde - ein Vertreter jener Rasse, die als Japans Nationalhund gilt und im Jahr 1931 zum geschützten japanischen Nationalgut erklärt wurde. Er wurde im November 1923 in Odate in der Präfektur Akita geboren und siedelte im Alter von zwei Monaten zu Professor Dr. Eizaburo Ueno über, der an der agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität in Tokio lehrte.

Herr und Hund waren unzertrennlich. Jeden Morgen pflegte Hachiko seinen Herrn von dem kleinen Haus aus zum sieben Minuten entfernten Bahnhof Shibuya zu begleiten. Unterwegs grüßte man das wohl bekannte Gespann mit der üblichen Formel "Konichi wa, Herr Professor! Wie geht es Ihrem Hund?" Die Japaner sind bekanntlich sehr höfliche Menschen, und so war die Frage nach dem Hund nur ein Ausdruck formaler Höflichkeit, denn Hachiko lief ja gesund und munter und mit der seiner Rasse eigenen stolzen Würde neben seinem Herrn her, so dass jeder sehen konnte, wie es ihm ging.

Morgen für Morgen brachte der Hund seinen Herrn zur Bahn, wartete, bis der Zug abgefahren war und lief dann alleine zurück nach Hause. Der Rüde wusste genau, wann sein Herr und Meister wieder nach Hause zu kommen pflegte. Pünktlich um drei Uhr erwartete er ihn am Bahnsteig. Verspätete sich Professor Ueno einmal, so wartete sein vierbeiniger Kumpel brav und geduldig am Ausgang des Bahnhofes, notfalls so lange, bis der letzte Nachtzug vorüber gebraust war und Professor Ueno von der Arbeit zurück brachte.

Akita-Wandbild Shibuya Station, Tokio
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http://www.akita.de

Auch am sonnigen Morgen des 21. Mai 1925 eilten Herr und Hund zügigen Schrittes, wie immer, zum Bahnhof und bestieg Professor Ueno, wie immer, den ewig überfüllten Vorortzug, mit welchem, gleich ihm, Tausende von Menschen jeden Morgen ins Herz der Hauptstadt strömten. Keiner von beiden ahnte, dass dies der letzte gemeinsame Gang war und dass sie sich nie wiedersehen würden! Denn an jenem Tag, der mit einem so sonnigen Morgen begonnen hatte, sollte etwas Schreckliches geschehen: Mitten in einer Vorlesung erlitt Professor Ueno einen Gehirnschlag und verstarb. Der getreue Hachiko wartete an jenem Abend vergeblich auf die Rückkehr seines geliebten Herrn. Erst spät nach Mitternacht trottete er einsam und verwirrt nach Hause. Am nächsten Morgen lief er um die übliche Zeit allein zum Bahnhof - und wieder zurück und wieder hin und wartete und wartete ... Irgendwann musste sein Herr ja wieder kommen - mit irgendeinem der Züge -, so, wie er immer, anderthalb Jahre lang, so lange er ihn kannte, wieder gekommen war ... (Als Hachiko seinen Herrn verlor, war er erst 18 Monate alt!).

Wochen und Monate vergingen. Fremde Leute zogen in das Haus ein, in dem Hachiko gelebt hatte und glücklich gewesen war. Das irritierte Hachiko vollends, so dass er nicht mehr dorthin zurück kehrte. Von Verwandten und Freunden seines Herrn, die ihn aufnehmen wollten, lief er immer wieder weg. Er wohnte von nun an im Bereich des Bahnhofs, in den Schuppen und Wartesälen und ernährte sich von Abfällen, die er dort in der Umgebung fand. Aus dem einstmals so gepflegten Hund wurde ein struppiger Geselle, da niemand mehr da war, der ihn regelmäßig kämmte und bürstete. Im Lauf der Zeit erbarmte sich das Bahnhofspersonal des treuen Hundes und versorgte ihn mit Wasser und Futter. Und auch der frühere Gärtner von Professor Ueno, der gleichzeitig Bahnhofsvorsteher von Shibuya war, kümmerte sich um ihn. Dr. Itaguki, ein Tierarzt und guter Freund von Professor Ueno, versorgte den Rüden medizinisch, wenn es nötig war.

Die Tage gingen ins Land und die Jahre - und Hachiko wartete weiterhin unverdrossen auf seinen Herrn - Tag ein, Tag aus. Jeder Mensch auf diesem Vorortbahnhof kannte und respektierte den langsam alt und grau werdenden Gesellen. Er war ganz einfach der Hund, der auf seinen toten Herrn wartete. Allmählich sprach sich Hachiko's unerschütterliche Treue im ganzen Land herum. Er wurde zunehmend bekannt und noch zu seinen Lebzeiten zur Legende. Manche Japaner reisten nach Shibuya - nur, um Hachiko zu sehen, ihn zu füttern und ihm über den Kopf zu streicheln. Einmal hatte ihn, wegen seiner Rasse, ein Hundezüchter eingefangen. Hachiko, der Freiheitsliebende, Unverdrossene, konnte sich jedoch befreien und kehrte - das Fell und ein halbes Ohr zerfetzt - zum Bahnhof zurück, wo er seine Warteposition erneut getreulich aufnahm.

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Die Jahre gingen vorüber. Inzwischen waren, seit Professor Uenos Tod, zehn Jahre vergangen. Hachiko war nicht mehr der Jüngste und in Würde ergraut. Das Leben auf dem Bahnhof bei Wind und Wetter hatten ihm zugesetzt und an seinem Körper gesundheitliche Spuren hinterlassen. Neues Personal wurde eingestellt. Zwar hatte man den Neuen von Hachiko erzählt, aber der treue Hund war für sie noch kein wirklicher Begriff. Das Schicksal ereilte den alten Rüden in einer bitterkalten Nacht vom 6. zum 7. März des Jahres 1935. Die Tür des Wartesaales, durch die er hineinzuschlüpfen pflegte, um die Nacht einigermaßen geschützt zu verbringen, wurde früher als üblich geschlossen. Am nächsten Morgen fand man Hachiko vor der Tür des Wartesaales - an dem Platz, an dem er zehn Jahre lang auf die Rückkehr seines Herrn gewartet hatte - tot, wahrscheinlich erfroren. Der beharrliche, stille Kämpfer mit dem unverdrossenen Glauben an Wiederkehr war, ruhig und würdevoll, wie er gelebt hatte, heimgegangen und seinem Herrn in das Reich ohne Wiederkehr gefolgt. Zu diesem Zeitpunkt war er elf Jahre und vier Monate alt - eigentlich kein recht hohes Alter für einen Akita, aber das Leben auf dem zugigen Bahnhof, bei Wind und Wetter, hatte ihn frühzeitig altern lassen und ihn schließlich dahin gerafft.

Im Jahr 1943 errichtete man genau auf dem Platz, an dem der Hund so getreulich über alle Jahre ausgeharrt hatte, eine kleine Bronzestatute von Hachiko. Leider wurde diese Statute des Künstlers Teru Ando aus Kagoshina im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmt und zu Munition umgeschmolzen. Nachdem durch eine Kindersammlung und eine Sammlung der Eisenbahner-Gesellschaft genügend Geld zusammen gekommen war, errichtete ein Sohn des während des Krieges verstorbenen Künstlers, Takushi Ando, 1948 nach dem Vorbild der Originalstatue ein neues bronzenes Denkmal: einen Akita, der auf einem steinernen Quader sitzt und wartet - HACHIKO, wie ihn zu seiner Lebzeit Tausende von Menschen gesehen und kennen gelernt hatten. Im Jahr 1983 haben Studenten der Universität Tokio eine Büste von Professor Ueno neben der Statue von Hachiko aufgestellt, so dass Herr und Hund nun endlich - nach rund 60 Jahren - wieder vereint sind. Wundervolle Wandmosaiken von Akita Inus an der Außenwand des Bahnhofsgebäude von Shibuya erinnern ebenfalls an den berühmtesten Vierbeiner Shibuyas und Japans und stellen eine weitere Huldigung an Hachiko und seine Rasse dar.

Hachiko Shibuya Station Tokyo 1
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Aber damit noch nicht genug: Auch am Bahnhof Odate, in der Präfektur Akita - rund 15 Kilometer südwestlich von der Stelle entfernt, an der Hachiko im Jahr 1923 das Licht der Welt erblickt hatte - hat man bereits im Juli 1935, kurz nach Hachikos Tod, vom gleichen Künstler wie in Shibuya, eine Gedenkstatue errichten lassen. Auch diese Bronze ereilte das gleiche Schicksal wie diejenige in Shibuya: Sie wurde im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen und, rund vierzig Jahre später, im November 1987 erneut errichtet. Die neue Skulptur stammt von dem Künstler Yoshio Matsuda. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Statuen im Bahnhof zu Shibuya und Odate besteht darin, dass der Hund in Shibuya links ein Hängeohr aufweist, während der in Odate zwei Stehohren hat. Wie auf einem alten Foto von Hachiko zu Lebzeiten zu sehen ist, besaß Hachiko, zumindest als älterer Hund, linksseitig ein Hängeohr. Die stehohrige Variante in Odate zeigt sozusagen den jungen Hachiko und entstand vor allem aus Copyright-Gründen. Zur Ehre des japanischen Nationalhundes war bereits im Mai 1964 eine weitere Skulptur am Odate Bahnhof aufgestellt worden, betitelt "Klein-Hachiko und seine Freunde", die eine Fünfergruppe von Akitas zeigt, darunter drei Junghunde. Der Künstler, der diese Hundegruppe entwarf, stammt aus der Präfektur Akita und heißt Zinchiro Aikawa.

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Eine weitere Gedenkstätte für Hachiko befindet sich auf dem Friedhof Aoyama in Minami-Aoyama, Minato-ku bei Tokio. Dort hat man dem treuen Akita neben dem Grab seines Herrn ein Denkmal errichtet, das "Hachiko's Grab" genannt wird (und wo auch ein Teil seiner Gebeine ruhen). Sein Präparat, das das Originalfell von Hachiko trägt, befindet sich heute im Nationalen Wissenschaftsmuseum in Tokio.

Drei Filme sind im Laufe der Zeit gedreht worden, die die Geschichte von Hachiko zum Thema haben und in sehr anrührenden Szenen und Bildern sein ungewöhnliches Leben darstellen. Der letzte entstand Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Film: Hachiko
(Inhaltsangabe nach Beschreibungen von Frau Angelika Kammerscheid-Lammers)

Der Film beginnt mit dem Beschluß der Familie Ueno, einen Akita zu erwerben. Sie setzen sich mit einem Züchter in Odate in Verbindung und vereinbaren, dass sie aus dem nächsten Wurf einen Rüdenwelpen bekommen. Als Hachi geboren wird, herrscht in Odate noch tiefster Winter, mit viel Schnee und Eiseskälte. Hachi wird per Zug nach Tokio zu Professor Ueno geschickt. Dort angekommen, erlebt er eine herrliche Junghundphase: Hachi treibt ziemlich viel Unsinn wie Blumen ausbuddeln, Sachen verstecken und ähnliches mehr. Für Japan relativ untypisch, wird der Hund viel im Haus gehalten. In einer Szene nimmt der Professor den Welpen sogar mit in die Badewanne. Wenn die beiden spazieren gehen, läuft Hachi immer frei, ohne Leine. Die Geschäftsleute verhalten sich gegenüber Professor Ueno sehr respektvoll und gegenüber Hachi sehr freundlich. Nachdem Professor Ueno gestorben ist und seine Familie den Bezirk in Tokio verlassen hat, neue Leute in das Haus eingezogen sind, bleibt Hachi auf der Straße zurück. Es wird gezeigt, wie er oft verjagt und in Beissereien mit Hunden verwickelt wird und wie er körperlich immer mehr abbaut. Der Film enthält viele ergreifende Szenen: Man leidet mit Hachi, wenn er durch andere Hunde verletzt wird. Man weint um Hachi, wenn er sich, in schlechtem körperlichem Zustand, durch die Straßen schleppt und wenn er, zitternd und frierend, einsam und verlassen, in kalter Nacht eine Ecke zum Schlafen sucht. Die Händler des Shibuya-Bahnhofs nehmen sich seiner an und versorgen ihn. An jedem Nachmittag - zu der Zeit, zu der Professor Ueno üblicher Weise von der Arbeit zurück gekommen war - begibt sich Hachi zum Ausgang und schaut suchend in die Menge. Als Hachi stirbt, gibt es eine herzergreifende Szene, in der auf seine Jugend rückgeblendet wird: So, als liefe seine glückliche Junghundzeit noch einmal vor ihm ab, wird ein Park voller blühender Kirschbäume gezeigt. Professor Ueno und Hachi laufen aufeinander zu. Hachi springt seinem Herrn in die Arme und dieser dreht sich, unter blühenden Kirschbäumen, glücklich strahlend, mit Hachi auf dem Arm. Spätestens hier dürften auch beim hart gesottensten Betrachter die Tränen fließen ...

Hachiko ist heute in Japan und weltweit ein Symbol für die bedingungslose Treue des Haushundes zu seinem Herrn im allgemeinen und die des japanischen Akita Inu im besonderen. Wie sehr - auch bald siebzig Jahre nach Hachiko's Tod - dieser Hund in Japan unvergessen bleibt und zur Legende wurde, zeigen die alljährlichen Gedenkfeiern, die zu seinen Ehren abgehalten werden. Alljährlich findet am 8. April am Shibuya Bahnhof eine Gedenkzeremonie statt, anlässlich der Hunderte von Hundefreunden zusammen kommen, um der Treue und Loyalität Hachikos zu gedenken. Auch in Odate feiert man alljährlich Mitte Oktober ein Fest, bei dem man der Geburt von Hachiko - Japans treuestem Hund - gedenkt.

Valeria Slembrouck

Vielleicht ein neuer Hachi?
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http://www.akita.de