Als
Hartmut mich bat einen Artikel zu schreiben, über mich, wer ich bin, was ich
tue und warum ich glaube, die Welt bräuchte noch einen Hundetrainer bzw. eine
Hundetrainerin, habe ich mich sehr gefreut und spontan zugesagt.
Leichter
gesagt als getan. Um einen Ansatz zu finden, denke ich an all die Begegnungen
in meinem Leben mit Hunden, mit Menschen. Für mich ist klar, dass es hier nicht
einmal um irgendwelche Erziehungsformen geht, ja noch nicht einmal um Domestikation
oder Lebensgrundlagen -sicherung im weiteren Sinne, ich glaube, hier geht es um
ganz andere, viel subtilere Themen. Gefühle und Wünsche, die aus den Tiefen
unserer Seelen entspringen. Sehnsüchte, die unser Unterbewusstsein handeln
lassen und auf jegliche Ratio verzichten. Diese Seiten der alten Mensch-Hund
Beziehung zu beleuchten, sie zu verstehen ist mir wichtig. Unser Leben
überhaupt zu verstehen, als Menschen und als Weggefährten all derer, die in
Abhängigkeit von uns leben.
Was ist
das für eine Welt heutzutage, in der alles funktionieren muss? Der Zufall und
die Unsicherheit sind unerwünschte Weggefährten, die das glückliche Leben
behindern und den reibungslosen Ablauf des zeitlich so eng bemessenen Alltags
gefährden. Terrorwarnungen, Kriegsschauplatzberichte, Gewalt in Familien,
Amokläufe, Vergewaltigungen, Naturkatastrophen, Korruption, Wirtschaftskrise,
Mord. Tagtäglich werden wir bombardiert mit Gefahr, Verzweiflung, Armut und
Grausamkeit. Die Sprache ist hart und unbarmherzig, der Umgang mit unseren
Mitmenschen gleichgültig bis feindselig. Anonymität zieht sich wie ein
Nebelschleier über die Städte und Metropolen dieser Erde.
Jeder ist
sich selbst der Nächste. Immer mehr Menschen sind depressiv, Eltern
vernachlässigen ihre Kinder, Jugendliche haben keine Perspektiven, Alte werden
überfallen oder betrogen. Es gibt immer weniger Geld, immer mehr Krankheiten,
immer mehr Böses und immer weniger Gutes. Irgendwas läuft hier gewaltig schief!
Und nun
werden Sie sich vielleicht fragen, was das jetzt mit Hunden zu tun hat? Nun,
ich denke eine ganze Menge. Um den Bogen zu schlagen möchte ich den belgischen
Schriftsteller Maurice Maeterlinck zitieren:
„Wir sind
allein, völlig allein auf diesem Planeten.
Von all
den Lebensformen um uns herum hat sich außer dem Hund keine auf ein Bündnis mit
uns eingelassen.“
Ich finde
diese zwei Sätze äußerst ernüchternd. Wir Menschen, die wir doch angeblich die
am weitest entwickelten Wesen auf dieser Erde sind, die wir so viel Fortschritt
haben. Wir haben es nicht geschafft mehr als einen Freund außerhalb unserer
eigenen Art zu finden. Also sind wir einsam.
Aber
niemand möchte einsam sein, und deshalb hat jeder das Bedürfnis dieser
Einsamkeit zu entrinnen. Einsamkeit spielt eine große Rolle, wenn es um die Mensch-Hund
Beziehung geht. Und leider wissen zu viele Menschen auf dem großen Weltmarkt
des Hundeverkaufs genau darum. Es macht mich fast ohnmächtig, wenn ich mich so
durchs World Wide Web surfe, und sie mich anspringen, diese vielen, vielen
Anzeigen, anhand derer uns das Leid dieser erbarmungswürdigen Vierbeiner
verdeutlicht wird. Hunde, die uns brauchen, weil sie sonst genauso einsam sind
wie wir Menschen, wenn wir keinen Hund besitzen. Da gibt es Seiten, die an
unser Mitgefühl appellieren, die Helfer- und Beschützerinstinkte in uns
auslösen:
„Olga, die
sanfte Seele“, „Blacky mit den treuen Augen“, „Linda auf der Suche nach ein
bisschen Hundeglück“, „Tedd, er wartet schon so lange“. Und dann gibt es die
Seiten, die in uns Muttergefühle und freudige Neugierde wecken: „Achtung
Suchtgefahr! Bolonkawelpe zum verlieben“, „Ein Traum von Chihuahua“, „Die
süßeste Versuchung seit es Labradore gibt“
Der Handel
mit Hunden hat eine perverse Höhe erreicht. Hier werden Gefühle manipuliert,
Lebewesen angepriesen wie Pralinen, wie Liebesbekenntnisse, wie Patentrezepte
für Freude und Glück. Und dieses Glück können wir einfach kaufen. Wie
praktisch!
Fast alle
Rassen werden auf den Züchterseiten als die Familienhunde schlechthin
angepriesen, als treue Begleiter mit genetisch garantierter
Kinderfreundlichkeit.
Hunde
werden besser vermarktet als jedes Auto, jedes Spielzeug. Sie werden als ein
Versprechen verkauft, ein Versprechen auf ein besseres Leben mit Hund. Doch was
passiert eigentlich, wenn wir dieses Versprechen gekauft haben? Wenn wir uns in
all unserer Blauäugigkeit in einen dieser wandelnden vierbeinigen Jackpots
vernarren?
Dann zieht
er nämlich bei uns ein, unser verlässlichster Freund, unser ständiger
Begleiter, unser Kindersatz. Er ist gerade acht Wochen alt, wirklich süß und
knuffig. Vielleicht ist es ein Pudel, ein Beagle, vielleicht ein Neufundländer,
ein Podhalaner oder eine rumänische Straßenmischung. Egal! Auf jeden Fall
braucht er viel Liebe! Ja, und Aufmerksamkeit! Aufmerksamkeit und Zuwendung.
All seine Bedürfnisse müssen befriedigt werden, selbst die, von denen er noch
nicht einmal weiß, dass er sie hat. Schließlich soll er glücklich werden. Und
um es nicht zu vergessen, er soll auch glücklich machen. Das ist unsere
romantische Vorstellung vom besten Freund des Menschen. Auf dieser Ebene der
Irrationalität begegnen wir unseren armen Hunden. Und dann? Ja dann kommt das
böse Erwachen.
Er pinkelt
auf den Teppich, er zernagt die Telefonkabel und springt die Kinder an. Alle
zwei Stunden muss er in den Garten gebracht werden, oder die Treppe runter vor
die Haustür des Plattenbaus, in dem man wohnt. Nachts fängt er an zu jaulen und
zu winseln, so ganz allein in seinem Körbchen. Draußen tollt er auf der Wiese
und ist neugierig, so neugierig, dass er nicht kommt, wenn man ihn ruft. Er
wächst. Nach ein paar Wochen, wenn der Babyspeck weniger geworden ist, sieht er
plötzlich gar nicht mehr so süß aus, eher so komisch hochbeinig und staksig. Er
kommt immer noch nicht wieder, wenn man ruft, im Gegenteil, hört er die Stimme
seines Menschen, läuft er schneller in die andere Richtung.
Spielzeuge
werden regelrecht zerstört, aber wenigstens macht er nicht mehr auf den
Teppich. Bei Begegnungen mit anderen Hunden verhält sich der Jungspund
zusehends merkwürdiger. Er zieht wie ein Irrer an der Leine, manchmal fängt er
sogar zu bellen an. Auch fremde Menschen werden in freudiger Erregung
angesprungen.
Ein Jahr
später: Nichts funktioniert mehr. Die wenigen Kommandos, die man seinem
Liebling bis dato mühsam beigebracht hat scheinen wie aus seinem Gedächtnis
gelöscht. Alle unerwünschten, und manchmal äußerst peinlichen Verhaltensweisen
haben sich drastisch verstärkt. Aus dem unsicheren Knurren und Bellen ist ernst
gemeintes Pöbeln geworden, immer öfter muss er an die Leine, immer weniger
Kontakt zu anderen Tieren ist erlaubt. Die Spaziergänge, die eigentlich eine
willkommene Ablenkung zum grauen Arbeitsalltag hätten sein sollen, entwickeln
sich zu einem nervenaufreibenden Horrorszenario.
Irgendwie
begreift man allmählich, dass der Hund, den man so gutgläubig gekauft hat, sein
Versprechen nicht eingelöst hat. Er ist nicht automatisch zum treuen Begleiter
geworden, er schnappt nach den Kindern und knurrt, wenn man an sein Spielzeug
möchte. Man hat keinen Familienhund gekauft, auch wenn es auf der Packung
stand. Genauso geht es den Leuten, die sich keinen Welpen sondern einen Hund
aus der Tötungsstation in Lissabon gerettet haben. Diese arme geschundene
Kreatur wurde von seinen neuen Besitzern gehegt und gepflegt. Nie wieder sollte
ihr Liebling leiden. Nach kürzester Zeit aber lässt er niemanden mehr an
Frauchen ran, nicht mal mehr den eigenen Mann, geschweige denn die Kinder.
Stubenrein ist er auch nicht, auf den portugiesischen Strassen war das kein
Schulfach, das er belegen musste. Und das Schlimmste ist: Der Hund zeigt
keinerlei Dankbarkeit, dass man ihn gerettet hat. Im Gegenteil, es ist ihm
sogar völlig egal.
Und nun?
Niemand hat einem gesagt, dass man selber dafür Sorge tragen muss, diesen Hund
zu dem zu machen, was sie gerne hätten.
Und nun?
Nun erinnert man sich daran, dass es Menschen gibt, die sich Hundetrainer
nennen. Manche betreiben sogar Hundeschulen. Sie können helfen! Und wieder
stürzt sich der nichts ahnende Hundehalter in ein Konvolut von Angeboten.
Dieser Hundetrainer verspricht eine völlig gewalt- und zwangfreie Erziehung,
die nur auf Motivation und positiver Verstärkung basiert. Jener schwört auf das
freundliche Hilfsmittel Clicker. Der dort ist überzeugt Hunde müssen permanent
beschwichtigt werden, damit man problemlos mit ihnen leben kann. Und dort
hinten der, der meint sogar Hundeerziehung bei ihm mache immer Spaß.
„In zehn
Schritten zum Erfolg“, „Hundeflüsterer - Der sanft Weg in ein harmonisches
Miteinander“. Wieder werden Versprechen gegeben, wieder Gefühle manipuliert und
Patentrezepte verkauft.
Wenn man
die Websites der verschiedenen Hundetrainer miteinander vergleicht, stellt sich
schnell heraus, dass die bereits seit Kindesbeinen an tief empfundene Liebe zu
Hunden der Beweis schlechthin ist für ein qualifiziertes Umgehen mit Hund und
Halter. Aber das ist meist auch schon das einzig gemeinsame Merkmal all dieser
Kenner vom Fach. Denn die Varietät der Erziehungstheorien ist mehr als breit
gefächert. Fast jeder Hundetrainer hat seine eigenen. Entweder selbst
entwickelt oder von der Oberguruleitstelle nach kritischer Durchleuchtung für
sich übernommen.
Und dann
geht es auch schon los: die einen lecken sich am liebsten den ganzen Tag die
Lippen und blinzeln mit den Augen, die anderen gehen zu ihrem Hund in die Hocke
und schnüffeln auch mal dort, wo er gerade seine Nase rein gesteckt hat. Ein
dritter zückt die Leckerpistole und bombardiert den Hund mit Käse, Leberwurst
oder den Runden mit dem Loch drin. Jedes Konzept ist natürlich DAS
Lösungskonzept schlechthin: „wirkt bei Millionen von Hunden und nach drei Tagen
ist das Problem behoben.“ „Welches Problem?“ „Jedes! Egal wie geartet!“
Welch
Glücksgefühl, welch Einfachheit!
Aber
bleiben wir doch mal am Boden: Welch Lügerei, Quacksalberei und Betrügerei. Vielleicht,
und da lehne ich mich aber weiter als weit aus dem Fenster, gar nicht mal
beabsichtigt. Die ahnungslosen und meist wirklich überforderten Hundehalter
werden mit völlig pauschalisierten Behauptungen, Ansichten und Erfolgsrezepten
zugepflastert. Irgendwie klingt es überzeugend, aber irgendwie weiß man gar
nicht so genau was das eigentlich heißt: „Ihr Hund hat ein Dominanzproblem!“,
„Sie müssen sich als Rudelchef durchsetzen!“, „Heben Sie nie Ihre Stimme, dass
könnte Ihren Hund verängstigen!“, „Halten Sie Ihrem Hund ein Leckerli oder sein
Lieblingsspielzeug vor die Nase, wenn er einen anderen Hund sieht. Er wird dies
nach kurzer Zeit miteinander verknüpfen und Begegnungen mit Artgenossen als
durchweg positiv ansehen.“ Ja genau. Wir sehen auch ständig Eltern mit ihren
Kindern an Spielplätzen vorbeigehen, das Gummibärchen dem Kind vor die Nase
haltend in der Hoffnung, dass es einem folgt.
Nach
soviel kompetenter Zuwendung geht man am Ende gern nach Hause, begleitet von
einem Gefühlsgemisch aus Verunsicherung, Ungläubigkeit und Schuldgefühlen.
Alles hat man falsch gemacht, und dabei wäre es so einfach gewesen.
Was
offenbar die meisten Menschen, die mit Hunden zu tun haben entweder nie gewusst
haben, oder immer wieder vergessen ist: Hundeerziehung ist INDIVIDUELL!
Übrigens genau wie Kindererziehung. Selbst innerhalb einer Familie wird nicht
jedes Kind gleich erzogen. Charakterliche Besonderheiten werden berücksichtigt.
Und das müssen sie auch, denn sonst klappt es nämlich überhaupt nicht mit dem
harmonischen Zusammenleben. Und auch bei Hunden verhält es sich so. Nur ein
ausführliches Gespräch mit dem Hundehalter, im besten Fall mit allen, die mit
dem Hund zusammenleben, kann Aufschluss darüber geben, womit man es zu tun hat.
Hausbesuche, gezieltes Einzeltraining, regelmäßige Überprüfung des
Trainingsplans auf Effizienz. Das sind Merkmale einer ganzheitlichen
Hundeerziehung.
Nicht auf
dem Platz im Kreis gehen, clicken wenn der Hund guckt, und ihm ein Lecker vor
die Nase halten, sobald er etwas Interessantes entdeckt. Nicht einen Angsthund
Zwangsstreicheln und ihn dabei aber möglichst nicht anschauen, damit er weiß,
dass man ihm nichts tun will.
Pauschalurteile
über Hundeerziehung sind immer gefährlich, weil sie niemals all das
berücksichtigen können, was das Leben des einzelnen Hundes und seiner Menschen
tatsächlich beeinflusst. Leider ist der Trend heutzutage vermehrt die
Laissez-faire und Konflikt vermeidende Antwort auf die strengen und häufig auf
Schmerz und Zwang basierenden Erziehungsformen der Vergangenheit. Mir scheint
jedoch, dass der Reflektionscharakter beider Formen eher oberflächlich ist und
mehr der Selbstdarstellung dient, als das sie im Sinne unserer Hunde liegt.
Die
Fragen, die Hunde uns stellen haben sozialen Charakter, jede Handlung könnte
heißen: “Darf ich das?“ Wir schulden ihnen eine Antwort. Es liegt in unserer
Verantwortung unsere Hunde zu lebensfähigen, sprich gesellschaftsfähigen
Begleitern zu machen. Tun wir das nicht, lassen wir sie im Stich, denn alleine
können sie diesen Anforderungen, die an sie gestellt werden niemals gerecht
werden.
Wenn
Menschen zu mir kommen und mich um Hilfe bitten, ist es meine Aufgabe sie daran
zu erinnern, dass sie es sind, die mit ihren Hunden sprechen müssen, ihnen
Antworten geben müssen. Und es ist mein Job ihnen das Vermögen zu geben mit
ihren Hunden sprechen zu KÖNNEN und ihnen Antworten geben zu KÖNNEN. Hilfe zur
Selbsthilfe und jeden Hundehalter am Ende eines gemeinsamen Weges alleine
weiter gehen zu lassen mit dem guten Gefühl, dass er oder sie fortan kein
Problem „Hund“ mehr hat, sondern eine gesunde Freundschaft zwischen ihnen
herrscht.
Und um
Maurice Maeterlinck nicht so unbeantwortet im Raum stehen zu lassen, möchte ich
gerne eine andere Meinung zitieren, die genau erkannt hat, welche Großartigkeit
darin steckt, überhaupt ein Lebewesen seinen Freund nennen zu können. Ganz nach
Schillers „Ode an die Freude“ gilt doch allzeit:
„Wem der
große Wurf gelungen eines Freundes Freund zu sein
wer ein holdes Weib errungen mische seinen Jubel ein
ja, wer
auch nur eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund
und wers nie gekonnt der stehle weinent sich aus diesem bund“
Jelena Nitschke
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