Ausgabe 01/2011

Januar - März 2011

 

Kirschen für die Bären

Obstgärten und Tierkadaver bringen den Naturschutz
im Norden Spaniens voran

In schnurgeraden Reihen stehen die gut zwei Meter hohen, blassgrünen Plastikröhren mit drei Meter Abstand zueinander an einem steilen Berghang in der Region Asturien im Norden Spaniens. In den Röhren wachsen Kirschen, Ebereschen und Maulbeeren in ein paar Jahren zu einem Obstgarten heran. „Mit den Früchten können sich dann die Bären den Bauch vollschlagen“, erklärt Roberto Hartasánchez. Der Präsident der spanischen Naturschutzorganisation FAPAS (Fondo Asturiana para la Protección de los Animales Salvajes) hat einen triftigen Grund, statt auf urwüchsige Natur auf Landwirtschaft zu setzen, um den letzten Bären der iberischen Halbinsel zu helfen: Mit dieser Strategie hat sich die Zahl der Bären hier im Westteil des Kantabrischen Gebirges seit dem Jahr 2000 auf 150 Tiere fast verdoppelt.

FAPAS-Präsident Roberto Hartasánchez versorgt die Braunbären
im Kantabrischen Gebirge mit Obst

Abgesehen von vielleicht zwanzig Braunbären im Osten des Kantabrischen Gebirges und sehr wenigen Pyrenäen-Bären sind diese 150 Tiere die letzten Vertreter der Art Ursus arctos auf der Iberischen Halbinsel. Seit vielen Jahrhunderten haben Äcker, Obstgärten und Weiden die Urwälder verdrängt, in denen die Bären einst lebten. Die Tiere haben sich längst an diese Situation angepasst und plündern im Frühsommer eben die ersten Kirschen. „In der verlassenen Finca El Coronel hatte sich im Frühsommer 2009 ein Bär häuslich bei den Obstbäumen eingerichtet“, erinnert sich Gabriel Schwaderer von der Naturschutzorganisation Euronatur in Radolfzell, die FAPAS seit Jahrzehnten unterstützt. Der Bär klettert dann geschickt auf die Bäume und erntet je nach Jahreszeit Kirschen oder Äpfel einfach von oben. Begeistert waren die Bauern von solchen Plünderungen natürlich nicht. Vor allem wenn größere Äste unter dem Gewicht des Bären abbrachen oder die Tiere sich auf die Hinterbeine stellten, die Äste mit den Früchten Richtung Maul zogen und das Splittern von Holz erheblichen Flurschaden signalisierte. Der eine oder andere Bär zahlte solche Aktionen daher mit seinem Leben, weil so mancher Bauer auch ein Gewehr im Schrank stehen hat. Im Großen und Ganzen aber reichte das Obst für beide.

Trotzdem gaben viele Experten dem Überleben der Art in Spanien kaum noch Chancen, als sich die 1982 gegründete Organisation FAPAS 1985 den Schutz der Braunbären in Asturien auf die Fahnen schrieb. Zwar waren die Tiere 1972 unter Schutz gestellt worden, Wilderer aber dezimierten den Bestand weiter. Mit einem Bündel von Maßnahmen und in enger Zusammenarbeit mit offiziellen Stellen aber konnten die Naturschützer das Blatt wenden. So ersetzte die Regierung der Region Asturien zwischen 1985 und 1988 den Bauern 80 Prozent des Schadens, wenn ein Bär Vieh gerissen hatte, FAPAS ergänzte die fehlenden 20 Prozent. Seit 1988 übernimmt die Regionalregierung das Kompensieren der Schäden sogar komplett, meist haben die Bauern innerhalb einer Woche das Geld. Warum aber sollte ein Bauer zum Gewehr greifen, wenn ihm finanziell kein Nachteil mehr entsteht? Da ließen die Besitzer der oft kleinen Fincas in Asturien schon lieber eine verendete Kuh liegen. Bären sind ohnehin keine überaus geschickten Jäger und halten sich bei ihren ohnehin eher seltenen Fleischmahlzeiten daher lieber an Aas. Über kurz oder lang tauchte daher ein Bär beim toten Rind auf – und der Besitzer meldete die tote Kuh als Bärenschaden. Aus diesem Grund inspizierte der Bruder des FAPAS-Präsidenten Alfonso Hartasánchez bis 1988 jeden gemeldeten Schaden. Wenn Bären sich in ganz seltenen Fällen doch einmal an eine Kuh oder ein Pferd wagen, greifen sie das fliehende Opfer meist von hinten an, versuchen auf den Rücken zu springen und das Tier zu Boden zu werfen. Bei solchen Kämpfen fließt einiges Blut und Alfonso Hartasánchez kann die Spuren leicht identifizieren oder eben einen Schwindel aufdecken.

Seit die letzten Braunbären Spaniens in Asturien wieder Kirschbäume finden,
erholt ihr Bestand sich wieder

Auf dem schwarzen Markt brachte ein Bärenfell 1985 umgerechnet noch 2000 Euro, die sich einige Wilderer gern verdienen wollten. Um ihnen das Handwerk zu legen, gingen FAPAS-Mitarbeiter, die sich in der Region sehr gut auskennen, mit der spanischen Umweltpolizei auf Streife. Und weil ein erwischter Wilderer zu immerhin 10000 Euro Geldstrafe verurteilt wurde und die Justiz gleichzeitig die Waffe und den Jagdschein einzog, konnte auch die Wilderei langsam ausgetrocknet werden.

Entscheidend verbesserte sich die Situation für die Bären dadurch aber immer noch nicht. 1994 zogen in Asturien gerade noch drei Bärinnen Nachwuchs auf. Das Überleben der Art stand also nach wie vor auf Messers Schneide. Als Grund machte FAPAS die Landflucht aus. Die meisten Bauern waren aus dem Gebirge längst in die Städte gezogen und auf den Obstwiesen brach ein Baum nach dem anderen altersschwach zusammen.

Die Bärinnen aber werfen mitten im Winter in ihrer Höhle die kaum Meerschweinchen-großen Jungen und tappen im Frühjahr dann auf der Suche nach Fressbarem durch ein kleines Revier, das allenfalls die Größe von ein paar Hundert Fußballfeldern hat. Fehlen dort die Kirschbäume, hungern die Tiere und viele kleine Bären sterben. Früchte stehen nun einmal auf dem Bären-Speiseplan ganz oben.

Roberto Hartasánchez löste dieses Problem in den Bars der Region, in denen sich die Dorfbewohner recht regelmäßig treffen. Dort kann der FAPAS-Präsident den Eigentümern längst verlassener Fincas daher ganz unverbindlich ein Geschäft vorschlagen, das für alle Beteiligten Vorteile bringt: FAPAS pflanzt Obstbäume, Eichen und Esskastanien an den steilen Hängen, die der meist schon ältere Eigentümer nach Belieben nutzen kann. Bis die längst in der Stadt wohnenden ehemaligen Bergbauern zur Ernte wieder in ihre Heimat kommen, haben die Bären sich meist längst schon bedient. Wie in alten Zeiten ist ja genug für alle da. Und selbst die Erben profitieren, wenn sie Jahrzehnte später die Bäume wieder fällen und das wertvolle Holz teuer verkaufen.

FAPAS-Präsident Roberto Hartasánchez versorgt
 die Braunbären  im Kantabrischen Gebirge mit Obst

„Solche Methoden sind für Naturschützer zwar eher unkonventionell, aber äußerst erfolgreich“, erklärt der Leiter der Umweltförderung der Lufthansa Lutz Laemmerhold, der seit vielen Jahren die Bärenprojekte von Euronatur und FAPAS unterstützt. Unter anderem mit solchen Hilfen haben die 13 hauptamtlichen FAPAS-Mitarbeiter inzwischen mehr als 200000 Bäume auf mehr als 500 Fincas gepflanzt. Sogar eine eigene Baumschule besitzen die Naturschützer, von der 2009 gut 30000 Bäume zu etlichen Berghängen wanderten. Noch aber fehlt ein dritter Puzzlestein zur Rettung der Bären: Irgendjemand muss die Obstbäume schließlich auch bestäuben, damit Menschen und Bären später leckere Früchte ernten können. Standen im 18. Jahrhundert im Kantabrischen Gebirge noch über 65000 Bienenstöcke, deren Bewohner Blüten bestäubten und Honig lieferten, sind es heute gerade noch 25000 Stöcke. Und die stehen meist in Tallagen und bringen so den Obstbäumen an den Gebirgshängen wenig. Unterstützt von Euronatur hat FAPAS daher inzwischen mehr als 45 Bestäubungsstationen mit insgesamt 450 Bienenstöcken aufgebaut, um die wachsenden Obstbäume auch zu befruchten. Weil Bären aber auch Schleckermäuler mit einer bekannten Vorliebe für Honig sind und deshalb so mancher Bienenstock von kräftigen Tatzen demoliert wurde, bauen die Naturschützer inzwischen zweistöckig: In der ersten Etage können die Bären eine Klappe anheben, um an den leckeren Honig zu kommen, ohne den Stock zu zerstören. Das Erdgeschoss dagegen betonieren die FAPAS-Leute bärensicher ein, dort bleibt der Honig den Bienen.Mit ihren für Naturschützer recht unorthodoxen Methoden haben Roberto Hartasánchez und seine Kollegen Erfolg. Als sie im Valle Trubia 2004 mit der Arbeit begannen, lebte dort kein einziger Braunbär mehr. Im Sommer 2010 dagegen tappen 26 Tiere durch das Gebiet, das die Bürgermeister inzwischen „Valle de los osos“ nennen. Das lässt sich mit „Bärental“ ins Deutsche übersetzen.

Seit die letzten Braunbären Spaniens in Asturien wieder Kirschbäume finden,
erholt ihr Bestand sich wieder

Mit modernen wissenschaftlichen Methoden untersuchen die Naturschützer in Asturien den Bärenalltag und den Erfolg ihrer Maßnahmen. Gut getarnt baut FAPAS-Mitarbeiter Alfonso Hartasánchez an diversen Engstellen 35 spezielle Digitalkameras auf, an denen die Tiere kaum ungesehen vorbei kommen. Eine Lichtschranke oder ein Bewegungsmelder löst das Gerät aus, Speicherkarten und Batterien garantieren auch in unzugänglichen Lagen für ein Jahr störungsfreien Betrieb. An Fellzeichnungen oder der Größe der Tiere und der Form ihrer Schnauzen können die Artenschützer einzelne Bären identifizieren.
An Kratzbäumen sammeln sie hängengebliebene Bärenhaare, aus denen Molekularbiologen der Universität Leon für 70 Euro pro Analyse einen genetischen Fingerabdruck erstellen, mit dem der Bär jederzeit wieder identifiziert werden kann. Das Ergebnis dieser Analysen ist eindeutig. Statt wie prognostiziert ausgestorben zu sein, leben inzwischen wieder rund 150 Bären im Westen des Kantabrischen Gebirges.

Mit Fotofallen untersucht Alfonso Hartasánchez
 die Braunbären in Asturien

Nachsatz

Diesen Artikel bekamen wir von dem Journalisten Roland Knauer

roland.h.knauer@t-online.de

Alle Fotos ebenfalls: Roland H. Knauer

 
 

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