Ausgabe 06/2004
November + Dezember 2004

"Ungarische Hirtenhunde"

Dr. Erna Mohr

Bei der Fülle der angebotenen Literatur über Hunde im Allgemeinen und Hirtenhunden im Besonderen, frage ich mich zuerst: was qualifiziert den Autoren dazu, gerade dieses Buch zu schreiben? Da gibt es Theoretiker und Praktiker, Fachleute und die, die einfach mal wieder ein Buch schreiben müssen. Dabei vermisse ich bei vielen "neuen" Büchern über Hirtenhunde den tiefgreifenden Bezug zur Geschichte und Kultur derselben. Das Buch "Ungarische Hirtenhunde" ist mir positiv aufgefallen, weil ich als Nutzviehhaltung praktizierende Hirtenhundehalterin hier fundierte Kenntnisse, unterlegt mit zahlreichen Daten und Fakten, vermittelt bekomme und keine oberflächliche Schönmalerei des Hirtenhundewesens.

Die Autorin, Frau Dr. Erna Mohr (1894 - 1968) war Wissenschaftlerin und Autorin von mehreren Tierbüchern, darunter 11 Bände über Säugetiere und Fische der Neuen Brehm-Bücherei. Seit Bestehen des "Klubs für Ungarische Hirtenhunde e. V." (damals noch "Komondor-Klub) 1922 verfolgte die Verfasserin die Entwicklung der Zucht dieser Rassen im In- und Ausland zunächst nur beobachtend vom zoologischen Gesichtspunkt aus, dann aber auch tätig als Zuchtwart des Klubs, als Ausstellungsrichterin und als Ehrenmitglied der entsprechenden Klubs mehrerer Länder.


Kuvaszrüde "Bela von der Messestadt Leipzig" KuZ. 3827, gew.
16. XII. 1947, DDR-Sieger 1953; Z. und Bes. Johs. Gottschald, Leipzig
Foto: Die Neue Brehm-Bücherei

Eigentlich ist der Titel des Buches nicht allumfassend genug, denn es werden hier nicht nur die Hirten-, sondern auch die Hüte- (oder Schäfer-) -hunderassen Ungarns vorgestellt: Kuvasz, Komondor, Puli, Pumi und Mudi.

Nehmen wir also dieses Buch in die Hand, haben wir ein handliches DIN A5 großes, 145 Seiten und 135 Schwarz-Weiß-Abbildungen umfassendes Werk, welches die schlichte Aufmachung in s/w und ocker unterlegter Überschrift durch den fachlich sehr hochwertigen Inhalt wieder wettmacht. Da es sich hierbei um ein Fachbuch aus einer Tierbuch-Reihe handelt, kann hier auf schnörkelreiche Aufmachung verzichtet werden.

Der Inhalt ist übersichtlich in Einleitung, Beginn der systematischen Zucht ungarischer Hirtenhunde, die Rassen - auch verwandte und Mischlinge, Haltung und Kapitel über Anatomie und Biologie gegliedert.

Die Einleitung erklärt dem Leser den Unterschied zwischen Hüte- und Hirtenhunden und begründet bei zweitgenannten auch gleich die Ähnlichkeit des Aussehens der vielen Rassen, nämlich: "Gleicher Zweck schafft gleichen Typ."


Komondorhündin "Bajos" MET. 228, KuZ. 283, gew. 14. V. 1934, aus Ungarn
importiert. Bes. Hildegard Böhne, Oybin; Aufn. Dr. Erna Mohr, Oybin IX. 1938
Foto: Die Neue Brehm-Bücherei

Die Erklärung dafür, warum es so viele weiße Hirtenhunderassen - vor allem in Ungarn - gibt wird mit einem Zitat von GESNER abgegeben, die ich hier aufgrund der gar antiquarisch klingenden Ausdrucksweise gern wörtlich wiedergeben möchte:

"...Der vieh- oder schafhundt, C. pastoralis, soll stark, mächtigen leibe, mutig und fräch seyn, ein scheußlich geschrey oder bellen haben , an der farb gantz weiß und harricht gleich den schaafen, damit sollych vych nit ein abschrecken ob ihm habe und er on arbeit von dem wolffe möge erkannt werden, damit in der dunklen Finstere der Hundt anstatt des Wolfes nit möge angegriffen und getötet werden..."

Nun ja, Schafe gibt es in vielen Farben, und selbst weiße sehen im Alltag eher steingrau oder sandfarben aus. Jedenfalls wird Weiß als "Hauptfarbe" des Haarkleides der Hirtenhunde angegeben. Ab Seite 106 wird die weiße Fellfarbe noch einmal ganz detailliert unter die Lupe genommen.


Komondorrüde "Elijen von Akjos" KoZ. 441, gew. 17. II.1949;
Z. Helene Sojka, Berlin; Bes. Walter Hansen, Hamburg-Schnelsen. –
26 Monate alt, noch unfertig im Haar, mit den Schafen auf der Weide.
Aufn. Dr. Erna Mohr, VI. 1951
Foto: Die Neue Brehm-Bücherei

Die zweite Auffälligkeit einiger ungarischer Hirtenhunde, nämlich das zotthaarige, bandartige Haarkleid der Komondore und, als Vertreter der Hütehunde, der Pulis wird mit dem "Panzer eines Ritterpferdes als Schutz gegen Biß und Schlag" verglichen. Dieser Vergleich trifft den Nagel auf den Kopf. Als Ausflug in die Geschichte der unterschiedlichen Rasen finden wir hier Angaben über erste Erwähnungen von TREITSCHKE (1846) als "zottigen" (langhaarigen) ungarischen Hirtenhund = Komondor und dem "struppigen" ungarischen Hirtenhund = Kuvasz. FITZINGER unterschied den Komondor als "seidenhaarigen Wolfshund", den Kuvasz dagegen als "ungarischen Wolfshund". Dieser Wolfskuvasz soll nicht weiß gewesen sein, sondern "in der Farbe und Gestalt dem Wolfe sehr ähnlich".

So war auch in Bezug auf die ungarischen Hirtenhunderassen lange vieles durcheinander gebracht worden. Dieses Kuddelmuddel zu entwirren, hat sich die Autorin zur Aufgabe gemacht. Die Erklärungen dazu sind leicht verständlich und selbst für Laien nachvollziehbar. Schon beim Durchblättern der ersten Seiten sehen wir Bilder der Hirtenhunde aus den dreißiger bis sechziger Jahren. Der Vergleich des Ursprungshundes zum gezüchteten Begleithund war schon damals zu erkennen. Besonders die Halter ungarischer Hirtenhunde können sich selbst ein Bild darüber machen, ob die Entwicklung dieser Hunde bis heute positiv verlaufen ist.

Deutlich wird auch hier die Entwicklung der Hirtentraditionen seit dem 19. Jahrhundert, in dem größtenteils die Hutweiden Ungarns in Ackerland verwandelt wurden. Nachfrage regelt das Angebot - und so ist es den ungarischen Hirtenhunden genauso ergangen wie vielen anderen: sie wurden von der Pußta in die Dörfer gebracht und hüteten als Kettenhunde die Häuser. Der zweite Weltkrieg tat sein übriges und ließ die Population dieser Hunde in ihrem Ursprungsland zusammenschmelzen. Da es in den Dörfern und Städten wenig Verständnis für die neue Zucht der Hirtenhunde gab, ist es als Glück anzusehen, daß sich europaweit viele verantwortungsvolle Züchter um den Erhalt dieser Rassen verdient gemacht haben.


Gorale mit Hirtenhund und Schafen in der Tatra. Während im
tschechoslowakischen Nationalpark in der Tatra die Almewirtschaft
abgeschafft wurde, stiegen nach 1945 die Schafherden im polnischen
Teil stark an. Aufn. St. Burnatowicz. Aus "Geschützte Wildnis",
A. Ziemsen Verlag, Wittenberg Lutherstadt
Foto: Die Neue Brehm-Bücherei

Die Situation der Ungarischen Hirtenhunde in ihrem Heimatland schildert die Autorin in den sechziger Jahren so: "...1968 bat ich einen über die alten ungarischen Haustierrassen arbeitenden Zoologen, Dr. ANTAL FESTETICS, mir für diese Neuauflage meines Hirtenhundbüchleins Photos zu schicken von Kuvasz und Komondor bei der Herde. Er antwortete: 'Leider habe ich keine Bilder Von Kuvasz und Komondor bei der Herde, denn es gibt keine mehr von diesen Hunden in der Pußta, nur noch in Zwingern. Im Test könnte man vielleicht diesen grotesken Umstand erwähnen, daß der deutsche Klub für ungarische Hirtenhunde mehr Interesse und Liebe zu diesen prächtigen Rassen bekundetet, als die ... Ungarn.' ..."

Die an der Zucht dieser Hunde beteiligten Klub-Mitglieder werden namentlich genannt, ihre Erfolge und Rückschläge. Interessant waren für mich die Passagen, in denen über das Bemühen berichtet wird, daß z. B. die Rasse Kuvasz ein reinweißes Äußeres erhielt, denn bis dahin waren Kuvasze auch gelblich, grau, graubraun, schokoladenbraun, weiß mit schwarzen Platten oder schwarz mit weißem Brustfleck und z. T. mit weißen Pfoten. Somit stelle ich mir den früheren Kuvasz so vor, wie heute z. B. den Kaukasischen Owtscharka, der in vielen Farbvarianten vorkommen kann.

Damit sind wir auch schon bei den verwandten Rassen - diese werden ab Seite 63 vorgestellt, namentlich die Weißen. Im Text finden sich Erklärungen über die Verwandtschaft der Hunde nördlich und südlich der Tatra und was es mit den Goralenhunden - Liptaki - auf sich hat. All diese Verwandschaften hier zu schildern, würde den Rahmen dieser Buchbesprechung sprengen, daher nur dieses kurze Zitat:


Schafhirt mit Kuvasz auf der Delibláter Sandsteppe. Die erwachsenen
Hunde tragen am Hals ein Stachelband als Schutz gegen Wolfsbisse.
Aufn. Dr. Antal Festetics, 1966
Foto: Die Neue Brehm-Bücherei

"...Man darf eben bei all diesen Hundeformen nicht vergessen, daß es sich dabei ursprünglich nicht um Rassezuchten im Sinne unserer modernen Zuchtbestrebungen handelt, sondern um reine Gebrauchszuchten, aus denen man erst neuestens gewisse Endformen der Variationsbreite herausgreift und mehr oder weniger willkürlich benennt. Alle diese "Rassen" gehen an Ort und Stelle teilweise noch so ineinander über, daß man wirklich oft nicht sagen kann, wo die eine anfängt und die andere aufhört..."

Schon damals - in den sechziger Jahren - hatte man die Erkenntnis, ".... auf kleinem Raum ohne genügende Bewegungsmöglichkeit und ohne Amt und Aufgabe kümmern sie und sind daher in der Stadtwohnung wenig am Platz..." Heute schreiben wir das Jahr 2004, und noch immer haben diese Worte Gültigkeit. Von Verhaltensproblemen, die über die Hirtenhunde berichtet werden, sind die über die "Ungarn" besonders tiefgreifend. Das liegt aber teilweise daran, daß die Ungarischen Hirtenhunde in ihrer Heimat sehr hart aufgezogen wurden/werden, und wie oben beschrieben, die Auswahl der Zuchttiere bei den Hirten nach Charakter und Gebrauchseigenschaften stattgefunden hat. Dagegen werden heute die Hirtenhunde nur noch nach dem Aussehen bewertet, was leider oft die Weitergabe von sozialen Umgangsformen vernachlässigt und die Probleme mit dieser Rasse außerhalb des Einsatzes als Arbeitshund entstehen läßt.


Komondorrüde "Boytar von den Hohen Ähren" KoZ 425, gew.
22.VII. 1947, 7 Jahre alt in vollendeter Schnürenbehaarung;
Z. Marion Huth, Berlin; Bes. Wilhelm Pohlmann, Oberursel/Taunus;
Aufn. Dr. Erna Mohr, Frankfurt a. Main 9. V. 1954
Foto: Die Neue Brehm-Bücherei

Ab Seite 87 sind detaillierte und mit mehreren Diagrammen, Skizzen und Tabellen versehene Ausführungen zum Haarkleid, Geschlechts- und Zuchtreife, Geburts- und Aufzuchtsgewichte, Wurfstärke- und Geschlechtsproportionen, Bewegungsweisen und Hundegebiß anzusehen.

Nachdem ich dieses Buch gelesen habe, wünsche ich mir sehr, daß sich die Ungarischen Bauern und Hirten, die es noch gibt, auf die jahrhundertelange "Zusammenarbeit" mit ihren Hirtenhunden besinnen mögen und vielleicht auch nach Alternativen suchen, ihnen ein würdiges Dasein zu ermöglichen. Erst, wenn der letzte Kuvasz aus Ungarn (auch aus den Zwingern) verschwunden ist, dann hätte dieses Land meiner Meinung nach einen Teil seiner Identität verloren. Dieser Fehler wäre nicht wieder gut zu machen, da dann die Basis für eine Zucht nach Gebrauchseigenschaften um Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte, zurückgeworfen wäre.

Meine Beurteilung für dieses Buch:

ein "Muß" für jeden Halter/Liebhaber eines ungarischen Hirtenhundes und sehr zu empfehlen für Hirtenhundehalter auch anderer Rassen.

Dorette Knobbe

Die Veröffentlichung der Original-Fotos aus dem Buch "Ungarische Hirtenhunde" von Erna Mohr erfolgte mit freundlicher Genehmigung der Westarp Wissenschaften-Verlagsgesellschaft mbH. Das Buch ist als Nachdruck der 2. Auflage von 1969 bei der Neuen Brehm-Bücherei (Westarp Wissenschaften-Verlagsgesellschaft mbH, www.westarp.de) zum Preis von 24,95 EUR/ 43,70 sFr erhältlich - ISBN: 3-89432-630-1.