Ausgabe 01/2004
Januar + Februar 2004

Herdenschutzhunde?

Sarplaninac aus dem Zwinger od Drndarskog
Foto Dragan Drndarski, Serbien

Oder, wer hat bloß diese Bezeichnung erfunden?

Wer bitte käme auf die Idee, einen Labrador als Suchhund, eine der zahlreichen Setterassen als Spürhund oder gar Rittmeister Stephanitz Deutsche Schäferhunde als Leichenhunde zu bezeichnen?

Ganz bestimmt kein Hundekenner. Täte er es doch, der Zorn der Hundehalter ob solcher Einseitigkeit wäre ihm gewiss. Warum dann aber sollen die vielen Hirtenhunde Rassen ausgerechnet Herdenschutzhunde sein? Zugegeben, sie arbeiteten - und tun es noch teilweise heute - an den Herden und beschützen "ihre" Tiere, aber sie sind pauschal eben keine Herdenschutzhunde. Anders formuliert, der Begriff Herdenschutzhund kann höchstens eine "Berufsbezeichnung" sein, aber nicht ein Sammelbegriff vieler Rassen, meint wenigstens die Autorin Gudrun Beckmann und nennt ihr Buch dann eben auch konsequent "die alten Hirtenhunde".

Ausgerechnet eine Übersetzung aus dem amerikanischen hat ihnen die Bezeichnung eingebracht, dazu noch von Leuten, die bis dato mit dieser uralten Tradition nicht das geringste zu tun hatten. Stellvertretend seien genannt Günter Bloch und der Autor Thomas Achim Schoke, der diesen Herdenschutzhund durch sein ganzes Buch über die Hirtenhunderassen geistern lässt.

Die Besitzerin eines Do - Khys erklärte den Ursprung mal so: "muss ich für Schoke u.a. eine kleine Lanze brechen, denn auch Günther Bloch sagte, dass die Übersetzung aus dem amerikanischen seinerzeit zwei Möglichkeiten ließ, Herdenschutzhund und Herdenwachhund und man hat sich auf den Herdenschutzhund geeinigt. Und Bloch sagt heute auch, wenn man diese Entwicklung geahnt hätte, dann hätte man auf jeden Fall die andere Bezeichnung genommen. Man kann einfach in vielerlei Beziehung einfach nicht in die Zukunft sehen".

Nun frage ich mich allerdings nach dieser Erklärung, warum es einer Übersetzung aus dem amerikanischen überhaupt bedurfte, denn diese Hunde hatten bis dato genug Namen in allen möglichen Sprachen und niemand sah Bedarf nach einer neuen Bezeichnung. Auch das Argument, sie würden verwechselt mit Hütehunden, klingt wenig überzeugend, denn selbst "unbeleckte" Hundehalter konnten einen Hütehund definieren, anscheinend aber Schoke und Bloch nicht.

Muß man wirklich in die Zukunft sehen, damit rechnen, daß ganze Bücher abgeschrieben werden, wenn es um gefährliche Hunde geht oder kann man nicht die bekannten und gebräuchlichen Bezeichnungen, die bis dato bekannt waren, verwenden? Natürlich kann man und eben besonders dann, wenn man sich mit der Tradition in den Ursprungsländer der Hirtenhunde beschäftigt. So werden sie in der Sar Planina als die Hunde der Hirten, als die Helden der Berge beschrieben, in Russland nennt man sie "Wächter der Herden" und in den centralasiatischen Ländern sind sie die "Hunde, die mit dem Wolf kämpfen" oder sie werden je nach Typus als "Tiger" - oder "Löwenhunde" bezeichnet, wegen ihrem Aussehen, nicht weil sie tatsächlich mit Großkatzen zu tun hätten.

Falsch ist der Begriff Herdenschutzhund auch deshalb, weil er den Fähigkeiten und Verwendungen überhaupt nicht gerecht wird. So heißt übersetzt der Do-khy nichts anderes als "Anbindehund", eben weil er nachts angebunden bei den Ladungen die wertvolle Fracht der Karawanen beschützte. Viele Dörfer sind auch heute noch bestens beschützt von den "Herdenschutzhunden", die nicht an der Herde arbeiten können oder sollen und diese Dörfer findet man weltweit, nur nicht in Nordamerika. Also sollte klar sein, auf alleinige Arbeit an Herden lassen sich diese Hunde nie beschränken. In einigen Ländern gibt es Bestrebungen, diese Hunde auch immer mehr als Haus - und Familienhunde zu halten, z.B. in Portugal.

Schon verrückt, nur um Wildtiere zu schützen und sie vor dem Abschuss und der Vergiftung durch die Farmer zu retten, kam in Amerika, stimmen die Berichte, Prof. Ray Coppinger auf die Idee, Hirtenhunde einzuführen. Diese Hirtenhunde übernahmen mit enormen Anlaufschwierigkeiten ihren alten Job und bewachten das Vieh amerikanischer Farmer. Schwierigkeiten deshalb, weil zu einem guten Hund eben immer auch ein guter Schäfer oder Hirte gehört, der sich mit seinen Hunden auskennt und mit ihnen leben kann. Hier mangelte es in den USA gewaltig.

Und über die Übersetzung der "Erfinder des Herdenschutzhundes" kann natürlich auch gestritten werden. Auch dazu sein ein Hirtenhundebesitzer zitiert: "Im übrigen halte auch ich die Bezeichnung Herdenschutzhund in der heutigen Zeit nicht für ganz glücklich, weil der Begriff Schutzhund mit ganz anderen Begriffinhalten verbunden ist und außerdem machen sich die meisten Leute heute nicht mehr die Mühe ein zusammengesetztes Hauptwort auf den gesamten Begriffinhalt der einzelnen Worte abzuklopfen.

Die betriebswirtschaftlich korrekte Übersetzung des angeblich von Prof. Ray Coppinger geprägten Begriffes living stock garding dogs wäre gewesen: Hunde die das lebende Inventar bewachen oder salopper "Wächter bzw. Hüter des lebenden Inventars". Bei dieser Übersetzung wäre besser zu erkennen gewesen, daß hier diese Hunderassen nur unter einem sehr utilitaristischem Gesichtswinkel betrachtet werden. Soviel zur Geschichte des Wortes Herdenschutzhund, um dessen Urheberschaft."

Vielleicht liegt es daran, daß man in den USA zum einen nicht das geringste dieser Kultur versteht und zum anderen auch nicht ohne weiteres bereit ist, diese Kultur zu übernehmen. Bösartig ausgedrückt, es muß amerikanisiert sein, sonst ist es nichts. Wie so etwas ausgehen kann, sehen wir am berühmtesten Beispiel amerikanischer "Herdenschutzhunde", nämlich dem Gemixe der türkischen Hirtenhunde, die dann "anatolischer Hirtenhund" heißen. Das ist ein anderes Kapitel von Unverständnis und wird gesondert mal beschrieben. Verwunderlich nur, da heißen die Hunde auf einmal wieder "Hirtenhunde" ,wenn auch mit dem anatolischen davor.

Und noch einen Namen haben sie, die "alten Hirtenhunde", den haben ihnen die überraschend vielen Frauen gegeben, die solche Hunde halten und teilweise in Problemen bei der Haltung ersticken, sie heißen "Herdies" ! Niedlich und ich würde mir darunter so einen kleinen und knuffigen Hund vorstellen, nicht aber einen Kaukasen, einen Centralasiaten, einen Sarplaninac oder Kangal.......

Etwas ist mir auch noch aufgefallen. In den Jahren so um 1960 - 1980 gab es zwar eine ganze Reihe von Hirtenhunden bereits in der damaligen BRD. In der DDR wurden Kaukasen seit 1971 gezüchtet, aber solange hatten sie ebenfalls die Bezeichnung Hirtenhund oder man nannte sie z.B. kaukasischer Schäferhund. Obwohl nicht gerade die beste Lösung, wusste ich wenigstens mit dieser Bezeichnung mehr anzufangen, als mit dem verwirrenden Herdenschutzhund. Waren doch damals Schutzhunde etwas ganz anderes. Sie aufzuführen erübrigt sich, der bekannteste ist und bleibt aber der deutsche Schäferhund.

Nirgends in Europa ist der Begriff Herdenschutzhund bekannt und so wird er in Deutschland völlig isoliert verwendet, wie gesagt, weil ihn zwei bis dato völlig von Hirtenhunden unbeleckte "Hundeexperten" geprägt haben. Vielleicht und das soll nicht als Entschuldigung dienen, kam der Schutzhund im Herdenschutzhund auch deshalb zustande, weil den Hunden eine relativ große Aggressivität nachgesagt wurde. So war der Ruf der Kaukasen in der ehemaligen DDR geradezu legendär. Ein auch noch heute führender Funktionär der ehemaligen "Zuchtgemeinschaft kaukasischer Schäferhunde" bezeichnete "seine" Kaukasen mal als rauf - und angriffslustig. Macht was her, nur stimmen tut es nicht.

Pech für Kaukasen war eben, daß die ersten Exemplare, die 1969/1970 als Geschenk in die DDR kamen, anscheinend tatsächlich relativ aggressiv waren und der Ruf dieser Zuchtlinien sich so gebildet und erhalten hat. Aber Kaukasen aus anderen Ländern und auch russischen Zuchtlinien verhalten sich völlig anders. Während in Deutschland lange die Maxime galt, suchst du Kaukasen auf einer Ausstellung, musst du nur dem wütendsten Gebelle folgen, konnte ich erleben (via Video) wie ruhig und gelassen Kaukasen und Centralasiaten sich z.B. auf der Ausstellung in Moskau benahmen, obwohl mehrere hundert Hunde gemeldet waren. Auch Bilder aus der Türkei belegen die Ruhe und Gelassenheit der Kangale. Nicht zu vergessen die Sarplanici bei der großen Verbandsschau alljährlich in Smederewska Palanka, auch dort weit über hundert Hunde und keine Raufereien und eine ruhige Atmosphäre.

Daher wünschte ich mir für die Zukunft, daß die unheilvollen "Urheber" des Begriffes Herdenschutzhund endlich sagen würden, sorry, wir haben uns geirrt, es sind und bleiben Hirtenhunde. Allerdings ist mir bewusst, daß es dazu nicht kommen wird, denn Experten, die sich irren, waren die längste Zeit solche und das wäre für Bloch und Schoke ein gewaltiger Verlust.

Ergänzen könnte man die alte russische Weisheit "...und achte den Wächter der Herde" dann von mir aus dahingehend, daß es eben dann heißen würde ".... und achte den Wächter der Herde und des Hauses".

Einen Aspekt soll noch berücksichtigt werden, nämlich der, daß sich viele der "Herdenschutzhunderassen" von ihrer ursprünglichen Verwendung immer mehr entfernen. Anders ausgedrückt, die Hunde sind seit vielen Jahren einer "neumodischen" Zucht unterworfen, die sie als "Herdenschutzhunde" immer weniger geeignet macht. Geht man davon aus, daß eine Arbeitshund an der Herde eben mit dem geringsten Einsatz (z.B. Futter und Größe) den größtmöglichen Nutzen erbringen soll, werden viele Hunde diesem Anspruch nicht mehr gerecht.

Beispiele: Pyrenäenberghunde sind massige und übergroße Hunde geworden. Müssten sie es mit einem Beutegreifer aufnehmen, wären sie hoffnungslos im Hintertreffen und zudem stimmt bei ihnen das Verhältnis Futter und Leistung schon lange nicht mehr.

Kuvasz der heutigen Zeit sind neben einem nicht sehr Hirtenhunde gerechten Fell zu sehr "umgestrickt" worden auf die Bedürfnisse westlicher Hundehalter. Zu leicht, zu schmal im Gebäude und mit derart langen Fängen als Arbeitshunde fast untauglich. Gerade bei ihnen kann beobachtet werden, wie ein Arbeitshund "vor die Hunde geht", wenn man seine Kultur nicht beachtet.

Sehr ähnlich wie den "Pyris" ergeht es seit einigen Jahren Kaukasen und Centralasiaten in der ehemaligen Sowjetunion. Missbraucht als Wachhunde oder zu Hundekämpfen, aber auch als Statussymbole einer gewissen Schicht, werden auch sie Kolosse, die mit einem ursprünglichen Hirtenhund immer weniger zu tun haben.

Daher wünsche ich mir, daß wieder mehr auf diejenigen gehört wird, die mit diesen Hunden anders verbunden sind, d.h., die deren Kultur kennen und verstehen und sie nicht benützen, um Geschäfte zu machen.

Im Sinne der uralten Kultur

Hartmut Deckert