Ausgabe 01/2010
Januar - März 2010

 

Nomaden in Afghanistan ...

 

Kuchi, die Kamelnomaden

 

Quelle: Wikipedia

Einleitung

Wie angekündigt werden wir in loser Reihenfolge über die Nomaden Afghanistans berichten und wie nicht angekündigt, wie gewohnt kostenlos.

Einschränkend sei gleich am Anfang geschrieben, es handelt sich bei vielen Nomaden, die heute unter anderem auch noch in Afghanistan wandern, um solche, die nicht ihre eigentliche Heimat in diesem Land haben. Daher wird es gelegentlich etwas kompliziert.

Die Nomadenkultur

Und die entstand, weil wichtige und notwendige Kriterien erfüllt wurden, als man bemerkte, dass bestimmte Hunde als Wächter, oder besser Beschützer des gesamten Eigentums der Menschen geeignet waren. Das heißt, ohne die Hunde der Hirten und Nomaden wäre diese Kultur gar nicht möglich gewesen.

Foto: Luke Powell
http://www.lukepowell.com/

Zumal Afghanistan nicht immer ein islamisches Land, sondern die ursprüngliche Religion der Buddhismus war und der hatte zu vielen „wilden Tieren“ eine andere Einstellung, diese wurden geachtet und nach Möglichkeit nicht getötet.

Daher ist es falsch, weil einschränkend, wenn der „Autor“ Rasaq Qadirie die Hunde als die „traditionellen Herdenschutzhunde der afghanischen Nomaden“ bezeichnet, denn sie waren und sind viel, viel mehr.

Noch mal zurück zum Buddhismus. Im  März 2005 sprengte die damalige Taliban – Regierung die Statuen von Bamiyan. Und diese waren die größten Buddha – Statuen der Welt. Sie standen im 2500 Meter hoch gelegenen Tal von Bamiyan (Afghanistan), etwa 130 Kilometer westnordwestlich von Kabul liegend, das Siedlungsgebiet der Hazara ist.

Statuen von Bamiyan
Quelle Wikepedia

Sie geben Aufschluss über die ehemalige buddhistische Kultur des Landes und stammen etwa aus dem 5. oder 6. Jahrhundert. Diese Statuen sind natürlich auch mal einen Artikel wert. Übrigens vermuten einige Forscher, es gibt noch eine dritte, liegende Statue und die wurde entweder zerstört, oder liegt im Erdreich verborgen. Daher finden im Tal Ausgrabungen statt.

Die Kuchis (ausgesprochen: Kutschi, persisch für Nomade, auch Kuchgâr genannt) sind paschtunischer Abstammung. Sie gehören zu den Ghilzai - und zu den Durrani - Paschtunen.

In Afghanistan und den angrenzenden Ländern leben etwa zwei Millionen Menschen dieser „Volksgruppe“. Ein Teil von ihnen sind nur noch Halbnomaden. Deren Herden bestehen aus Schafen und Ziegen, außerdem führen sie Pferde, Kamele, Rinder, Esel und Geflügel mit sich. Seit mindestens 3000 Jahren leben sie als Nomaden.

Grenzen haben in diesem Land noch nie eine große Rolle gespielt und wurden außerdem völlig willkürlich von Kolonialmächten gezogen. Daher erstreckt sich das Gebiet der Kuchi natürlich nicht auf das Staatsgebiet des heutigen Afghanistan.

Der Stern Autor Joachim Hoelzgen schreibt:

„ ... Kuchi sind von Haus aus Afghanen, die mit ihren Tieren jedes Jahr dem Winter am Hindukusch in das benachbarte Pakistan und bis in die chinesische Region Xinjiang entfliehen. Dann, jeweils zu Beginn des Frühjahrs, beladen sie ihre Kamele wieder mit Zelten aus Jute, mit Brennholz, Seilen und Kochgeschirr, um wie in biblischen Zeiten in das Herzland Asiens – Afghanistan - zurückzukehren.“

Die Situation der Nomaden im Lande hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verschlechtert durch kriegerische Auseinandersetzungen der Volksgruppen und der Kriege z. B. gegen die russische Besatzung. Folgen davon sind unzählige Minenfelder, die verheerende Folgen haben. Dazu kommt, dass in Afghanistan die Dürreperioden immer länger werden, was zu nicht ausreichenden Weidemöglichkeiten für die Viehhalter führt, egal ob diese Nomaden oder sesshafte Viehzüchter sind.

mühsame Minensuche
Foto: Luke Powel
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Zwar könnten die Kuchi – Nomaden durch ihre sehr langen Wanderwege durch mehrere Länder theoretisch hier einen gewissen Ausgleich haben, aber auch die Bedingungen in diesen Ländern haben sich verschlechtert.

Im Trockengürtel von der Sahara bis in die Mongolei kann man Nomaden in zwei Gruppen einteilen.

Zum einen in die so genannten Schwarzzelt – Nomaden zu denen die Kuchis gehören und deren Zelte dann eben in der Regel aus schwarzem Ziegenhaar bestehen und in die Gruppe der Nomaden mit Jurten, die auf Holzgestelle aufgebaut aus Filzmatten  bestehen.

Foto: Luke Powel
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Schwarzzelt Nomaden gibt es interessanterweise in Nordafrika, in Arabien und Teilen der Türkei, sowie im Iran und Afghanistan.

Jurten Nomaden findet man nur in den Länder Zentralasiens, z.B. Kirgistan, oder Turkmenistan und bekannt sind die Jurten der Mongolei.

Die soziale Situation

Der soziale Status der Nomaden ist nicht der beste, vorsichtig ausgedrückt. Joachim Hoelzgen schreibt

„ ... Oft gehen Kuchi - Frauen dem Treck voran, auffallend mit ihrer dunkelrot und goldfarbig bestickten Kleidung. Doch überall bei dem Umherziehen leben die Kuchi am Rand der Gesellschaft und des menschlichen Normalzustands.

Die Wanderhirten gehören in der Fremde nirgendwohin und niemanden an – und nun zieht sich auch in Afghanistan der Lebensraum für sie bedenklich zusammen. Nach fast drei Jahrzehnten Krieg und stets neuen Dürreperioden ist in den dortigen Provinzen ein großer Teil der Acker - und Weideflächen verödet. Viele Menschen hungerten im Winter...

All das bedeutet für die Kuchi nichts Gutes. Sie stoßen bei der alljährlichen Wanderung nach Zentralafghanistan auf Misstrauen und immer häufiger auf Widerstand.“

Foto: Luke Powel
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Durch die internationale Presse ging eine Meldung, nach der Kuchi Nomaden Hazara in deren „Land“ angriffen und zum Teil sogar vertrieben, weil es Streitigkeiten um Weidegründe gab. Daher protestierten Hazara in der Hauptstadt Kabul gegen diese „Überfälle“. Außerdem kündigten sie an,  die Nomaden "mit allen Mitteln" von den Weiden ihres Hochlands fernzuhalten.

Hinzu kommt, dass beide Volksgruppen unterschiedlichen religiösen Richtungen angehören. Die Kuchi sind Sunniten, die Hazara Schiiten.

Nomaden werden in Afghanistan sehr oft ausgegrenzt, so fand ich die folgenden Zeilen:

„ ... Da sie umherziehen, wähnen sich die Kuchi vom Rest der Welt geschnitten und vergessen. Von der internationalen Hilfe für Afghanistan erhalten sie pro Kopf nur ein Almosen von nicht einmal einem halben Dollar, während sonst 60 Dollar für jeden Afghanen ausgeschüttet werden, hat das Finanzministerium in Kabul laut Irin errechnet.“

Hilfslieferungen
Foto: Luke Powell
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Und ein anderes Zitat sagt eine ganze Menge über den sozialen Missstand der Nomaden aus:

„ ... Immerhin aber kümmert sich Präsident Karzai, der selber Paschtune ist, um die Kuchi. Er hat ihnen fahrbare Mini-Hospitäler zur Betreuung der Kranken versprochen und Schulen auf Rädern. Doch Versprechungen sind in Afghanistan eine flüchtige Sache ähnlich dem lautlosen Wind, der über die Wiesen und Weiden weht. Viele der Kuchi haben sich deshalb vom Nomadendasein abgewandt und die Zelte gegen Lehmhütten getauscht. Von etwa drei Millionen Menschen, die dem kleinen Volk der Wanderhirten angehören, soll mehr als die Hälfte mittlerweile sesshaft sein. In Kabul ist sogar von der Gründung ganzer "Kuchi-Städte" die Rede.

Stolze Kamelnomaden wollen davon nichts wissen. Sie glauben, dass Gott die Kuchi geschaffen habe, damit sie Tiere halten und durch Täler und über die Berge ziehen – bis an ihr Lebensende.“

Foto: Luke Powel
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Weil die Kuchi – Nomaden nicht mehr alleine von den Erträgen ihrer Herden leben können, treiben sie auf ihren Wanderungen auch Handel mit anderen Waren. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass bei allen Nomaden Teppiche geknüpft werden, in der Regel Läufer und Brücken, denn die lassen sich auf kleinen und transportierbaren Webstühlen herstellen.

Die berühmtesten „Nomadenteppiche“ sind übrigens die der Bachtiari – Nomaden aus dem Iran.

Die sesshaft gewordenen Kuchi leben sehr oft als Tagelöhner am Rande der Städte unter noch ärmlicheren Verhältnissen als ihre nomadisierenden Angehörigen, daher kann man schreiben: Ein Volk verliert seine Kultur und Identität.

Von wenigen Hilfsorganisationen bekommen sie Unterstützung, aber es gibt sie. Die Hilfsorganisation Shelter Now, das englische Wort bedeutet "Schutzdach" oder "Zuflucht" unterstützt unter anderem auch sesshaft gewordenen Nomaden in wiederaufgebauten Dörfern. Man schreibt dazu:

„ .... Shelter Now versucht zusammen mit den Verantwortlichen verschiedener Kuchi-Clans, diese negative Entwicklung umzukehren. Wir geben ihnen Kredite. Die Herden werden wieder aufgestockt. Nach einigen Jahren sind sie von uns unabhängig und können ihren traditionellen Lebensstil wieder verwirklichen oder auch - wenn es ihnen möglich ist und sie das wollen - sesshaft werden und ihren Kindern bessere Bildungschancen ermöglichen.


Zusätzlich werden wir Mädchen und Jungen dieser Clans das Schreiben und Lesen beibringen und bieten den Frauen eine Hygiene-Ausbildung an, denn die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten weltweit.“

Foto: Luke Powel
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Kuchis werden von der United Nations Assistance Mission in Afghanistan als eine der größten gefährdeten Gruppen des Landes bezeichnet. Der Paschtune Hashmat Ghani Ahmadzai ist nach meinen Informationen auch heute noch ihr ethnischer Führer.

Die folgenden Sätze werden sicher nicht wirklich zur Entspannung und Verbesserung der Lebensverhältnisse der Nomaden beitragen, denn Papier ist geduldig:

„ ... „In die afghanische Verfassung wurden Bestimmungen aufgenommen (Artikel 14), die dazu beitragen sollen, die Situation der Kuchis zu verbessern. Dies schließt Bestimmungen zur Unterbringung, zur Bildung und zu ihrer politischen Vertretung ein.“

In einer Presseerklärung vom 10. April 2008 ist zu lesen:

„ ... Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat vor einer Verschärfung ethnischer Konflikte in Afghanistan gewarnt. "Die rapide wachsenden Spannungen zwischen einigen Nationalitäten können schon bald auch die Sicherheit ausländischer Soldaten gefährden", erklärte der GfbV- Asienreferent Ulrich Delius am Donnerstag. Die afghanische Regierung sei für die starke Zunahme ethnischer Konflikte verantwortlich, da sie die Frage der Landrechte der verschiedenen Nationalitäten in dem Vielvölkerstaat ignoriere.

in der Bildmitte zwei Hirtenhunde im Wasser
Foto: Luke Powell
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Die Afghanische Unabhängige Menschenrechtskommission warnte jüngst, dass im Jahr 2008 die Konflikte zwischen diesen beiden um Land streitenden Bevölkerungsgruppen noch gewalttätiger werden könnten als in den Vorjahren. Weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit waren im Juni 2007 mehr als 4000 Hazara-Bauern in der Provinz Wardak im Zentralen Hochland Afghanistans von Kuchi-Nomaden vertrieben worden. Rund 200 bewaffnete Kuchi-Kämpfer hatten damals die Bewohner von 65 Dörfern zur Flucht gezwungen. Afghanische Sicherheitskräfte intervenierten nicht, um die Vertreibung zu beenden.

Noch immer schenkt die afghanische Regierung der Landrechtsfrage kaum Beachtung, obwohl sie zu einem immer größeren Sicherheitsrisiko für das Land wird", erklärte Delius. Neben den ungeregelten Streitfragen zwischen verschiedenen Nationalitäten habe auch der staatlich geduldete Landraub durch Kriegsfürsten bedrohlichen Umfang angenommen. So seien allein im Jahr 2007 mindestens 5000 Quadratkilometer Land von Warlords und anderen einflussreichen Persönlichkeiten geraubt worden, ohne dass afghanische Behörden eingegriffen hätten.“

Diese Konflikte sorgen natürlich auch dafür, dass ein Zusammenleben im Lande immer schwierig bleiben wird und wenn dann der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck davon faselt, dass die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt wird, ist das erstens dummes Geschwätz und zweitens müssten, wenn es so wäre, Hilfsprogramme aufgelegt werden, um die Situation der gesamten Bevölkerung zu verbessern. Aber wie schon geschrieben, Papier ist geduldig und viele Versprechen wurden vom Winde verweht.

Foto: Luke Powell
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Über das Leben und die Situation der Kuchi – Nomaden schrieb der Journalist Tomas Avenarius einen Artikel, erschienen in der Süddeutschen Zeitung, daraus einige Auszüge, denn er fasst sozusagen das „soziale Umfeld“ der Nomaden zusammen.

Unter dem Titel „Afghanische Nomaden kämpfen um ihre Zukunft“ schreibt er:

„ ... Seit Jahrtausenden ziehen die Kutschis durch die kargen Weiten Zentralasiens – jetzt fordern sie mehr politisches Mitspracherecht ...

Wenn Ahmad Khan ein offizielles Dokument unterzeichnen muss, zieht er ein kupfernes Siegel aus der Tasche und drückt es sorgsam auf das Papier. „Schreiben kann ich nicht“, sagt der baumlange Afghane. „Also helfe ich mir mit diesem Ding hier.“ Ahmed Khan ist nicht der einzige in dem schäbigen Zeltlager am Stadtrand von Kabul, der seinen eigenen Namen nicht schreiben kann. „Bei uns hier kann ein Mann lesen und schreiben. Ein einziger!

Wir Kutschis wollen, dass unsere Kinder endlich zur Schule gehen.

Die Haut von der Sonne gegerbt, die Kleider zerrissen, das Zelt vielfach geflickt – Ahmad Khan ist kein reicher Mann. Und das, obwohl er ein Malik ist – Führer des Nomadenstammes der Hussein – Khel ... 

Foto: Luke Powell
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Sie sind einer der Kutschi -  Stämme und bilden die ärmste Bevölkerungsgruppe Afghanistans. Einer von Ahmad Khans Gefolgsleuten sagt: „Im vergangenen Jahr sind in unserer Familie drei Kinder bei uns gestorben. Einen Arzt? So etwas kennen wir nicht.“

Mobile Schulen, Kliniken und festes, vom Staat zugesichertes Weideland – das sind die Forderungen der Nomaden. Wie alle Afghanen haben die Kutschis in den mehr als zwanzig Kriegsjahren schwer gelitten...

Ahmad Khan, der Malik, ist 66 Jahre alt. Seit er sich erinnern kann, zieht er mit seiner Familie, seinem Zelt und seinem Vieh durch das Land. Er hat 90 Schafe und fünf Esel – „für ein Kamel reicht das Geld nicht“. So wie er wandern die Kutschis seit Jahrtausenden mit ihrem Vieh und ihren Familien ... im Wechsel der Jahreszeiten pendeln sie zwischen den warmen Winterweiden in der Ebene und den kühlen Sommerweiden in den Bergen hin und her...

Grenzen, die zwischen den Weiden lieen, werden ohne Formalitäten gekreuzt, dem „sich bewegenden Volk“ bedeuten die Grundbausteine moderner Nationen nichts. Die Kutschis verstehen sich nicht als Angehörige eines Staates, sondern als Mitglieder ihres Stammes und ihres Clans. Die meisten von ihnen haben nicht viel mehr als das löchrige Zelt, ein paar Filzteppiche und ihr Vieh...

Doch große Teile ziehen weiterhin mit ihren Herden durch das Land und leben vom Verkauf dessen, was das Vieh gibt: Milch, Fleisch und Wolle. In einem kargen Land wie Afghanistan, wo sich insgesamt nur etwa zehn Prozent der Fläche für die ständige Land - und Viehwirtschaft eignen, kommt den Nomaden große Bedeutung bei der Versorgung der Bevölkerung zu.

Der Krieg hat die Lebensform der Nomaden aber weitgehend zerstört“, sagt UN-Vertreter Thomas Ruttig...

Jetzt, wo in Afghanistan eine Neuordnung versucht wird, wollen auch die Kutschis politisch vertreten sein.“

Wie unterschiedlich die Anzahl der Menschen ist, die sich den Kuchis zuordnen, zeigen Aussagen von „Anführern. Tomas Avenarius schreibt dazu

„ ... Die entscheidende Frage dabei ist, wie viele von ihnen überhaupt noch durch das Land ziehen. „Fünf Millionen, wenn nicht mehr“, sagt Mohammed Aschraf Ahmadzai, ein einflussreicher Kutschi - Führer. Ahmadzai ist sesshaft, er war vor dem Bürgerkrieg Offizier und lebt heute in der Stadt Kabul.

 „Ganz sicher gibt es nicht mehr als eineinhalb Millionen Kutschis“, sagt hingegen Mohammed Kassim Ahang. Der Kabuler Professor ist Mitglied der Loja – Dschirga - Kommission...

Loja Dschirga einer Familie
Foto: Luke Powell
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Rund 1500 Delegierte werden auf der Loja Dschirga eine zweijährige Übergangsregierung bestimmen. Die meisten Delegierten werden gewählt. Kleineren Bevölkerungsgruppen ist aber die Entsendung einer festen Zahl eigener Leute zugesagt worden, so auch den Kutschis. Ihnen wurden 25 Sitze in der „großen Versammlung“ zugesprochen.

Den Kutschi - Führer Ahmadzai überzeugt das nicht: „25 Sitze für ein Fünf –Millionen - Volk, das ist ein Hohn. Andere, kleinere Gruppen haben weit mehr Sitze. Wir werden diskriminiert.“ Die Grundlage für die Festlegung der 25 Sitze waren Statistiken aus der Vorkriegszeit: Seit Jahrzehnten gab es keinen Zensus in Afghanistan. Da die Kutschis frei über die Grenzen der Länder Afghanistan, Pakistan und Iran wechseln, reichen die Ziffern von einer Million bis zu fünf Millionen...

Mohammed Aschraf Ahmadzai zeigt sich von Statistiken und Experten wenig beeindruckt. „Wenn wir nicht mehr Sitze bekommen,

werde ich die Dschirga boykottieren“, sagt er. Dazu muss er zwar erst einmal gewählt werden. Das aber dürfte kein Problem sein: Wenn Ahmadzai in die Kutschi - Lager rund um Kabul kommt, verbeugen sich die Nomadenmänner und küssen ihm zur Begrüßung die Hand. Sein Ahmadzai-Stamm ist der wichtigste unter den Nomaden, er gehört einer führenden Familie an, politische Loyalitäten hängen bei den Kutschis an der Stammeszugehörigkeit. Unter dem sozialistischen Regime war er eine Art staatlich anerkannter Nomadenchef. Jetzt hofft er, Einfluss und Macht zurückzugewinnen.“

Ein weiterer Punkt kommt hinzu, der allerdings trifft alle Volksgruppen, die sich mehr oder weniger mit den Taliban arrangiert hatten, oder gezwungenermaßen mit ihnen zusammenarbeiteten. So heißt es:

„ ... Rund 90 Prozent von ihnen (die Kutschis, die Red.) sind Paschtunen. Die sind zahlenmäßig zwar das größte Volk in Afghanistan. Doch nach der Niederlage der Taliban – die selbst Paschtunen waren – ist das ganze Volk politisch diskreditiert und in die Defensive geraten. Und damit auch die Kutschis. Zudem stellten die Nomaden einen Teil der Truppen für das Talibanregime...

Doch trotz aller offensichtlichen Parteinahme hatten auch die Kutschis Probleme mit den Fundamentalisten: Die Frauen der Nomaden, deren Arbeit für die eigene Gesellschaft unabkömmlich ist, sind selbstbewusster als die meisten anderen afghanischen Frauen. Dass sie sich nicht unter die Burka zwingen ließen, war den Fundamentalisten im Land immer ein Dorn im Auge. Auch der Kutschi - Führer Ahmadzai sagt, dass nicht alle Nomaden Freund mit den Taliban gewesen seien. Er habe während deren Herrschaft um sein Leben fürchten müssen: „Mullah Omar (Führer der Taliban, die Red.) hatte mich zum Tode verurteilt. Ich habe mich jahrelang vor den Taliban in den Bergen versteckt.“

Foto: Luke Powell
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Seit diesen Zeilen ist einige Zeit vergangen und die Lage in Afghanistan hat sich wieder einmal verändert. Auf gut Deutsch, der Krieg geht weiter, Menschen sterben weiter und die Kultur der Nomaden, Jahrtausende alt leidet weiter.

Es bleibt zu hoffen, dass die internationalen Besatzungsmächte erkennen, dass dieser Krieg – auch wenn ihn der derzeitige Verteidigungsminister in Deutschland mit hessischer Provinzialität nicht als solchen bezeichnet – nicht zu gewinnen ist.

Schon Bertolt Brecht schrieb: „Fressen kommt vor der Moral“ und übersetzt kann das nur heißen, es muss das Leben der gesamten Bevölkerung verbessert werden und dazu gehört statt Panzern und Soldaten eine soziale Infrastruktur.

Vielleicht bin ich ein Romantiker, aber ich hoffe, dass es auch in Zukunft noch Nomaden gibt, nicht nur in Afghanistan. Denn sie haben einen Beitrag zu allen Kulturen dieser Welt geleistet, über den sich viele Menschen keine Gedanken machen.

Foto: Luke Powell
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Im Sinne der uralten Kultur

Hartmut Deckert