Ausgabe 03/2009
Juni + Juli 2009

Der Koochee Hund

Der traditionelle Herdenschutzhund der afghanischen Nomaden

Autor Rasaq Qadirie

 

Wieder mal ein Buch - oder besser ein Büchlein – über Hirtenhunde oder Herdenschutzhunde und bereits bei der Namensgebung kann sich der Autor nicht so richtig entscheiden, was letztendlich diese Hunde sind.

Gerade bei den Hirtenhunden Zentralasiens wäre es aber angebracht, eine klare Definition vorzunehmen, denn diese Hunde sind alles andere als Herdenschutzhunde, sie bewachen seit Jahrhunderten alles und jedes, das zu Nomaden, Höfen, Hirten und Tieren gehört.

Womit wir gleich am Anfang bei einem Punkt sind, der leider mehr als schwammig verkauft wird, den Nomaden. Denn die „afghanischen Nomaden“ gibt es nicht. Darauf komme ich noch.


Foto:Luke Powell
http://www.lukepowell.com/

Wie wichtig es wäre, die verschiedenen Volksgruppen oder Stämme vor zu stellen, die entweder früher als Nomaden lebten, heute noch mit ihren Tieren wandern, oder als „Teilnomaden“ Viehzucht und Viehhaltung betreiben, zeigt sich spätestens dann, wenn Qadirie völlig aus dem Zusammenhang gerissen die verschiedenen Typen oder Schläge vorstellt. Denn diese doch sehr unterschiedlichen Hunde sind aus „Bedürfnissen“ hervorgegangen, die eben genau mit der Lebensweise der Hirten oder Nomaden zu tun haben.

Wesentlich besser - und das auch noch umsonst - werden diese Schläge von dem Züchter Ronald Guldenschuh auf seiner Seite vorgestellt.

Qadirie schreibt:

„ ... Wüstentypen der Koochee – Hirtenhunde. Das Charakteristische der Wüstentypen ist das relativ kurze, feste, drahtige Haarkleid.“

Warum aber gibt es diesen Typ, welche Arbeit verrichtet er und wo wird er gehalten? Antworten bleibt der Autor schuldig. Genauso in den nächsten Sätzen, dort heißt es:

„ ... Steppentypen der Koochee - Hirtenhunde Steppentypen sind hochläufig (Rechteckformat) bis sehr hoch läufig (eher quadratisches Format), extrem schnell und wendig (sehr gute Jäger) im Gras - Hochland und in der Steppenlandschaft. lm Vergleich dazu sind die Bergtypen der Koochee - Hunde durch ihren Körperbau und ihre Hinterbeinwinkelungen besonders an die Berglandschaften angepasst. Wegen ihrer Schnelligkeit, Wendigkeit und ihres Körperbaus werden Steppentypen im Volksmund als Tigerrasse (Djence Palangi) bezeichnet.“

Siehe Guldenschuh, das alles hat einen Sinn und Zweck und der sollte erklärt werden. Zumal es in einer ganzen Reihe von Ländern Hunde gibt, die diesen Typen entsprechen und in den unterschiedlichsten Gegenden oder Begebenheiten eingesetzt werden, mit Erfolg übrigens

Und warum der so genannte Bergtyp entstand und warum er sich so verhält, wie in der folgenden Episode beschrieben, wird auch nicht beantwortet:

„ ... Bergtypen der Koochee - Hirtenhunde Die Bergtypen der Koochee - Hunde sind Hunde, die sich schnell und kraftvoll, angepasst durch ihren Körperbau und Hinterbeinwinkelungen, in der Berglandschaft bewegen können.“

Ebenso bleibt er eine Antwort schuldig, warum all diese verschiedenen Schläge wetterfest sein müssen, denn die folgende Erklärung ist wenig hilfreich:

„ ... Unabhängig vom Schlag weisen jedoch alle Hirtenhunde immer ein gut entwickeltes Deckhaar und Unterwolle aus, auch beim Wüsten -Typ ist trotz des relativ kurzen, nur etwa 1,5 cm langen Fells Unterwolle zu finden.“

Rüde Ghaleb
Foto: Rasaq Qadirie

Vollends verwirrt hat mich dann das folgende Zitat, denn damit ist das Chaos perfekt und erklärt wird rein gar nichts. Im Gegenteil, anstatt wenigstens in Ansätzen auf die Regionen und Länder Zentralasien einzugehen, stellt er diese Sätze in den Raum:

„ ... Auf Grund des großen Verbreitungsgebietes, das sich über die zentralasiatischen Länder mit ihren zahlreichen lokalen Sprachen und den verschiedenen Naturräumen erstreckt, finden wir verschiedene regionale oder lokale Bezeichnungen für die Hirtenhunde.

Man kann mindestens drei Typen unterscheiden, deren Vorkommen sich auch nach geomorphologischen und geographischen Gegebenheiten einteilen lässt, dazu kommen lokale und regionale Zuchtschläge sowie Kreuzungen der drei Typen untereinander.“

Und bei dieser Gelegenheit stellt sich mir die Frage, in welcher der zahlreichen Sprachen das Wort „Herdenschutzhund“ vorkommt und warum Qadirie dieses dann verwendet.

Aber zurück zu den Nomaden. Und damit zurück zu bereits geschriebenen: „Die Nomaden in Afghanistan“ gibt es nicht, wohl aber Teile der Bevölkerung des Landes, die entweder als Nomaden gelebt haben, teilweise noch als „Halbnomaden leben und diejenigen, die immer noch als Nomaden leben.

Als Nomaden ziehen heute noch die Kuchi mit ihren Herden umher. Der Stern Autor Joachim Hoelzgen schreibt:

„ ... Kuchi sind von Haus aus Afghanen, die mit ihren Tieren jedes Jahr dem Winter am Hindukusch in das benachbarte Pakistan und bis in die chinesische Region Xinjiang entfliehen. Dann, jeweils zu Beginn des Frühjahrs, beladen sie ihre Kamele wieder mit Zelten aus Jute, mit Brennholz, Seilen und Kochgeschirr, um wie in biblischen Zeiten in das Herzland Asiens – Afghanistan - zurückzukehren.“

Torogh
Foto: Autor bekannt

In Afghanistan leben etwa zwei Millionen dieser Nomaden, ein Teil von ihnen sind nur noch Halbnomaden, die mit ihren Viehherden ziehen.

Und weil sie eben wandern, sind ihre Hunde kleiner und leichter und daher „ökonomischer“, d.h. sie benötigen weniger Nahrung als beispielsweise der schwerere so genannte Bergtyp. Eigentlich logisch und eine einfache Erklärung für die unterschiedlichen Typen, die man in ganz Zentralasien findet und die nichts mit den „traditionellen Herdenschutzhunden der afghanischen Nomaden“ (Zitat Qadirie) zu tun haben. Darauf hätte im Sinne einer vernünftigen Erklärung der Autor ruhig hinweisen können.

Im Hochland, dem sogenannten Hazarajat, lebt mit rund neun Millionen Angehörigen weltweit das Volk der Hazara. Angeblich stammen sie von den Mongolen ab. Auch dieses Volk war ein Nomadenvolk. Unterdessen sind die Hazara fast ausschließlich sesshaft und daher findet man bei ihnen auch größere und vor allem schwerere Hunde. Denn diese wandern nicht mehr weite Strecken und dienen in der Regel als Wachhunde für die Dörfer und Höfe.

Mit diesen Volksgruppen Afghanistans sind die Nomaden aber noch lange nicht vollständig; es existieren nämlich noch kleine und kleinste Völker und Stämme und diese gehören Sprachfamilien an, die man nicht unbedingt in Afghanistan vermutet, z. B, die Brahui, Wüstennomaden am unteren Hilmend und in Registan, die noch wirklich einen mongolischen Dialekt sprechenden Moghol in der Provinz Herat, genauso wie Arabisch, das als Überbleibsel der ersten islamischen Eroberung im 8. Jahrhundert bis heute in zwei Dörfern bei Mazar-e Sharif gesprochen wird.

Erwähnenswert unter kulturellen Gesichtspunkten auch die Nuristani, ein Bergbauern - und Hirtenvolk, das in den bewaldeten Tälern des ostafghanischen Hindukusch lebt.

In den nordwestlichen Provinzen Badghis und Jozjan findet man die für ihre Teppichknüpferei berühmten Turkmenen. Daneben gibt es vor allem in Ostafghanistan zahlreiche kleine Gruppen nordindischer Herkunft (Dschats, Gudschur u. a.), die sich kastenartig auf Wandergewerbe spezialisiert haben.

Betrachtet man den Norden von Afghanistan, findet man dort Usbeken und Tadschiken. Auch unter ihnen gab und gibt es nomadisierende Hirten und auch über die hätte Qadirie etwas schreiben können, denn auch die wandern teilweise noch heute mit ihren Herden und Landesgrenzen spielen dabei keine Rolle. Zumal der Autor kein Afghane, sondern Tadschike ist und daher sicher etwas über diese Nomaden weiß.

 Ebenfalls zu den Nomaden Afghanistans gehören die Belutschen mit ihren zahlreichen Stämmen, verteilt über ganz Zentralasien.

Die Timuri sind eine der kleineren Gruppen. Sie leben in den Bergen im Nordwesten Afghanistans und sie gehören zu einer Volksgruppe, die man  Aimaq nennt, zerstreut in Afghanistan und im Norden des Irans.

Die Liste der Nomaden, die Afghanistan durchwandern, oder dort leben, lässt sich fortsetzen und wir werden über diese in späteren Ausgaben informieren.

Kapisa Province, Panjsheer Valley
Foto: Luke Powell

http://www.lukepowell.com/

Aber es wäre interessant gewesen, über sie zu schreiben, wenn man sein Buch „Der traditionelle Herdenschutzhund der afghanischen Nomaden“ nennt.

Zumal Qadirie schreibt:

„ ... Schon in meiner Kindheit war ich begeistert, wenn ich die Hirten mit ihren Schafherden und ihren Koochee - Hirtenhunden beobachten konnte.

Jedes Frühjahr, wenn ich die Glocken der Dromedare, Ziegen, Schafe und Hunde hörte, bedeutete dieses für mich eine große Freude.“

Seinen eigenen Ansprüchen ist Rassaq Qadirie sicher nicht gerecht geworden wenn er die folgenden Ansprüche beschreibt:

„ ... Ich bin den Menschen begegnet, die mit Hirtenhunden in ihrer ursprünglichen Form leben, habe intensive Literaturstudien betrieben und möchte hier versuchen, die Qualitäten und Besonderheiten der Hirtenhunde zu beschreiben.“

Völlig zu Recht kritisiert Qadirie die Zucht der so genannten Centralasiaten in anderen Ländern, darunter in Deutschland. Und wenn er ebenfalls richtig erkennt, dass diese Hunde gefährdet sind, wäre etwas mehr Information und Aufklärung nötig gewesen, denn wie soll sich ein „normaler Europäer“ ein Bild dieser Arbeitshunde machen, wenn er derart allgemein „abgespeist“ wird?

Qadirie schreibt richtig:

„ ... Ein moderner CAO im "Modedesign" der Hundeausstellungstypen wäre bei diesen Arbeitsverhältnissen in Afghanistan ein Todeskandidat. Mir persönlich und meinen ähnlich gesinnten Freunden ist es egal, dass gewissen Leuten Arbeitshunde nicht gefallen und sie modernen CAO hinterherlaufen, Kreuzungen unternehmen und Werbung damit betreiben, um ahnungslose Menschen zu täuschen. Es ist schade, dass so die Zukunft der zentralasiatischen Hirtenhunde stark gefährdet und das alteKulturgut und Erbe von Menschengenerationen missachtet wird.“

Und auch das Folgende ist nur zu unterschreiben, denn damit wird ebenfalls den Hunden „der Seidenstraße“ Schaden zu gefügt:

„ ... Inzucht beeinflusst aber die Arbeitsfähigkeit und die Gesundheit negativ. Auch die geringe Anzahl von Koochee - Hunden in Westeuropa rechtfertigt keine Inzucht. Wer braucht in der westlichen Welt wirklich so nötig einen Hirtenhund, dass er eine Inzuchtverpaarung zulassen müsste? Aber vielleicht leidet ein solcher Mensch auch unter einem Schöpfungssyndrom"?“

 Soweit die Hirten – oder Herdenschutzhunde der Nomaden Afghanistans. Aber das „Büchlein besteht auch aus einem „Praktischen Ratgeber“ im Umgang mit diesen Hunden, der Autor schreibt dazu einleitend:

„ ... Vor der Anschaffung eines Hirtenhundes sollten Interessenten zunächst klären, aus welcher Motivation heraus die Wahl gerade auf einen Hundetyp mit einem derart ausgeprägten eigenwilligen Charakter fällt. Besonders dann, wenn die Vorgeschichte des Hundes nicht gut bekannt ist, treten häufig Probleme auf. Es ist nicht leicht, von einem Hirtenhund als "Meister" anerkannt zu werden. Unfälle passieren dann, wenn im Umgang mit dem Hund Fehler gemacht werden.“

Wohl wahr, dass Probleme auftreten können und das geschieht so ziemlich mit allen Rassen dieser Welt, also auch mit Hirtenhunden.


Foto: Bernd Kornmaier

Will er aber mit diesen Sätzen darauf anspielen, dass eben Hirtenhunde einen erfahrenen Halter und somit Kenner dieser Rassen benötigen, liegt er genauso falsch wie andere Autoren auch, die das verbreiten, was sie auch einmal lernen mussten und was wahrhaftig nicht das schwerste im Leben eines Menschen ist, der Umgang mit Tieren und hier eben mit Hunden, genauer, Hirtenhunden.

Seine Ausführungen über Hundehaltung verbieten geradezu die Zucht und Haltung von diesen Hirtenhunden in Europa, man könnte aber auch schreiben, die Haltung von Hunden allgemein. In meinen Augen sind daher die folgenden Sätze geradezu „kinderfeindlich“, wenn er diesen derart wenig zutraut, allerdings auch ihren „erwachsenen Lehrern“. Qadirie schreibt:

„ ... Probleme im Umgang mit Hunden entstehen besonders in Kulturen, in denen Hunde vermenschlicht und Welpen "verniedlicht" werden. Kommt dann erschwerend dazu, dass besonders Kinder ihre Freizeit durch die Beschäftigung mit virtuellen Welten füllen und keine Kenntnisse mehr von den sozialen Bedürfnissen von Tieren haben, drohen Fehlentwicklungen.“

Wie hielten es denn er und seine Kinder mit Hunden?

Es ist also nach diesen übrigens falschen Zeilen nicht verständlich, dass im „Auftrag“ des Autors afghanische oder zentralasiatische Hirtenhunde in Deutschland gezüchtet und vor allem auch verkauft werden. Und weiter dazu im krassen Gegensatz stehen dann seine Erzählungen über seinen ersten Hirtenhund, den er in Deutschland hielt und der sich angeblich sehr gut in diese „Umwelt“ eingefügt hatte.

Einer seiner Erziehungstipps ist lesenswert und sicher wird ihm die Ärzteschaft danken, denn damit treibt er diesen ungeahnte Neukunden zu. Er schreibt nämlich:

„ ... Als ich ihm wiederholt klar machte, dass ich dieses nicht wollte, versuchte er trotzdem, schnell dorthin zu gelangen. Daraufhin hob ich ihn vom Boden hoch und sagte zu ihm "Jetzt nehme ich dich hoch:' Hunde hassen es, wenn sie den Boden unter allen vier Pfoten verlieren. Dieses musste ich später noch einige Male machen. Schließlich führte dieses zu dem Ergebnis, dass es bis in sein hohes Alter ausreichte, wenn man ihm diesen Satz sagte, um ihn zum Einlenken zu bewegen, was für seine Intelligenz spricht.“

Mit einem Gruß an die Bandscheiben der Halter will ich diesen Quatsch nicht weiter kommentieren, gesagt aber werden muss, wenige der Hirtenhunderassen bringen in der Regel weniger als 50 kg auf die Waage. So einen „Brocken“ hoch zu heben, um ihn zu erziehen, es gibt sicher bessere Methoden, diese ist zur Nachahmung nicht empfohlen.

Koocheehunde scheinen Jäger zu sein, lerne ich aus diesem Büchlein, denn ein großer Teil der „Erziehungstipps“ beschäftigt sich damit, wie man diese Hunde von Jagen abhält. Hoffentlich hat seine „deutsche Niederlassung“ keine Welpen in wildreiche Gegenden verkauft, sonst laufen diese nur noch auf den Hinterpfoten, der restliche Körper hängt in der Luft, vom Halter mühselig hochgehoben.

Nein, da gegen wir nicht hinterher
Foto: Hartmut Deckert

Um die Konzentration auf den Hund nicht zu stören, sollte man auch nicht mit dem Handy telefonieren. Oder sich von anderen Menschen ablenken lassen. Da fehlen dann nur noch zur Vervollständigung die Erziehungs- Tipps von Bloch.

Daher sollte man die „schlauen“ Ratschläge von Qadirie nicht so ernst nehmen und wie gewohnt seine Touren machen, der Hund wird schon nicht in der beschriebenen Weise reagieren, sondern froh sein, wenn er mal machen kann, was er will.

Den Widerspruch mit den Hunden in Deutschland hatten wir schon, aber es ist schon ärgerlich, wenn man dann diese Rasse in Deutschland züchtet und vor allem nicht ganz billig verkauft, bei der folgenden Einstellung des Autors:

„ ... Ein Hirtenhund, der im Westen lebt und nicht an der Herde arbeitet, hat ein "verkehrtes" Leben. Wenn ein Mensch nur für sein Ego einen solchen Hund hält, dann ist dieses ein "armer Hund': Um einem solchen Hund gerecht werden zu können, benötigt er neben viel Bewegung tägliche Aufmerksamkeit und regelmäßige Kommunikation.

Durch das intensive Beschäftigen mit dem Hund lernen der Mensch und der Hund durch Mimik, Körpersprache, Laut - und Handzeichen zu kommunizieren. Viele Menschen im Westen haben ein solches Umgehen mit dem Hund verlernt. Ich mag nicht alles zitieren, was ich in Deutschland auf Spaziergängen gesehen und gehört habe, wie zum Beispiel peinliches Brüllen: "Nun Mensch, komm her, ich muss los !" Als Kind in Afghanistan habe ich beobachten können, wie die wirklichen "Hundeleute" mit ihren Tieren umgehen. Das hat mir viel im Umgang mit Koochee - Hunden geholfen.

Unvernünftige Menschen gibt es allerdings leider überall auf der Welt.“

Unter anderem meint Qadirie damit eben, die Hunde sind in der „westlichen Zivilisation“ geistig nicht ausgelastet und das liest sich so:

„ ... In den Ursprungsländern wie beispielsweise Afghanistan sind die Hirtenhunde körperlich und geistig ausgelastet, da sie entweder bei den Schafherden arbeiten oder ihre Besitzer viele Stunden am Tag begleiten, sei es im Gebirge oder in den Städten. Ich habe in Kabul selbst um Mitternacht Menschen in Begleitung ihrer Hunde gesehen.

Dieses intensive Zusammenleben führt dazu, dass die Verständigung von Mensch und Hund bereits durch kleine Signale funktioniert. Im Gegensatz dazu ist in westlichen Ländern viel zu oft zu beobachten, dass Hirtenhunde in Zwingern oder auf abgelegenen Grundstücken große Teile des Tages isoliert gehalten werden.“

Spontan fällt mir dazu ein, dass der Autor einmal in Freiburg oder dort in der Nähe wohnte und wie er dort seine Hunde hielt. Also Sekt predigen und Wasser saufen, geht auch nicht.

Im Kapitel zum „Spaziergang mit Hirtenhunden“ unterliegt auch Qadirie einem Irrtum, nämlich dem vom Territorialverhalten der Hirtenhunde. Das gibt es nicht, Hirtenhunde sind eben nicht territorial, auch wenn das oft genug behauptet wird, wären sie es, könnten sie ihre Aufgaben während dem Umherziehen der Herden nicht erfüllen. Diese bewegen sich nämlich nicht in gewohnten Territorien.

Er schreibt – und das ist ein  Widerspruch:

„ ... Ein Problem ergibt sich auch beim Passieren der kleinräumigen Reviere anderer Hunde in westlichen Ortschaften für die sehr territorialen Hirtenhunde.

Um zu verstehen, welche Bedürfnisse ein Hirtenhund hat, muss man sich vor Augen halten, zu welchem Zweck Hirtenhunde ursprünglich gezüchtet wurden und in welcher Umwelt sich ihre Verhaltensbesonderheiten entwickelt haben. So haben diese Hunde ein sehr weitgestecktes Territorium, das sie instinktiv bewachen.“

Sie tun es eben nicht, sondern sie bewachen sozusagen „ihr Eigentum“ und das kann alles mögliche sein

Beim Lesen z. B. des Kapitels „Fütterung“ habe ich mich desöfteren gefragt, welches Verhältnis Qadirie zu seinen Hunden gehabt hat, oder noch hat. Sicher ist es richtig, dass es vorkommt, dass insbesondere Welpen ihr Futter verteidigen, oder wenigstens so tun, eben aggressiv reagieren. Das aber ist eher die Ausnahme und daher nicht ein solches Kapitel wert. Es sei denn, dass Verhältnis eines Welpen oder später auch ausgewachsenes Hundes zu seinen Menschen ist so gestört, dass sich ein Hund bedroht fühlt. Bei der Aufzucht eines Wurfes ist wenigstens mir ein solches Verhalten nicht begegnet und andere Züchter werden das bestätigen.

Das sieht unterwürfig aus
Foto: Hartmut Deckert

Das Spielen mit den Hunden wird vom Menschen gesteuert, da gebe ich dem Autor recht. Das gilt aber für alle Rassen und für alle Größen. Denn so richtiger Spaß kommt nicht auf, wenn ich als nicht „dicht behaartes Menschlein“ jedes mal den Spielplatz mit Schrammen und Kratzern verlasse.

Viele seiner „Ratschläge“ bestehen aus Plattitüden, oder sie werden noch nicht einmal von ihm und seiner „Deutschlandvertretung“ eingehalten. So stimme ich z. B. mit ihm überein, dass diese Hunde wie andere Hirtenhunde auch im Freien gehalten werden sollten.  Aber dass dadurch das Lebensalter erhöht wird, weil sich dann die „Hunde bei Bedarf lösen können“, halte ich dann doch für ein Gerücht. Stimmt es, wäre im „Ratziland“ eine Änderung der Verhältnisse angesagt. Denn nur dann stimmt, was  „Ein alter Mann in Afghanistan sagte, um diesen Hunden ein langes Leben zu ermöglichen, sollte man sie draußen frei halten, damit sie jederzeit ihre Geschäfte verrichten könnten, denn so werden ihre Nieren und Verdauungsorgane geschont.“ (Zitat Qadirie)

Man könnte es aber auch so ausdrücken, wie dies jemand getan hat, der den Autor und „Experten“ wesentlich besser kennt, als ich. Er meinte, Qadirie habe im Umgang mit Hunden keinerlei Gespür.

Und die folgenden Sätze geben mir dann doch Gelegenheit zum Nachdenken. Er schreibt:

„ ... In ihren Ursprungsländern wie Afghanistan laufen Koochee - Hunde durchschnittlich bis 17 km am Tag. Dies zeigt, dass diese Hunde selbst im größten und modernsten Zwinger mental und physisch leiden müssen. Verhaltensstörungen sind nur zu häufig die Folge.“

Denn wo und wie werden sie gehalten in der Nähe von Hannover?

Und hier Zuhra völlig entspannt
Foto: Maik Bässler

Umgang mit einer Mutterhündin und ihren Welpen

Auch in diesem Kapitel Plattitüden, nicht weiter erwähnenswert. Vielleicht sollte Qadirie das mit den Würfen mal üben und vorher entsprechende Fachliteratur lesen.

Im Kapitel Zuchtkriterien lese ich, dass im Ursprungsland Afghanistan alles  erlaubt ist, Zahnfehler aller Art, praktisch alle Farben der Augen und des Felles und selbst die Mindestgröße spielt keine Rolle:

„ ... Für den Sage Koochee existiert kein Standard. Den afghanischen Nomaden oder Hirten interessiert keine Fellfarbe, keine Augenfarbe, kein perfektes Scherengebiss, keine Mindestgröße und kein Mindestgewicht, sondern nur die Arbeitsqualität seines Hundes, als eine Art Lebensversicherung für seine Tiere und damit auch für sich selbst.“

Die Einschränkung oder der Widerspruch folgt auf dem Fuß, er schreibt nämlich:

„ ... Die Größe und das Gewicht der einzelnen Hunde steht im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Arbeit, die unter anderem von den geomorphologischen und klimatischen Gegebenheiten und den vorkommenden Beutegreifern abhängig ist.“

Klingt logisch, aber dann werden eben doch Zuchtkriterien aufgestellt und die sind aus den beschriebenen Gegebenheiten abgeleitet.

Irgendwie scheint es mit dem Kapitel aber „Abstimmungsprobleme“ zu geben. Denn als ich einmal schrieb, die Hunde, die unter der Aufsicht von Qadirie in Deutschland gezüchtet werden, seien sehr oft zu groß, folgte die Entgegnung auf den Fuß. Steffen Ratzke schrieb:

„ ... Ein Arbeitshund-Rüde kann mit über 70 cm Schulterhöhe zu groß und mit unter 80 cm zu klein für seine jeweilige Aufgabe sein...

Ein afghanischer Nomade oder Schafzüchter würde nie einen Hund von deutlich über 80 cm Schulterhöhe züchten und einsetzen, wenn er nicht gerade so einen Rüden brauchen würde, denn er muss diesen Hund ernähren. In bestimmten Bezirken von Afghanistan findet man aber an jeder größeren Schafherde Rüden von über 80 cm Schulterhöhe. Selbst 85 cm oder mehr sind dort keine Seltenheit. Hieraus kann man nur schließen, dass in diesen Gegenden so große Hunde benötigt werden.

Hierbei handelt es sich übrigens ausnahmslos um hochbeinige Steppentypen mit einem für ihre Körpergröße erstaunlich geringem Gewicht. Solche Rüden mit einer Größe zwischen 80 und deutlich über 85 cm wiegen zwischen 50 und maximal gut 65 kg. ...

In anderen Gegenden Afghanistans findet man häufig Rüden mit einer Körpergröße von ca. 75 bis 78 cm und einem Gewicht von knapp 55 bis gut 60 kg. ...

In wieder anderen Bezirken, in denen die Schafherden viele hundert Kilometer in relativ kurzer Zeit zurücklegen müssen, findet man zähe und drahtige Hunde mit einer Körpergröße von maximal 70 cm und um die 40 kg Gewicht beim Rüden und deutlich kleinere und leichtere Hündinnen.“

Und an anderer Stelle in seinem Buch schreibt Qadirie:

„ ... Die Größe und das Gewicht der einzelnen Hunde steht im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Arbeit, die unter Anderem von den geomorphologischen und klimatischen Gegebenheiten und den vorkommenden Beutegreifern abhängig ist.“

Alles klar, oder wie war das am Anfang:

„ ... Für den Sage Koochee existiert kein Standard. Den afghanischen Nomaden oder Hirten interessiert keine Fellfarbe, keine Augenfarbe, kein perfektes Scherengebiss, keine Mindestgröße und kein Mindestgewicht, sondern nur die Arbeitsqualität seines Hundes, als eine Art Lebensversicherung für seine Tiere und damit auch für sich selbst.“

Die Hinweise für die Zucht haben sich, obwohl es der Autor nicht zu glauben scheint, auch schon im alten Europa herumgesprochen. Daher weiß man hierzulande schon seit längerem, dass zu einer guten Verpaarung eben auch zwei gute Elterntiere gehören. Somit bietet sein Kapitel: Einige wichtige Hinweise für die Zucht nichts aufregend neues. Aber es stellt sich schon die Frage, woher diejenigen, die in Deutschland mit Hunden aus Afghanistan züchten, die Kenntnisse über die Ahnen haben, die der Autor für wichtig hält, er schreibt:

„ ... Neben der möglichst genauen Kenntnis der Eigenschaften der Vorfahren des Zuchtpaares über mehrere Generationen müssen natürlich auch die Charaktereigenschaften der gewählten Zuchttiere möglichst optimal sein. Darüber hinaus muss das Zuchtziel auch im Hinblick auf das Exterieur definiert werden und geprüft werden, ob die gewählten Eltern die erhofften Eigenschaften vererben können. Gute Kenntnisse der Genetik sind dabei erforderlich.“

Sicher gibt es genügend Züchter, die wegen der „schnellen Mark“ einfach kreuzen, was nicht rechtzeitig auf die Bäume kommt, aber auch in unseren Breitengraden gibt es verantwortungsvolle Züchter und die wussten lange vor Qadirie, wie man die richtigen Eltern auswählt.

Foto: Rasaq Qadirie

All das, was der Autor glaubt, in seinem Büchlein vermittelt zu haben und was ich aber vermisse, fasst er in seinem Schlusswort zusammen:

„ ... Der Leser hat im vorliegenden Buch viel über den gesunden, beeindruckenden Körperbau dieser Hirtenhunde erfahren. Er hat von ihrer ausgezeichneten, unabhängigen Arbeitsfähigkeit gehört und weiß nun um ihre genetische Vielfalt.“

Und den folgenden Satz kann ich natürlich nur unterstreichen, denn schließlich bin ich einer der beiden Betreiber der Hirtenhundewelt, er schreibt:

„ ... Es gibt so viel in der Hirtenhundewelt zu entdecken und man versäumt eine Menge, wenn man nur mit dem allgemein bekannten Wissen über Hunde an sie herangeht.“

Danke für die Werbung!

Und wenn er es auch noch so oft betont, dieser Satz stimmt einfach nicht:

„ ... Hirtenhunde brauchen eine Hirtenhundearbeit.“

Sonst nämlich würde man in Deutschland kreuzunglückliche Hunde züchten, die hier und anderswo in Europa nichts zu suchen haben. Qadirie aber müsste die Konsequenzen ziehen und mit seinen Hunden nicht in Deutschland leben, oder nach Kanada auswandern, er müsste nach Afghanistan gehen, oder die Finger von diesen Hunden lassen.

Zusammenfassung

Dieses „Buch“ ist ein nettes „Bilderbuch“ geworden. Wären die sehr interessanten Fotos in der Qualität etwas besser, würde ich ohne weiteres so etwa die Hälfte des geforderten Preises bezahlen. 19,80 € zzgl. 3,50 € Versandkosten (Einwurf-Einschreiben im gepolsterten Umschlag), sind zuviel.

Inhaltlich bietet es nicht neues, nichts wichtiges und es vermittelt einfach viel zu wenig über den Ursprung und die „uralte Kultur“ dieser Hunde.

Schade, denn man hätte mehr daraus machen können.

Hartmut Deckert