Ausgabe 05/2005
Mai 2005

Interview mit Suzette Preiswerk da Mota Veiga,

Präsidentin des portugisischen Estrela Clubs 

3. Teil

Frage: Gibt es denn auch im Ausland Estrela, die an einer Herde arbeiten?

Suzette: "Ich kenne Estrela-Hunde in Frankreich, die sehr erfolgreich Schafe vor Wölfen schützen. Der Hirt ist sehr zufrieden, er kannte zuvor die Rasse nicht.

Ich habe gehört, dass in der Schweiz Maremmano-Hunde aus Italien benutzt werden, um Schafe vor Wölfen zu schützen. Es soll so ein Projekt geben, ich glaube im Wallis. Ich denke Estrela-Hunde würden sich in der Schweiz auch eignen, da sie nicht aggressiv zu Menschen sind.

Ich kenne hier in der Serra da Estrela eine Hündin, die geht alleine mit den Schafen, aber normalerweise geht ein Hirt mit."

Frage: Weil Du schon gesagt hast, daß es in der Estrela auch viele Touristen gibt, fragen wir uns, wie das mit den Herden und den Hirtenhunden klappt. Außerdem haben doch bestimmt Touristen ihre eigenen Hunde dabei. Wie sind die Erfahrungen?

Suzette: "Estrela-Hunde, die bei der Herde sind, würden nicht auf Touristen los gehen, aber eventuell schon auf fremde Hunde, falls diese zu nahe ran gehen. Die Touristen müssten ihre Hunde an die Leine nehmen, wenn sie in einem Gebiet sind, wo Schafe mit Estrela-Hunden sind und nicht allzunahe an die Herde gehen. Andere Hunde werden verjagt oder auch angegriffen, als ob es Wölfe wären. Wenn sie nahe bei den Menschen sind, besteht eine Hemmschwelle, aber man muss diese Situation nicht allzu sehr provozieren. Die meisten Menschen erschrecken, wenn sie Estrela-Hunde sehen und entfernen sich."

Frage: In Portugal gibt es ja nicht die Weidewirtschaft, wie in anderen Ursprungsländern. Denn die Estrela ist ja bewohntes Gebiet. Wie sieht denn der Alltag eines Hirten aus?

Suzette: "Hier gehen die Hirten mit ihren Herden in verschiedene Täler und lassen die Tiere weiden und dann kehren sie zurück. Die Hunde begleiten die Herde und ruhen aus, wenn geweidet wird. Am Abend kehrt der Hirt mit der Herde in den Stall zurück. Im Sommer, wenn es heiss ist, geht der Hirt mit der Herde sehr früh auf die Weiden, oft in höher gelegene Täler und zur Mittagszeit bis am späten Nachmittag ruhen die Schafe, oft in einem Pferch im Schatten und der Hirt hat oft eine Hütte daneben, wo er den Sommer verbringt. Am Abend gehen sie nochmals weiden bis es dunkel wird.

Ganz vereinzelt lässt der Hirt die Herde etwas allein weiden und die Hunde gehen mit, weil sie gewohnt sind immer bei der Herde zu bleiben und schützen die Herde auch."

Frage: Kannst Du dir vorstellen, warum es in Deutschland oder der Schweiz keine Hirtenhunderassen gibt und gab?

Suzette: "Ich habe mich auch schon gefragt, weshalb es in D oder der CH keine Hirtenhunde-Rassen gibt, denn früher hatte es auch in diesen Ländern Wölfe. Ich denke, in Deutschland und der Schweiz gab es keine Wanderhirten, das Vieh war auf dem Hof gehalten und auf umliegenden Weiden oder täusche ich mich?"

Frage: Kannst Du bitte noch mal kurz zusammenfassen, wie Du auch heute noch die Arbeit eines Hirtenhundes siehst und wie er sich verhält, oder verhalten sollte, um als Arbeitshund zu überleben?

Suzette: "Ich denke, der Serra da Estrela würde noch heute eine Herde korrekt schützen. Die Rasse wird noch heute von den Hirten bevorzugt (es hat weniger Wölfe, aber wildernde Hunde). Die "Herdenschutz-Hunde" funktionieren besser, wenn mehrere gehalten werden für eine Herde, nicht nur einer. Die Serra da Estrela sind zudem zu Menschen nicht aggressiv. Sie drohen und bellen, aber es braucht viel, bis einer beisst. Es ist wichtig, dass sie von klein auf mit der Herde gehalten werden und der Kontakt zum Menschen soll oberflächlich sein. Also eine ganz andere Sozialisation als ein Familienhund."

Frage: Du hast mal die Geschichte erzählt, daß ein Mann anrief, der dringend Estrela haben wollte, weil Wölfe aufgetaucht sind. Kannst Du diese auch hier noch mal erzählen?

Suzette: "Es rief ein Mann an, er braucht dringend Estrela-Hunde für eine Herde von 200 Schafen, in der Nahe von Guarda. (Es ist wahrscheinlich nur ein Schafhalter, kein Hirt wie in der Serra da Estrela) Es hat ein Rudel Wölfe, die haben schon mehrere Schafe gerissen und dies keine 50 Km von mir entfernt. Ich hatte in der lokalen Zeitung gelesen, dass in der Nähe von Guarda Wölfe aufgetaucht sind. Nördlich gab es schon immer Wölfe. Ich rief den Grupo Lobo an, die Wolfsschutzorganisation, die verteilen gratis Estrela-Hunde. Dann fand ich noch eine Züchterin, die auch zwei Huendinnen abgeben kann. Es wird spannend."

Frage: Wie werden denn bei den Hirten die Hunde ernährt?

Suzette: "Auch in Portugal bekommen die Estrela-Hunden von den Hirten praktisch nie Fleisch, oder sehr wenig, mehr Schafsmilch und Reste. Der Kontakt ist nicht sehr intensiv mit dem Hirten. Der Hirt kümmert sich praktisch nicht um die Hunde, die sind einfach da, er wirft das Fressen in einen Trog und die Hunde müssen selber auskommen. Früher (oder noch heute, wenn sie unterwegs sind) machten die Hirten mit dem Absatz ein Loch in der Erde und warfen die restliche Schafsmilch in dieses Erdloch, wo sich mit der Zeit eine Fettschicht bildete und so die Milch nicht versickerte. Man kann sich vorstellen, dass die Hirtenhunde nicht gerade satt wurden. Heute sind die Hirten hier nicht mehr so arm, denn der Käse hat einen guten Preis, (er ist auch sehr gut), aber früher schon. Mit dem besseren Wohlstand profitieren auch die Hunde, es hat mehr zu fressen."

Die Hündin Tansinha

Frage: Du warst in Dortmund mit einer kurzhaarigen Hündin. Die hat sich so benommen, als sei sie in der Westfalenhalle geboren. Aber Du hast auch erzählt, daß Du diesen Hund erst seit ganz kurzer Zeit von einem Hirten hast. Woher hat sie diese Selbssicherheit?

Suzette: "Ich kenne einen Hirten, der wollte seine kurzhaarige Estrela-Hündin (Name: Tansinha) loswerden. Grund: Sie ist zu nett, lässt sich von den Touristen anfassen, einmal wurde ihr sogar dieses (unbequeme) breite Stachelhalsband gestohlen (vielleicht aus Mitleid oder um das Stachelhalsband als Souvenir zu haben). Ich hatte diese Hündin schon öfters gesehen und sie ist sehr liebenswürdig. Ich klärte die Situation schnell ab und konnte sie in das Gehege bringen, das der Gemeinde gehört und wo man eben mit dem Naturschutzpark etc. kurzhaarige Estrela halten will, um diese seltenere Variante "zu retten" weil es nicht viele gibt. (Der Langhaarige Estrela ist eben imposanter und mehr gefragt.) Niemand wusste genau das Alter der Tansinha, aber ich konnte fuer sie einen "Angangs-Stammbaum" bekommen … Dann habe ich Tansinha fü die Welthundeausstellung in Dortmund eingeschrieben (zusammen mit einer anderen Junghündin von mir).

Die Tansinha hat ihr Leben als Hirtenhund verbracht, war immer draussen, schlief bei der Herde oder draussen, hatte ihre Jungen irgendwo in einem Gebüsch oder eventuell in einer Stallecke. War nie an der Leine, war sehr selbstständig. Und nun nahm ich sie mit auf einer langen Reise in eine vollkommen andere Welt. Ich habe sie nur kurz an die Leine gewöhnt und gezeigt, wie man ins Auto steigt und an die andere Junghündin gewöhnt. Es ging alles wunderbar. Tansinha benahm sich fantastisch gut. Ich konnte nur staunen und nochmals staunen! Sie schief bei mir im Hotelzimmer (war zuvor noch nie in einem Haus), fand alles sehr interssant, erschreckte vor nichts.

Auf der Rückfahrt fuhr ich über Basel, meine Brüder zu besuchen. Dort konnte ich die Hunde endlich  frei lassen, der grosse Garten war geschlossen, es war der gemütliche Teil der Reise. Tansinha benahm sich wie eine grosse Dame.

Doch am Ende des Nachmittag war sie plötzlich verschwunden (die andere auch, ging immer hinter ihr her). Ich merkte es nicht einmal sofort. Erst als die Tür klingelte und aufgeregte Nachbarn fragten, ob diese zwei grossen Hunde von hier sind, die sind doch gefährlich, so grosse Hunde etc. ohne Begleitung ..) Die Tansinha hatte eben ein Loch gefunden, wo sie aus dem Garten konnte (niemand kannte das Loch) und hat die Umgebung ausgekundschaftet, für sie eine normale Sache."

Frage: Hat sie sich denn die ganze Ausstellung so benommen, oder war das nur am Tage des Richtens so?

Suzette: "Diese Tansinha hat sich auf der ganzen Reise ganz toll benommen! Am Tag vor dem Richten (die Ausstellung dauerte 4 Tage) schaute ich mir die Stände an. Tansinha war sehr interessiert an all den Neuheiten und dem vielen Futter das angeboten wurde (und schnappte manchmal ein Schweinsöhrli). All diese komischen Rassen, die sie noch nie gesehen hatte, bestaunte sie richtig und wedelte ständig mit dem Schwanz, je komischer die Hunde aussahen. Fuer sie waren sie wie Zirkus-Clowne. Ich hatte noch meine Sambah dabei, die machte, was die Tansinha machte und zerrten mich vorwärts. Nachher waren sie müde und ich auch."

nochmal Tansinha

Frage: Uns in Deutschland interessieren natürlich auch die Wölfe. Wie sehen denn die iberischen Wölfe aus? Und als Zusatz, warum gibt es denn keine rein weißen Hunde, bzw. sehr wenige mit ausgeprägten weißen Abzeichen?

Suzette: "In Portugal ist der Iberische Wolf grau-braun, also keine weissen Wölfe (die habe ich einmal im Zoo von Basel gesehen).

Den Estrela-Hund gab es früher auch mit weissen Flecken, aber um die Rasse  einheitlicher zu gestalten, wurde dann im Laufe der Jahre, das Weiss vermieden (gut oder schlecht sei dahingestellt). Doch weiss ist genetisch eine sehr dominante Farbe. Man kann weiss nie ganz wegzüchten. Deshalb haben die meisten Estrela-Hunde heute noch weisse Brustflecken. An den Pfoten ist es schon seltner. Es kommen zwar viele Welpen mit weissen Pfötchen zur Welt, aber dieses weiss verschwindet in den ersten Lebensmonaten."

Frage: Wenn Schäfer aus der Schweiz z. B. Interesse hätten, diese Arbeit mal vor Ort zu sehen, wäre das sicher sehr hilfreich, denn es fehlt doch bei diesen Leuten die Erfahrung mit Hirtenhunden. Das heißt also, könntest Du da Kontakte vermitteln?

Suzette: "Ich kenne hier jede Menge Hirten. Habe auch sehr guten Kontakt zu dem Naturschutzpark und zur Grupo Lobo (Verein, der den Wolf schützt). Wenn ein Schweizer, oder mehrere hierher kommen möchten, um zu sehen, wie das geht, kann ich mit Freude helfen. Der Naturschutzpark würde ebenso mitmachen. Das ist eine sehr gute Idee. Du kannst mit meiner Hilfe zählen. Ich kann einen Plan aufstellen, damit die Schweizer mit verschiedenen Hirten in Kontakt kommen, etc." 

Frage: Um das zu konkretisieren, Du würdest da eine Art Programm zusammen stellen können, um Interessenten mal über mehrere Tage in den Alltag der Hirten blicken zu lassen?

Suzette: "Falls Schweizer "Hirten" hierher kommen möchten, um zu schauen, wie das geht, kann ich alles ganz offiziell organisieren mit dem Naturschutzpark und Grupo Lobo. Vielleicht kann der Naturschutzpark ein Haus zur Verfügung stellen (falls das Budget der "Hirten" nicht sehr gross ist). Nächsten Monat sollte ich nach Lissabon an ein Seminar über den Schutz der Herden mit Hirtenhunden, von Grupo Lobo organisiert. Ich könnte einmal unverbindlich anfragen, was sie bieten könnten, ich kenne sie sehr gut. Wir könnten die Besucher in eine Gegend bringen, wo noch Wölfe sind.

Auch der Naturschutzpark hat ein allgemeines Interesse daran und er hat den Sitz in Manteigas. Es ist auch eine Promotion der Gegend. Ich kann auch die Presse einschalten und sogar das Fernsehen. Es sind immer interessante Nachrichten, wenn man über Tiere berichtet und dass Ausländer sich für portugiesische Hirtenkultur interessieren, das kann ich ganz gross herausbringen.

Ganz bestimmt kann ich jede Gruppe, die sich interessiert, wie der Estrela-Hund arbeitet und wie die Hirten dies alles handhaben, mit dieser Hirtenkultur in Kontakt bringen. Wenn man Gelegenheit hat, in diese abgelegenen Hirtenhütten einzutreten, dann ist dies ein unvergessliches Erlebnis!"

Die Hündin Jady

Frage zu den Hirten: In anderen Ländern ist die Kultur der Hirten und Nomaden eine Kultur, die mündlich weiter gegeben wird. Und in Portugal? Und noch die Frage, wie leben die Hirten heute?

Suzette: "Es sind meistens sehr einfache Leute. Manche können kaum schreiben, denn in der Schule sind Hirtenkinder etwas überfordert, weil es eine ganz andere Welt ist. So werden viele von ihnen wiederum Hirten, weil sie sonst nichts anders können.

Das Wissen, das die Hirten haben, wird ganz natürlich weitergeben. Sie lesen keine Bücher. Es gibt zwar auch hier Kurse für Hirten und Landwirtschaft, Käsewirtschaft etc.,  aber wenn einer kaum lesen kann, was macht er in diesem Kurs? Deshalb verkaufen viele Hirten die Milch an Käsefabriken, sie verdienen fast mehr, als wenn sie den Käse selbst herstellen.

Ich kenne einen Hirtensohn, der so einen Kurs gemacht hat und schon ein gewisses Niveau hat. Er arbeitet beim Naturschutzpark, weil es viele Brüder sind und es können nicht alle zugleich Hirten sein. Er ist der Mann, der als Pfleger für das Gehege, wo die Tansinha ist, eingesetzt wurde. Er kommt mit Tieren gut aus."

Frage: Kommen wir auch mal auf die Überlebensmöglichkeiten der Hirtenhunde zu sprechen. Glaubst Du auch, daß diese Rassen nur überleben können, wenn sie nicht nur als Arbeitshunde gebraucht werden?

Suzette: "Es ist schon so, dass die Rassen nur als Arbeitshunde kaum überleben werden. Ein Züchter muss seine Hunde verkaufen können, denn behalten kann er sie nicht und verschenken ist eine schlechte Lösung. Familienhunde müssen, wenn möglich einen anderen Charakter haben als Arbeitshunde. Doch muss ich sagen der Hirtenhunde Grundcharakter bleibt schon immer erhalten.

Obschon so viel über die Züchter geschimpft wird, sind diese doch unentbehrlich, um die Rassen nicht aussterben zu lassen, denn nur mit den Hirtenhunden, die von den Hirten kommen, geht die Rasse heute nicht weit.

Das kann ich am Beispiel von Portugal schildern. Als die Wölfe in den 70iger Jahren aus der Gegend (Serra da Estrela) verschwanden, brauchten die Hirten nicht mehr so grosse Hunde. Kleinere frassen weniger und bellten auch. Zudem war es damals Mode, dass die Leute einen Dt. Schäferhund hatten oder sonst eine ausländische Rasse. Viele Hirten wanderten als Gastarbeiter aus und die Herden wurden kleiner. Der Estrela-Hund war damals sehr in Gefahr, es gab fast keine reinrassigen Hunde, denn diese vermischten sich mit anderen Rassen. Ich sehe den Hirt nicht als Hundezüchter. Er plant nie, mit wem seine Hündin gedeckt sein soll. Hirtenhunde sind immer frei und paaren sich mit wem sie wollen, also auch mit anderen Rassen.

Damals besannen sich einige Leute auf die Zucht von Estrela-Hunden, um die Rasse zu retten. Unter anderem auch ein Engländer, Roger Pye, der sogar ein Buch über die Rasse schrieb (auf englisch) mit vielen sehr interessanten alten Photos (Ich habe das Buch zum Verkaufen, es wurde wieder gedruckt vom holländischen Estrela-Klub und kostet 20 Euros).

Heute hilft der Naturschutzpark, damit die Hirten wieder echte Estrela-Hunde haben, denn die anderen Mischlinge jagen und schaden der Natur und eignen sich nicht gut für diese Aufgabe. Die Hirten sind sehr praktische Leute, sie mögen die Estrela-Hunde nicht nur, weil die Eignung dafür bewiesen ist, sondern auch, weil sie diese besser den Touristen verkaufen können. Aber bei den Hirtenhunde-Welpen weiss man nie, ob sie rein sind, denn wie gesagt, die Hündinnen sind frei und decken sich oft mehrmals mit verschiedenen Hunden.

Deshalb braucht es die Züchter, sonst stirbt die Rasse aus. Es gibt natülich gute und schlechte Züchter, das ist ein anderes Kapitel."

Frage: Nochmal kurz zu den Ausstellungen. Einer Deiner Hunde wurde ja 2000 Weltsieger.

Suzette: "Ich war 2000  mit meinem Bolero in Mailand an der Hunde-Weltausstellung (Bolero ist dort Weltchampion geworden) ich bin noch heute stolz."

Weltausstellung 2000 in Mailand
Weltsieger Bolero

Frage: Wie war denn für Dich Dortmund und warum stellst Du heute den Bolero nicht mehr aus?

Suzette: "Auch Dortmund habe ich in allerbester Erinnerung. Nur nehme ich inzwischen den Bolero nicht mehr mit, er ist zu stark und würde sich von zu vielen Hunden provozieren lassen. Ziehe nun einen neuen jungen Rüden heran, er heisst Everest, 6 Monate alt. Der Charakter ist super, sehr lieb und will allen schmeicheln wie sein Grossvater Bolero. Ich hoffe, dass ich ihn besser als Bolero erziehen kann. Nehme ihn überall mit, damit er sich an alles gewöhnt und nicht zu sehr an der Leine zieht."

Frage: Sind denn Ausstellungen nicht auch dazu da, die Eitelkeiten der Hundebesitzer zu befriedigen?

Suzette: "Gebe Dir 100% recht. Fuer viele ist der Hund nur Mittel zum Zweck. An Ausstellungen kommt dies besonders krass zum Vorschein. Trotzdem bin ich manchmal dort anzutreffen, auch um zu sehen, was so los ist. Aber es ist ein Zirkus der Eitelkeit und dann beschliesse ich, dass ich eine zeitlang nicht mehr hingehe, bis ich trotzdem wieder gehe (mit Pausen dazwischen)."

Frage: Kommen wir mal zu dem in Deutschland am kontroversesten diskutierten Thema, der Haltung von Hirtenhunden. Wenn man mit dem Welpen anfängt, wäre die Frage, wann soll er in seine neue Umgebung oder von der Mutter weg?

Suzette: "Meiner Erfahrung nach gewöhnen sich Welpen schneller an eine neue Familie, wenn sie 2 Monate. alt, als wenn sie schon 3 Monate alt sind. Dies obschon viele sagen, der Welpe soll solange wie möglich mit seinen Geschwistern leben. Aber mit 3 Monaten hat er bereits starke Bindungen entwickelt und hat mehr "Heimweh" (am Anfang) als ein jüngerer Welpe.

Beim Hirten ist es auch so, aber ein Welpe gewöhnt sich schneller an eine Herde, wenn auch andere Hunde da sind. Eigentlich lernt er instinktiv die Herde zu bewachen, wie er ein Haus bewachen würde. Das Beschützen ist genetisch fixiert, da muss man dem Welpen nichts lernen. Nur, wenn der Welpe in einer Herde sein soll, dann soll er sehr wenig Kontakte zum Menschen haben. Der Hirt soll ihm Futter geben, aber diese tun sonst nichts mit den Hunden, die sind einfach da. Es wird ganz selten gestreichelt oder höchstens, wenn ein Tourist fotographiert. Wenn der Welpe in der Familie leben soll, ist die Sozialisation eben ganz anders."

Frage: Aber wenn ein Welpe so früh zu einem Hirten kommt, ist er doch noch gar nicht kräftig genug, um mit der Herde mitzuhalten? In einer Familie kann man ihn ja ruhig schlafen und ausruhen lassen, bei der Herde geht das nicht.

Suzette: "Stimmt, die jungen Estrela-Hunde können noch nicht mit der Herde mitgehen, würden zu schnell müde. So schliesst der Hirt die Welpen mit den jungen Schafen im Stall ein, bis am Abend die Herde zurück kommt. Die Welpen denken vielleicht, dass sie auch Ziegen (oder Schafe) sind und saugen dann ebenfalls bei den Mutterziegen Milch und so ist die Sozialisation in der Herde perfekt."

Frage: Du hast das Leben eines Hirtenhundes schon mal in einem anderen Zusammenhang erklärt. Die Erziehungsmethoden sind anders, als wir das gewohnt sind. Wie wirkt sich das dann auf das Leben der Hunde aus? Sind die Hunde Deiner Meinung nach dann trotzdem artgerecht gehalten?

Suzette: "Ich hatte es etwas krass erklärt, wie der Hirt die Hunde behandelt. Natürlich schlägt er nicht jeden Tag und wirft nicht mit Steinen jeden Tag auf die Hunde. Meistens nur einmal und alles geht seinen normalen Lauf nachher. Es gibt auch unterschiedliche Hirten, manche sind feinfühliger, andere eher etwas grob. Ein Tagesablauf von einem Hirtenhund hat auch sein Gutes. Der Hund spaziert den ganzen Tag mit der Herde, nie angebunden, ausser einem Hirtenhunde-Benehmen wird nichts von ihm verlangt. Er ist meistens mit 2 oder 3 Hunden zusammen und Hunde mögen im Rudel leben (ich würde sogar behaupten, lieber als ein verwöhnter Einzelhund in einer Familie auf dem Sofa in einer beheizten Wohnung). Das Fressen ist rudimental. Auch da variert es von Hirt zu Hirt. Es ist ein hartes Leben aber natürlich.

Nun, der Hirt hat sehr einfache Methoden, dem Hund etwas beizubringen. Er bringt ihm auch sehr wenig bei, sodass der Hund eigentlich einfach mitgeht. Ein Hund in der Hundeschule muss sich viel öfters unterordnen und das machen, was man von ihm verlangt, obwohl er eher Lust hätte einen schönen Spaziergang zu machen und nicht ständig die vielen Befehle zu hören. Deshalb sind Hirtenhunde so selbstständig. Ich denke, Hirtenhunde leben ein Leben, wie es Hunde seit Jahrhunderten gelebt haben. Man darf auch nicht denken, dass wir nun gerade seit 30 Jahren (höchstens) entdeckt haben, wie Hunde leben müssen. Die früheren Generationen sind damit auch zurecht gekommen. Es war alles so natürlich, dass sich niemand Gedanken machte. Wenn man richtig denkt, dann denke ich, dass es in Mitteleuropa nicht mehr oder weniger glückliche Hunde hat, es hat nähmlich auch sehr viel Hunde-Elend und viele ausgesetzte Hunde. Es hat vielleicht nur bessere Tierheime, das ist der Unterschied. Ich habe vor kurzem Photos geschickt über einen schönen Hirtenhund, dieser wäre wahrscheinlich nicht glücklich in einem geheizten Haus mit kleinen Spaziergängen von Zeit zu Zeit."

Frage: Wir haben schon darüber gesprochen, daß den Hunden auch immer wieder etwas passieren kann. Dazu kommt, daß sie eben ein "raueres Leben" führen, als z. B. Hunde bei uns. Das bedeutet doch dann eine sehr strenge Auslese.

Suzette: "Es ist eine Tatsache, dass den Hirtenhunden viel öfters etwas geschieht, weil sie so unabhängig sind. Es ist auch so, dass dieses Hirtenleben so robuste und gesunde Tiere hervorgebracht hat, denn nur die intelligenten und gesunden Hunde konnten sich vermehren. Ob das grausam ist oder nicht, sei dahingestellt, denn in der Natur überlebt eben auch nur der Stärkere.

Zusammenfassung: Man darf das Hirtenleben nicht zu sehr idealisieren. Die Hirten haben ihre eigenen Methoden und für ihr Leben hat es sich bewährt. Ich denke sogar, dass die Hirten im Kaukasus oder in der Türkei ganz ähnlich handeln. Meine Hunde sind enorm verwöhnt im Vergleich mit Hirtenhunden, bestes Essen, gut gepflegt, gute tierärztliche Versorgung, liebevollen Kontakt, Rudelleben und grosser Auslauf, etc. Aber... ich kann nicht den ganzen Tag spazieren. Wenn sie balgen, muss ich sie manchmal trennen. Hirtenhunde können ihre ganze Veranlagung richtig ausleben. Übrigens wirft der Hirt auch mit Steinen, wenn ein Schaf in die falsche Richtung geht. das ist einfach etwas, das sie immer zur Hand haben. Es ist natürlich nicht so, dass die Tiere jedesmal verletzt werden, es ist eher die Ausnahme, aber ich habe dies schon gesehen. Also kommt und schaut Euch das vor Ort an."

Wird fortgesetzt ...

Alle Bilder sind von Suzette Preiswerk da Mota Veiga