Ausgabe 07/2006
Juli 2006

Foto: Veselin Paunov

Teamwork gegen Bär und Wolf

Bulgariens Schäfer wehren sich erfolgreich mit Lumpen und Hunden gegen Raubtiere

Während JJ1 alias Braunbär Bruno seit Wochen halb Deutschland und den Osten Österreichs beinahe so erfolgreich in Atem hält wie die Fußballweltmeisterschaft den Rest der Welt, schlagen sich Länder wie Bulgarien und Rumänien seit Jahrhunderten recht erfolgreich mit Tausenden von Wölfen und Bären herum, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Vielleicht sollten bayerische und tiroler Behörden also erst einmal bei Elena Zingarska anfragen, um zu erfahren, wie man deutsche Schafe vor italienischen Bären oder polnischen Wölfen schützt, die durch Oberbayern und den Nordosten Sachsens streifen. Elena Zingarska jedenfalls leitet vom kleinen Gebirgsdorf Vlahi im Nordwesten Bulgariens aus nicht nur die Naturschutzorganisation Balkani Wildlife Society, sondern weiß auch, wie man mit Lumpen und Hunden Bären und Wölfe in Schach hält.

Elena Zingarska
Foto: Roland Knauer

Die Lumpenmethode erklärt Martin Schneider-Jacoby von der Naturschutzstiftung Euronatur in Radolfzell am Bodensee, die von der Lufthansa unterstützt den bulgarischen Naturschützern mit Rat, Tat und Finanzmitteln zur Seite steht. Allerdings erübrigt sich die Geldspritze für die erste Methode zur Abwehr von Wölfen: Hängen die Schäfer an eine Wäscheleine alte Stofflappen und spannen diese Lumpenschnur um die Herde, stoppt diese Barriere Wölfe recht gut. Kein Zoologe hat bisher heraus bekommen, was die Tiere an diesem in Menschenaugen völlig harmlos aussehenden "Zaun" so erschreckt, dass sie auf den Hinterläufen kehrt machen und das Weite suchen. Vielleicht irritiert die Wölfe das unregelmäßige Flattern der Lappen im Wind. Fehlen solche rätselhaften Erscheinungen in der Erfahrungswelt eines Tieres, könnte die Natur das Motto "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste" signalisieren und eine Flucht einleiten. Vielleicht geht vom Stoff auch noch ein leichter Duft nach Mensch aus, der die Tiere an Gewehr-tragende Jäger erinnert. Oder ein Wolf erkennt die Wäscheleine mit den Lappen schon beim ersten Blick als Menschenwerk, hinter dem die Gewehrträger sitzen könnten.

Foto: Roland Knauer

Die Lumpenbarriere schreckt die Tiere auf alle Fälle ab, bestätigen Hirten und Naturschützer in Polen und Bulgarien gleichermaßen. Kombiniert man eine Wäscheleine mit einem Elektrozaun, wird die Wirkung sogar noch besser. Sobald ein Wolf einmal mit der feuchten, empfindlichen Schnauze einen Stromdraht berührt hat, vergisst er diesen Schlag wohl sein Leben lang nicht mehr und macht in Zukunft einen großen Bogen um jede Herde, die innerhalb eines Elektrogatters ruht.

So gut Elektrozäune und Lumpenbarrieren die Wölfe auch abschrecken mögen, sobald die Herden unterwegs sind und zum Beispiel zu ihren Bergweiden wandern oder auf diesen grasen, muss ein anderer Schutz her. In Bulgarien heißt er Karakatschan. So nennt sich die Bernhardiner-große Hunderasse, die dort als Herdenschutzhund fungiert. Mit ihren Artgenossen hierzulande aber haben die Karakatschan wenig gemein. In Deutschland kümmern sich die Hunde der Schäfer vor allem darum, die Herde zusammen zu halten und zu verhindern, dass unvorsichtige Tiere vor ein Auto auf der meist nahen Straße laufen.

Ganz anders die Situation in Bulgarien. Dort schützen seit vielen Jahrhunderten Karakatschan-Hunde die Herde vor den Attacken von Wölfen und Bären, von denen es jeweils noch einige Hundert im Land gibt. Nach dem zweiten Weltkrieg aber verschwanden die Hunde langsam aus den Herden. Und als man sich nach der politischen Wende in Bulgarien wieder an die traditionellen und effektiven Methoden erinnerte, war die Karakatschan-Rasse weitgehend ausgestorben. In dieser Situation begann die bulgarischen Semperviva - Gesellschaft ein Zuchtprogramm für die Hunderasse. Mit gutem Grund stiegen bald auch Elena Zingarska von der Balkani Wildlife Society und Euronatur in dieses Zuchtprogramm ein:

Seit im Dezember 1997 der erste Nachwuchs da war, der nicht für das Zuchtprogramm selbst benötigt wurde, schenken die Züchter den Hirten einige Welpen. Die kleinen Hunde wandern sofort in die Herde aus Schafen, Ziegen oder Kühen und werden von Muttertieren gesäugt. Es dauert nicht lange und die Karakatschan empfinden die Herde als ihr Rudel. In den Augen der Hunde mag ihr Rudel zwar recht groß sein und ihre Mitglieder mögen einen erstaunlich dicken Pelz oder seltsame Hörner tragen, aber mangels Alternative passt man sich eben an diese ungewöhnliche Truppe an. Inzwischen sind in Bulgarien wieder rund neunzig Karakatschan-Hunde im Schutz-Einsatz.

Die Tiere beherrschen ihren in vielen Jahrhunderten ausgefeilten Job perfekt: Ein paar Hunde sondieren vor der Herde, ob dort Wölfe oder Bären lauern, der Rest bildet die Nachhut und verhindert so Angriffe von hinten. Die Situation ändert sich schlagartig, wenn ein Bär oder ein Rudel hungriger Wölfe Appetit auf Schaffleisch bekommt. Jetzt verteidigen die Karakatschan ihr vor allem aus Vegetariern bestehendes Rudel mit allen Kräften.

Foto: Roland Knauer

Allerdings stürzen sich die Hunde keineswegs alle gleichzeitig auf die Angreifer, eine kleine Reserve bleibt erst einmal bei der Herde. Schließlich sind Wölfe ja schlau und starten vielleicht eine Scheinattacke auf einer Seite der Herde, um die Karakatschan-Hunde dorthin zu locken. Der eigentliche Angriff aber folgt ein wenig später von anderer Seite. Jetzt kommt die Karakatschan-Reserve zum Einsatz und die Angreifer kommen nicht zum Zuge.

Bis auf ganz wenige Ausnahmen, in denen die Hirten Fehler machten, wehren die Hunde solche Attacken erfolgreich ab. Einige Schafe mögen bei den vergeblichen Angriffen zwar noch verwundet werden, gerissene Tiere aber müssen die Hirten kaum noch beklagen, die natürlichen Verluste durch Abstürze und Krankheiten sind höher. Diese positive Entwicklung spricht sich natürlich unter den Hirten rasch herum und die Nachfrage nach Karakaschan-Welpen wächst in den bulgarischen Gebirgszügen der Rhodopen, des Pirin und des Rila enorm an. Vielleicht sollten die zuständigen Politiker in Deutschland und Österreich langfristig also weniger skandinavische Hunde einfliegen lassen, die Bären jagen, sondern eher Karakatschan-Hunde aus Bulgarien holen, die Herden verteidigen. Ein paar Lumpen und eine Wäscheleine werden sich die mitteleuropäischen Hirten dann vermutlich auch noch leisten können. So bekommen Bären und Wölfen die Chance, die ohnehin vielerorts zu hohen Bestände an Wildschweinen und Hirschen zu dezimieren.

Roland Knauer

Landschaft bei Vlahi
Foto: Roland Knauer

Dieser Artikel erschien in verschiedenen Zeitungen, unter anderem am 16. Juni 2006 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Wir bedanken uns bei dem Autoren Roland Knauer (roland.h.knauer@t-online.de) ganz herzlich für diesen Text und auch die Bilder.

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