Ausgabe 01/2011
Januar + März 2011

 

AMICA ALBA –

Weil Hunde unsere Freunde sind

Als Hartmut mich bat einen Artikel zu schreiben, über mich, wer ich bin, was ich tue und warum ich glaube, die Welt bräuchte noch einen Hundetrainer bzw. eine Hundetrainerin, habe ich mich sehr gefreut und spontan zugesagt.

 

Leichter gesagt als getan. Um einen Ansatz zu finden, denke ich an all die Begegnungen in meinem Leben mit Hunden, mit Menschen. Für mich ist klar, dass es hier nicht einmal um irgendwelche Erziehungsformen geht, ja noch nicht einmal um Domestikation oder Lebensgrundlagen -sicherung im weiteren Sinne, ich glaube, hier geht es um ganz andere, viel subtilere Themen. Gefühle und Wünsche, die aus den Tiefen unserer Seelen entspringen. Sehnsüchte, die unser Unterbewusstsein handeln lassen und auf jegliche Ratio verzichten. Diese Seiten der alten Mensch-Hund Beziehung zu beleuchten, sie zu verstehen ist mir wichtig. Unser Leben überhaupt zu verstehen, als Menschen und als Weggefährten all derer, die in Abhängigkeit von uns leben.

 

Was ist das für eine Welt heutzutage, in der alles funktionieren muss? Der Zufall und die Unsicherheit sind unerwünschte Weggefährten, die das glückliche Leben behindern und den reibungslosen Ablauf des zeitlich so eng bemessenen Alltags gefährden. Terrorwarnungen, Kriegsschauplatzberichte, Gewalt in Familien, Amokläufe, Vergewaltigungen, Naturkatastrophen, Korruption, Wirtschaftskrise, Mord. Tagtäglich werden wir bombardiert mit Gefahr, Verzweiflung, Armut und Grausamkeit. Die Sprache ist hart und unbarmherzig,  der Umgang mit unseren Mitmenschen gleichgültig bis feindselig. Anonymität zieht sich wie ein Nebelschleier über die Städte und Metropolen dieser Erde. 

 

Jeder ist sich selbst der Nächste. Immer mehr Menschen sind depressiv, Eltern vernachlässigen ihre Kinder, Jugendliche haben keine Perspektiven, Alte werden überfallen oder betrogen. Es gibt immer weniger Geld, immer mehr Krankheiten, immer mehr Böses und immer weniger Gutes. Irgendwas läuft hier gewaltig schief!

 

Und nun werden Sie sich vielleicht fragen, was das jetzt mit Hunden zu tun hat? Nun, ich denke eine ganze Menge. Um den Bogen zu schlagen möchte ich den belgischen Schriftsteller Maurice Maeterlinck zitieren:

 

„Wir sind allein, völlig allein auf diesem Planeten.

Von all den Lebensformen um uns herum hat sich außer dem Hund keine auf ein Bündnis mit uns eingelassen.“

 

Ich finde diese zwei Sätze äußerst ernüchternd. Wir Menschen, die wir doch angeblich die am weitest entwickelten Wesen auf dieser Erde sind, die wir so viel Fortschritt haben. Wir haben es nicht geschafft mehr als einen Freund außerhalb unserer eigenen Art zu finden. Also sind wir einsam.

 

Aber niemand möchte einsam sein, und deshalb hat jeder das Bedürfnis dieser Einsamkeit zu entrinnen. Einsamkeit spielt eine große Rolle, wenn es um die Mensch-Hund Beziehung geht. Und leider wissen zu viele Menschen auf dem großen Weltmarkt des Hundeverkaufs genau darum. Es macht mich fast ohnmächtig, wenn ich mich so durchs World Wide Web surfe, und sie mich anspringen, diese vielen, vielen Anzeigen, anhand derer uns das Leid dieser erbarmungswürdigen Vierbeiner verdeutlicht wird. Hunde, die uns brauchen, weil sie sonst genauso einsam sind wie wir Menschen, wenn wir keinen Hund besitzen. Da gibt es Seiten, die an unser Mitgefühl appellieren, die Helfer- und Beschützerinstinkte in uns auslösen:

„Olga, die sanfte Seele“, „Blacky mit den treuen Augen“, „Linda auf der Suche nach ein bisschen Hundeglück“, „Tedd, er wartet schon so lange“. Und dann gibt es die Seiten, die in uns Muttergefühle und freudige Neugierde wecken: „Achtung Suchtgefahr! Bolonkawelpe zum verlieben“, „Ein Traum von Chihuahua“, „Die süßeste Versuchung seit es Labradore gibt“

Der Handel mit Hunden hat eine perverse Höhe erreicht. Hier werden Gefühle manipuliert, Lebewesen angepriesen wie Pralinen, wie Liebesbekenntnisse, wie Patentrezepte für Freude und Glück. Und dieses Glück können wir einfach kaufen. Wie praktisch!

 

Fast alle Rassen werden auf den Züchterseiten als die Familienhunde schlechthin angepriesen, als treue Begleiter mit genetisch garantierter Kinderfreundlichkeit.

 

Hunde werden besser vermarktet als jedes Auto, jedes Spielzeug. Sie werden als ein Versprechen verkauft, ein Versprechen auf ein besseres Leben mit Hund. Doch was passiert eigentlich, wenn wir dieses Versprechen gekauft haben? Wenn wir uns in all unserer Blauäugigkeit in einen dieser wandelnden vierbeinigen Jackpots vernarren?

 

Dann zieht er nämlich bei uns ein, unser verlässlichster Freund, unser ständiger Begleiter, unser Kindersatz. Er ist gerade acht Wochen alt, wirklich süß und knuffig. Vielleicht ist es ein Pudel, ein Beagle, vielleicht ein Neufundländer, ein Podhalaner oder eine rumänische Straßenmischung. Egal! Auf jeden Fall braucht er viel Liebe! Ja, und Aufmerksamkeit! Aufmerksamkeit und Zuwendung. All seine Bedürfnisse müssen befriedigt werden, selbst die, von denen er noch nicht einmal weiß, dass er sie hat. Schließlich soll er glücklich werden. Und um es nicht zu vergessen, er soll auch glücklich machen. Das ist unsere romantische Vorstellung vom besten Freund des Menschen. Auf dieser Ebene der Irrationalität begegnen wir unseren armen Hunden. Und dann? Ja dann kommt das böse Erwachen.

 

Er pinkelt auf den Teppich, er zernagt die Telefonkabel und springt die Kinder an. Alle zwei Stunden muss er in den Garten gebracht werden, oder die Treppe runter vor die Haustür des Plattenbaus, in dem man wohnt. Nachts fängt er an zu jaulen und zu winseln, so ganz allein in seinem Körbchen. Draußen tollt er auf der Wiese und ist neugierig, so neugierig, dass er nicht kommt, wenn man ihn ruft. Er wächst. Nach ein paar Wochen, wenn der Babyspeck weniger geworden ist, sieht er plötzlich gar nicht mehr so süß aus, eher so komisch hochbeinig und staksig. Er kommt immer noch nicht wieder, wenn man ruft, im Gegenteil, hört er die Stimme seines Menschen, läuft er schneller in die andere Richtung.

 

Spielzeuge werden regelrecht zerstört, aber wenigstens macht er nicht mehr auf den Teppich. Bei Begegnungen mit anderen Hunden verhält sich der Jungspund zusehends merkwürdiger. Er zieht wie ein Irrer an der Leine, manchmal fängt er sogar zu bellen an. Auch fremde Menschen werden in freudiger Erregung angesprungen.

 

Ein Jahr später: Nichts funktioniert mehr. Die wenigen Kommandos, die man seinem Liebling bis dato mühsam beigebracht hat scheinen wie aus seinem Gedächtnis gelöscht. Alle unerwünschten, und manchmal äußerst peinlichen Verhaltensweisen haben sich drastisch verstärkt. Aus dem unsicheren Knurren und Bellen ist ernst gemeintes Pöbeln geworden, immer öfter muss er an die Leine, immer weniger Kontakt zu anderen Tieren ist erlaubt. Die Spaziergänge, die eigentlich eine willkommene Ablenkung zum grauen Arbeitsalltag hätten sein sollen, entwickeln sich zu einem nervenaufreibenden Horrorszenario.

 

Irgendwie begreift man allmählich, dass der Hund, den man so gutgläubig gekauft hat, sein Versprechen nicht eingelöst hat. Er ist nicht automatisch zum treuen Begleiter geworden, er schnappt nach den Kindern und knurrt, wenn man an sein Spielzeug möchte. Man hat keinen Familienhund gekauft, auch wenn es auf der Packung stand. Genauso geht es den Leuten, die sich keinen Welpen sondern einen Hund aus der Tötungsstation in Lissabon gerettet haben. Diese arme geschundene Kreatur wurde von seinen neuen Besitzern gehegt und gepflegt. Nie wieder sollte ihr Liebling leiden. Nach kürzester Zeit aber lässt er niemanden mehr an Frauchen ran, nicht mal mehr den eigenen Mann, geschweige denn die Kinder. Stubenrein ist er auch nicht, auf den portugiesischen  Strassen war das kein Schulfach, das er belegen musste. Und das Schlimmste ist:  Der Hund zeigt keinerlei Dankbarkeit, dass man ihn gerettet hat. Im Gegenteil, es ist ihm sogar völlig egal.

 

Und nun? Niemand hat einem gesagt, dass man selber dafür Sorge tragen muss, diesen Hund zu dem zu machen, was sie gerne hätten.

 

Und nun? Nun erinnert man sich daran, dass es Menschen gibt, die sich Hundetrainer nennen. Manche betreiben sogar Hundeschulen. Sie können helfen! Und wieder stürzt sich der nichts ahnende Hundehalter in ein Konvolut von Angeboten. Dieser Hundetrainer verspricht eine völlig gewalt- und zwangfreie Erziehung, die nur auf Motivation und positiver Verstärkung basiert. Jener schwört auf das freundliche Hilfsmittel Clicker. Der dort ist überzeugt Hunde müssen permanent beschwichtigt werden, damit man problemlos mit ihnen leben kann. Und dort hinten der, der meint sogar Hundeerziehung bei ihm mache immer Spaß.

 

„In zehn Schritten zum Erfolg“, „Hundeflüsterer - Der sanft Weg in ein harmonisches Miteinander“. Wieder werden Versprechen gegeben, wieder Gefühle manipuliert und Patentrezepte verkauft.

 

Wenn man die Websites der verschiedenen Hundetrainer miteinander vergleicht, stellt sich schnell heraus, dass die bereits seit Kindesbeinen an tief empfundene Liebe zu Hunden der Beweis schlechthin ist für ein qualifiziertes Umgehen mit Hund und Halter. Aber das ist meist auch schon das einzig gemeinsame Merkmal all dieser Kenner vom Fach. Denn die Varietät der Erziehungstheorien ist mehr als breit gefächert. Fast jeder Hundetrainer hat seine eigenen. Entweder selbst entwickelt oder von der Oberguruleitstelle nach kritischer Durchleuchtung für sich übernommen.

 

Und dann geht es auch schon los: die einen lecken sich am liebsten den ganzen Tag die Lippen und blinzeln mit den Augen, die anderen gehen zu ihrem Hund in die Hocke und schnüffeln auch mal dort, wo er gerade seine Nase rein gesteckt hat. Ein dritter zückt die Leckerpistole und bombardiert den Hund mit Käse, Leberwurst oder den Runden mit dem Loch drin. Jedes Konzept ist natürlich  DAS Lösungskonzept schlechthin: „wirkt bei Millionen von Hunden und nach drei Tagen ist das Problem behoben.“ „Welches Problem?“ „Jedes! Egal wie geartet!“

 

Welch Glücksgefühl, welch Einfachheit!

 

Aber bleiben wir doch mal am Boden: Welch Lügerei, Quacksalberei und Betrügerei. Vielleicht, und da lehne ich mich aber weiter als weit aus dem Fenster, gar nicht mal beabsichtigt. Die ahnungslosen und meist wirklich überforderten Hundehalter werden mit völlig pauschalisierten Behauptungen, Ansichten und Erfolgsrezepten zugepflastert. Irgendwie klingt es überzeugend, aber irgendwie weiß man gar nicht so genau was das eigentlich heißt: „Ihr Hund hat ein Dominanzproblem!“, „Sie müssen sich als Rudelchef durchsetzen!“, „Heben Sie nie Ihre Stimme, dass könnte Ihren Hund verängstigen!“, „Halten Sie Ihrem Hund ein Leckerli oder sein Lieblingsspielzeug vor die Nase, wenn er einen anderen Hund sieht. Er wird dies nach kurzer Zeit miteinander verknüpfen und Begegnungen mit Artgenossen als durchweg positiv ansehen.“ Ja genau. Wir sehen auch ständig Eltern mit ihren Kindern an Spielplätzen vorbeigehen, das Gummibärchen dem Kind vor die Nase haltend in der Hoffnung, dass es einem folgt.

 

Nach soviel kompetenter Zuwendung geht man am Ende gern nach Hause, begleitet von einem Gefühlsgemisch aus Verunsicherung, Ungläubigkeit und Schuldgefühlen. Alles hat man falsch gemacht, und dabei wäre es so einfach gewesen.

 

Was offenbar die meisten Menschen, die mit Hunden zu tun haben entweder nie gewusst haben, oder immer wieder vergessen ist: Hundeerziehung ist INDIVIDUELL! Übrigens genau wie Kindererziehung. Selbst innerhalb einer Familie wird nicht jedes Kind gleich erzogen. Charakterliche Besonderheiten werden berücksichtigt. Und das müssen sie auch, denn sonst klappt es nämlich überhaupt nicht mit dem harmonischen Zusammenleben. Und auch bei Hunden verhält es sich so. Nur ein ausführliches Gespräch mit dem Hundehalter, im besten Fall mit allen, die mit dem Hund zusammenleben, kann Aufschluss darüber geben, womit man es zu tun hat. Hausbesuche, gezieltes Einzeltraining, regelmäßige Überprüfung des Trainingsplans auf Effizienz. Das sind Merkmale einer ganzheitlichen Hundeerziehung.

 

Nicht auf dem Platz im Kreis gehen, clicken wenn der Hund guckt, und ihm ein Lecker vor die Nase halten, sobald er etwas Interessantes entdeckt. Nicht einen Angsthund Zwangsstreicheln und ihn dabei aber möglichst nicht anschauen, damit er weiß, dass man ihm nichts tun will.

 

Pauschalurteile über Hundeerziehung sind immer gefährlich, weil sie niemals all das berücksichtigen können, was das Leben des einzelnen Hundes und seiner Menschen tatsächlich beeinflusst. Leider ist der Trend heutzutage vermehrt die Laissez-faire und Konflikt vermeidende Antwort auf die strengen und häufig auf Schmerz und Zwang basierenden Erziehungsformen der Vergangenheit. Mir scheint jedoch, dass der Reflektionscharakter beider Formen eher oberflächlich ist und mehr der Selbstdarstellung dient, als das sie im Sinne unserer Hunde liegt.

 

Die Fragen, die Hunde uns stellen haben sozialen Charakter, jede Handlung könnte heißen: “Darf ich das?“ Wir schulden ihnen eine Antwort. Es liegt in unserer Verantwortung unsere Hunde zu lebensfähigen, sprich gesellschaftsfähigen Begleitern zu machen. Tun wir das nicht, lassen wir sie im Stich, denn alleine können sie diesen Anforderungen, die an sie gestellt werden niemals gerecht werden.

 

Wenn Menschen zu mir kommen und mich um Hilfe bitten, ist es meine Aufgabe sie daran zu erinnern, dass sie es sind, die mit ihren Hunden sprechen müssen, ihnen Antworten geben müssen. Und es ist mein Job ihnen das Vermögen zu geben mit ihren Hunden sprechen zu KÖNNEN und ihnen Antworten geben zu KÖNNEN. Hilfe zur Selbsthilfe und jeden Hundehalter am Ende eines gemeinsamen Weges alleine weiter gehen zu lassen mit dem guten Gefühl, dass er oder sie fortan kein Problem „Hund“ mehr hat, sondern eine gesunde Freundschaft zwischen ihnen herrscht.

 

Und um Maurice Maeterlinck nicht so unbeantwortet im Raum stehen zu lassen, möchte ich gerne eine andere Meinung zitieren, die genau erkannt hat, welche Großartigkeit darin steckt, überhaupt ein Lebewesen seinen Freund nennen zu können. Ganz nach Schillers „Ode an die Freude“ gilt doch allzeit:

 

„Wem der große Wurf gelungen eines Freundes Freund zu sein
wer ein holdes Weib errungen mische seinen Jubel ein

ja, wer auch nur eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund
und wers nie gekonnt der stehle weinent sich aus diesem bund“

 

Jelena Nitschke

 

www.amica-alba.de