Ausgabe 02/2007
März + April 2007

Do Khyi - Mythos und Wirklichkeit

Killing legends!

Teil 4: Was man wirklich über die Entstehung des Do Khyi sagen kann:
Fakten und Spekulationen!

Nach den Legenden

Legenden zu kippen ist eine Sache, einen neuen Pfad der Kenntnisse und Erkenntnisse zu legen eine andere, weitaus schwierigere. Ich will davor nicht kneifen und versuchen darzulegen, was sich aus meiner Sicht zur Entwicklung des Do Khyi, bevor er in den Blickkreis europäischer Züchter geraten ist, heute sagen lässt.

Wir gönnen uns dabei den Luxus, in der Frage nach der Entwicklung des Do Khyi etwas auszuholen und gewisse Eckpunkte festzulegen, die ziemlich weit in der Zeit zurück reichen. So wissen wir zwar, dass genetisch gesehen die Haustierwerdung des Hundes vor mehr als 100 Tausend Jahren begonnen hat. Doch die ältesten archäologischen Nachweise sind "nur" etwas älter als 25 Tausend Jahre. Es handelt sich hier um Fußspuren in der Grotte von Chauvet, Ardeche, die fast völlig identisch sind mit heutigen Fußspuren des Deutschen Schäferhundes. (Allerdings hat deswegen der DSV nicht den Schäferhund als älteste Hunderasse der Welt reklamiert, und da sei auch der Freiherr von Stephanitz vor. Doch Gelbrichs Bemerkung zu den "Grundtypen", die es schon damals gab, findet auch hier ihre Bestätigung.)

Domestikationen

Die Domestikation von Schaf, Ziege und Rind war wesentlich später abgeschlossen als die des Hundes, nämlich vor etwa 10 - 8 Tausend Jahren. Die bisher ältesten archäologischen Zeugnisse der Haltung von Großrindern - in Ställen(!) - finden sich in der anatolischen Stadt Catal Höyük, - vor mehr als 8000 Jahren wohl die größte Siedlung der Welt mit ca. 6000 Einwohnern. Ziege und Schaf dürften schon vorher domestiziert worden sein. Die architektonische Anlage der Stadt, sie ähnelt den indianischen Pueblos, beweist übrigens das intensive Schutzbedürfnis der damaligen Menschen und zeigt damit auch ein entscheidendes Motiv zur züchterischen Selektion von Wachhunden.

Catal Höyük in Anatolien liegt sehr weit entfernt von Mesopotamien, dem angeblichen Domestikationszentrum für die Haustiere der Menschen. Und die Einwohner von Catal Höyük waren auch keine Ackerbauern - und doch Städtebewohner! Und es ist ja nicht einzusehen, warum Schaf und Ziege nicht in ihren Ursprungsgebieten der Wildformen, den Gebirgszügen Zentralasiens, Anatoliens und Armeniens, sondern in weit entfernten Flussgebieten domestiziert worden sein sollen. Und warum sollte der Ur oder Auerochse nicht auf den von ihm beweideten Grassteppen zwischen Europa und Asien zum Hausrind geworden sein? Ein "Sumpflandbüffel" in den Flusslandschaften Mesopotamiens war er wohl nie! So manche Theorie über die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft im Mesolithikum hält keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand! Der alte, aber genauso falsche Slogan "ex oriente lux", sprich: alle Zivilisation käme von Sumer, Akkad, Babylon und Ägypten, spukt noch immer, wenn auch modifiziert, in der Literatur herum.

Aber zurück zu den Hunden! Die Umwandlung des ursprünglichen "Grauwolfs" zum Wachhund wird zu den Urtypen der Haushundwerdung gerechnet. Das kann züchterisch keine leichte Sache gewesen sein, denn einem Wolf sind das Bellen, und das damit verbundene sonstige laute Warnverhalten, fremd. Der Wolf warnt lautlos oder nur durch einen wie ein Hüsteln klingenden Laut. (Den hat übrigens bis heute noch die Mutterhündin für ihre Welpen im Repertoire). Die Umwandlung des Grauwolfs zum Hüte- und Herdenschutzhund (manche bestehen hier auf der wohl treffenderen Bezeichnung "Hirtenhund") wird in der Fachwelt bis vor ca. 7000 Jahren angesetzt (Nageln Sie mich auf diese Daten nicht fest: Sie dienen nur als grobe Richtschnur für die Reihenfolge!). Es ist die zeitlich letzte Stufe der Veränderung des Wildtieres Wolf, denn es muss ein mühevoller züchterischer Weg von der Umwandlung des Jagdtriebs des Wolfs zum Hüten und Schützen des Hundes gewesen sein.

Nomadentum

Erst mit der Domestizierung von Schaf, Ziege und Rind kann die Gesellschaftsform des Viehnomaden entstehen. Sie wird also kaum älter als 8000 Jahre sein und entwickelte sich parallel zum Ackerbau und zur Stadtbildung. Nomaden und Ackerbauern sind eigentlich Lebensformen, die eng miteinander verbunden sind. Beide sind auf die Produkte der jeweils anderen Produzenten angewiesen! In der Anbauwirtschaft mit Viehhaltung auf Außenweiden (siehe Almwirtschaft - Transhumanz) macht sich das besonders deutlich - und die gemeinsamen Ursprünge beider Lebensformen werden so sichtbar!

Eindeutige Beweise für Vollnomadentum gibt es erst "relativ spät". "Der Nomadismus (gemeint hier: Das Vollnomadentum) hat sich zu Beginn der Bronzezeit im europäisch-asiatischen Raum aus der Anbauwirtschaft mit Viehhaltung über die Transhumanz und den Halbnomadismus entwickelt". So findet sich das u.a. in "wissen.de" formuliert! In Asien, hier China, weisen die ältesten Bronzefunde das Nomadentum in den Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr.! Hierzu sollte man im Folgenden die Abschnitte "Die Urheimat der Schäferhunde", "Einwanderer in Tibet" und "Neue Quellen" beachten!

Doch zu allen Zeiten gilt: Das Hüten, Treiben und Schützen von Viehherden, - anfangs noch zu Fuß, statt auf dem Pferd -, ist nicht ohne geeignete Hunde möglich.

Aktuelle schweizerische Experimente mit dem Schutz von Schafherden gegen Wölfe bringen wieder in Erinnerung, was man früher wusste. Bei einer Herde von 2000 Schafen (europäische Zucht) benötigt man 5 Herdenschutzhunde, 2 Hütehunde - und einen Esel als herausragenden Ausguck und Frühwarnsystem! Domestizierte Esel sind aber erst frühestens um 4200 v.Chr. in Ägypten nachgewiesen. Bis dahin mussten die Hirten selber den Ausguck machen.

Esel als Kumpel der Hunde in der Trumlerstation!

Die Urheimat der "Schäferhunde - Hirtenhunde"?

Als Favorit für die Urheimat der großen Hunde als Vorformen aller Mastiff- und Molossertypen, auch der großen tibetischen Hunde, muss Zentralasien gelten (nach Gelbrich). Diese Region umfasst heute das Gebiet der Mongolei, das südliche Russland vom Irtysch bis jenseits des Baikalsees, dazu Teile Chinas; und dann auch Kasachstan, Usbekistan und Turkmenien. In Zentralasien findet sich auch die größte zusammenhängende Steppenregion der Erde, die sich eigentlich vom Westen Chinas an über Zentralasien, die Ukraine und die ungarische Puszta bis zum Neusiedler See bei Wien fortsetzt. Vom eingefleischten Rheinländer Konrad Adenauer ist sogar der Ausspruch verbürgt, dass hinter Braunschweig die Steppe anfange! Allerdings dürfen wir diese Bemerkung eher im übertragenen Sinn verstehen, denn Adenauer war ein bekennender Preußenhasser!

Die Völker Zentralasiens, vor allem des Steppengürtels, waren auf Grund des trockenen Kontinentalklimas seit ihrer frühsten Stammesgeschichte vorrangig nomadische Viehbauern. Das Hauspferd wird erst im 3. vorchristlichen Jahrtausend als Reitpferd mit Sattel und Zaumzeug eingesetzt. Viehzucht, Pferdezucht und Hundezucht bilden seit dieser Zeit also die Grundlage der Lebensexistenz der Steppenvölker und ihrer Fähigkeit zur flexiblen, beweglichen Lebensweise. Diese Lebensweise bedingte einen intensiven Kontakt mit allen in der Steppe lebenden Raubtieren. Das sind natürlich zunächst Wölfe, auch Bären und andere Raubkatzen. Doch das größte und gefährlichste Raubtier war immer schon der Mensch selber.

Hunde überlebenswichtig

Denn das Überleben in der Steppe ist gekennzeichnet durch den Kampf der Stämme oder Clans gegeneinander um Weide, Vieh, Sklaven, Frauen und Macht. Beutezüge bildeten eine wesentliche wirtschaftliche Grundlage eines jeden Stammes. Unsere Vorstellung von diesem andauernden Ringen kann gar nicht brutal genug sein! Das daraus resultierende Schutz- und Warnbedürfnis für Mensch und Tier konnten geeignete Hunde am besten erfüllen.

Nur einmal in der Geschichte wurde der Kampf der Steppenvölker untereinander über einen längeren Zeitraum unterbunden, nämlich durch den Mongolen Dschingis Khan - und seine fähigen Nachfolger. Noch unter seinem eigentlichen Namen Temudschin (der Schmied) einte Dschingis Khan, teils mit brutaler Gewalt, die rivalisierenden Stämme der Steppe und eroberte mit ihnen das größte Weltreich der Geschichte. In Polen, bei Liegnitz, vernichtete am 9. April 1241 Batu Khan als Feldherr Ugedai Khans, dem 2. Großkhan der Mongolen, mit seiner Mongolenstreitmacht ein deutsch-polnisches Ritterheer. Gleichzeitig wurde in Ungarn bei Mohi die ungarische Armee vernichtend geschlagen. Nur der plötzliche Tod Ugedai Khans, am 11. Dezember 1241, führte zum überraschenden Rückzug der Mongolen. Nicht viel hat gefehlt, und zumindest unsere Vorfahren wären auch Mongolen geworden!

Doch zurück zu den großen Hunden. Der unbarmherzige Kampf ums Überleben bedeutete für die Steppennomaden ein starkes Motiv zur Zucht von Wach-, Schäfer-, Hirten- und Hütehunden. Die Abgrenzung zwischen diesen genannten Typen ist aber nicht ganz einfach. Durch die Selektion bewährter Hunde entstanden die verschiedenen asiatischen Hunderassen. Direkte Nachfahren in relativ unveränderter Form sind die heutigen Owtscharka-Rassen, vor allem in Form des Zentralasiatischen, Südrussischen, aber auch des Kaukasischen Owtscharkas. Auch von diesen Rassen gibt es zahlreiche Modifikationen sowohl in den Steppen als auch in den zentralasiatischen Gebirgen, aber auch in der zeitlichen Entwicklungsschiene.

Die folgenden zwei Bilder zeigen Arpad, den Kaukasischen Owtscharka in meiner Nachbarschaft! Hinter seinem "harmlosen" Hundegesicht, siehe 2. Bild, verbirgt sich der "mutmaßlich-angeblich" gefährlichste Hund der Welt: Als Herdenschutzhund von mehr als 65 cm Schulterhöhe ist er nicht nur gewohnt, seine eigenen Entscheidungen zu fällen, sondern auch groß und stark genug, sie auch durchzusetzen. Bei Ausgängen, so die krause Vorstellung selbst ernannter kynologischer Fachleute, schleppt er Herrchen oder Frauchen als lästige Anhängsel hinter sich her und fegt den Hauptwanderweg von anderen Hunde-Herrchen/Frauchen-Gespannen frei. Er ist "natürlich" jederzeit bereit seine schrecklichen Hauer oder Eckzähne, lang wie meine Daumen, in die Beine der arglos vorbeikommenden Passanten zu schlagen!

(Ich zeige Ihnen lieber nicht Bilder mit dem auf Arpad reitenden dreijährigen Nils. Sie als Leser sollen den Glauben an diese "Kampfmaschine" aus der ehemaligen Liste 2 der ehemaligen Hundeverordnung NRW - und anderer Bundesländer - nicht verlieren!)

Völkerwanderungen mit Hunden

Besonders wertvolle Hinweise über die zentralasiatischen Hunderassen ergaben sich durch die Völkerwanderungen der Hunnen um 375 n. Chr. und der Ungarn vom 5. Jahrhundert an. Diese Völker führten bei ihren Wanderungen auf der Suche nach Beute wie auch neuen Weide- und Siedlungsgebieten ihre asiatischen Hütehunde und Hirtenhunde mit. Die ungarischen Hirtenhunde Komondor und Kuvasz z. B. sind Nachfahren dieser asiatischen Hunde. Nach Gelbrich lässt sich auch der Puli auf diese asiatischen Owtscharkas zurückführen. Und der Puli zeigt ja, wie wir wissen, eine enge anatomische Verwandtschaft zum Tibet Terrier, allerdings auch anatomische Unterschiede. In die Reihe der langhaarigen asiatischen Hunde, zumindest als Nachfahre, reiht Gelbrich auch den altenglischen Schäferhund, den Bobtail, ein. Er weist äußere Ähnlichkeiten und Analogien zu den Owtscharka-Hunden auf und ist wohl von den baltischen Staaten aus über die Ostsee nach England gelangt.

Das Langhaar

Ein besonderes Kennzeichen der asiatischen Steppenhunde ist ihr dickes, doppelschichtiges Langhaar, das nicht nur gegen die verschiedensten Klimaextreme schützt, sondern auch vor starken Verletzungen durch angreifende Wildtiere. Meist wird auch das Langhaar als Augenschutz gegen die in Zentralasien häufigen Sandstürme erwähnt. Ob das tatsächlich ein "evolutionärer Vorteil" gewesen ist oder lediglich zwangsläufige Folge der Anlage von Langhaar, will ich nicht weiter erörtern. Es gibt in Zentralasien, aber natürlich auch in Tibet, etliche Hunde und sonstige Wildtiere, die ohne einen solchen "Augenschutz" auskommen können.

In jedem Falle finden sich bei den Steppenvölkern vor allem in der Mongolei bereits unterschiedliche Ausformungen der Owtscharka-Rassen. Mittelgroße Typen werden als Karawanenbegleithunde geschätzt, andere als Hütehunde oder Wachhunde, große Typen als Schutz der Herden, aber auch der Menschen vor Raubzeug und Räubern.

Einwanderer in Tibet

Besiedelung vor 50 Tausend Jahren?

Angeblich gibt es seit grauer Vorzeit Einwanderungen in das Hochland von Tibet. Doch finden sich darüber keinerlei verlässliche Quellen - wie sollte das auch sein! Alle Befunde beruhen auf spärlichen archäologischen Unternehmungen und Sprachuntersuchungen, wie schon am Anfang dargelegt. Auch für die Behauptung, schon seit 50 Tausend Jahren, also der Altsteinzeit, werde das tibetische Hochland besiedelt (Quelle: Ludwig; Becksche Reihe, aber auch Rehheuser, hier aber ohne Quellenangabe), gibt es keinen sinnvollen Nachweis. Das wären übrigens 10 Tausend Jahre (!) vor der Besiedlung Europas durch den Homo sapiens! (Wenn ich dann ausgerechnet den Ingenieur Aufschnaiter, den Gefährten Heinrich Harrers, als Experten für Steinzeitfunde in Tibet angeführt sehe, dann kann ich mich eines Lächelns kaum erwehren!)

Solche Altsteinzeit-Datierungen treffen für die Küstenstreifen Indiens und sogar für Australien durchaus zu, nicht aber für das Hochland hinter dem höchsten Gebirgszug der Erde. Die steinzeitlichen Menschen waren für Selbstmordkommandos, im Gegensatz zu manchen zivilisationsmüden Heutemenschen, nicht zu haben. Stattdessen wanderten sie um die großen Barrieren herum nach Zentralasien, Sibirien u. a. mit dem Altaigebiet und Ostasien (China) und schufen z. B. am Huáng Hé (Hwang Ho), dem Gelben Fluss, vor 10 Tausend Jahren eine gemeinschaftliche Kultur. Sie wird heute "Ma-Jin-Jao" genannt, und in dieser Kultur wurde die tibeto-burmesische Gemeinschaftssprache als Untergruppe der sino-tibetischen Sprachfamilie gesprochen. Bei dieser sino-tibetischen Sprachfamilie handelt es sich um die zweitgrößte Sprachfamilie der Erde. Die größte ist übrigens die indogermanische Sprachfamilie, zu der nicht nur das Deutsche gehört: Beinahe 50 % der Weltbevölkerung sprechen moderne Versionen des Indogermanischen. Manche Wissenschaftler verwenden den Begriff "Indo-Europäisch".

Neue Quellen

Neue genetische Studien (Bing Su, 2000, u.a. Human Genetics) weisen als frühste Besiedlung des tibetischen Hochlands auf eine erste nennenswerte Einwanderung durch eine Bevölkerung mit tibeto-burmesischer Sprache hin. Diese setzte sich vor 5000 - 4000 Jahren aus der Region des Gelben Flusses in Bewegung und erreichte in Tibet auch die Himalajaregion, dann Nepal, Bhutan und auch den Nordosten Indiens.

Bei diesen Einwanderern handelt es sich um Ackerbauern, die vielleicht wegen einer massiven Übervölkerung, Klimaveränderung o.ä. zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen wurden. In den genetischen Studien wird diese Bevölkerung als tibeto-burmesischer Zweig mit der Kennzeichnung "baric" geführt. Ihre Herkunft als Ackerbauern erklärt wohl auch, warum sie nur in die relativ fruchtbaren Gebiete Südtibets wanderten und statt in die trockenen Steppengebiete westwärts lieber nach Süden sogar über die Himalaja-Barriere vordrangen. Diese Population wird heute in der Bing-Su-Studie auch als "Zang-Tibet-Lhasa" bezeichnet.

Zweite Einwanderung

Die "eigentlichen" Tibeter aber erreichten erst deutlich später als zweite Einwanderungswelle das Hochland von Tibet. Diese Einwanderung erfolgte durch Stämme, die ursprünglich ebenfalls tibeto-burmesischen Ursprungs sind, ebenfalls aus der Huáng Hé (Hwang Ho)-Region, sich aber eine Zeit lang "substantiell" mit Menschen aus Zentralasien und Südsibirien, dem Altai-Gebiet, vermischt hat. Als Zweig des Tibeto-Burmesischen nennt die genetische Studie sie "bodic", also "tibetisch", und ordnet u.a. die heutige Khamba-Population diesen Einwanderern zu.

Hier bei den "bodic" begegnen sich auf den langen Wanderungen also Ackerbauern mit nomadischen Stämmen aus Zentralasien und Sibirien und gehen einander eine enge Lebensgemeinschaft ein. "Substantielle" genetische Vermischung kann nur über etliche Generationen erreicht werden. Diese Verbindung ergibt Sinn, weil die Lebensweise von Ackerbauern und Nomaden sich ergänzen und beide von einander profitieren. Bei diesen nomadischen Bevölkerungsanteilen könnte es sich um mongolische Stämme und Turk-Stämme (Altai-Sibirien) gehandelt haben.

Ich gehe mal davon aus, dass es sich hier bei dieser 2. Einwanderungswelle um die bei Gelbrich erwähnten Tschiang-Nomaden und mongolischen Stämme handelt, die von ihm in die Mitte des ersten Jahrtausends vor Chr. gestellt werden. Sie könnten auch mit den "Qiang" in den chinesischen Quellen übereinstimmen, wie mir auf einem zweiten Weg mitgeteilt worden ist (siehe "native Speaker"!). Doch diese Tschiang müssen, wie bereits dargelegt, Vermischungen mit dem Hauptanteil der tibeto-burmesischen Bevölkerung und mongolisch-altaischen Wandervölkern gewesen sein. Die Altai-Bevölkerung und die sino-tibetische Bevölkerung sind genetisch und sprachlich so eng verwandt, dass man einen gemeinsamen Ursprung annehmen kann! Diese "Mischbevölkerung" aus Leuten vom Gelben Fluss und Altai-Völkern "überflutet" möglicherweise die Einwanderer der ersten Welle und breitet sich in ganz Tibet aus! Vielleicht vertreiben damals die Ackerbauern unter den "bodic" einen Teil der schon etablierten "baric" aus den lohnenden Anbau-Regionen und sorgen so für einen verstärkten Druck auf diese Ersteinwohner Tibets, über die Grenzen des Himalajas in südlichere Länder wie Nepal, Bhutan und Nordost-Indien auszuweichen. Aber das ist jetzt reine Spekulation. Die heutige Bevölkerung Tibets zeigt zwar die Abkunft von diesen beiden Einwanderungswellen, aber beide Gruppen sind genetisch eng verwandt.

Hunde in einem tibetischen Kloster;
das Bild wurde vom Tadra-Kinderdorfprojekt zur Verfügung gestellt.

Und die Viehbauern der "bodic", - vielleicht schon Nomaden -, brachten selbstverständlich neben ihrem Vieh auch ihre bereits unterschiedlich ausgeprägten Hunde mit. Die archäologischen Ausgrabungen von Professor Ludwig von Schulmuth in Zentralasien machen dabei die Verbindung mongolischer Hunde nach Tibet augenscheinlich. So weisen die kleinen Kunlun-Berghunde auf die Abkunft von mongolischen mittelgroßen Owtscharkas hin und müssen selber als Vorformen des Tibet Terriers und Lhasa Apso angesehen werden. Die großen Hunde Tibets lassen sich überwiegend auf große mongolische Owtscharkas zurückführen.

Genetisch-sprachliche Wurzeln

Beide Einwanderungswellen in Tibet sind Teil einer viel umfassenderen Völkerwanderung, die zu den gewaltigsten in der menschlichen Geschichte gerechnet werden muss. Gelbrich erwähnt gleichzeitig noch eine Einwanderung von Mon-Khmer fast parallel zu den Tschiang und mongolischen Stämmen. Auch die Mon-Khmer-Völker sind genetisch sehr eng mit den anderen Völkern der sino-tibetischen Sprachfamilie verwandt. Allerdings werden sie in der o.g. Bing-Su- Studie nicht als Einwohner Tibets ausgewiesen.

Trotz der gemeinsamen Wurzel der Sprachen der meisten Einwanderer der tibeto-burmesischen Herkunft sind die jeweiligen Stammessprachen sehr ausdifferenziert. Heute werden in dieser Sprachfamilie 250 (!) Individualsprachen festgestellt.

Die damaligen Einwanderer bewegen sich im tibetischen Hochland, jahreszeitlich bedingt, in Zeltgemeinschaften, Clan- oder Stammesstrukturen zwischen Weide- und Wohngebieten und behaupteten jeweils ein eigenes Stammesgebiet gegenüber ihren Nachbarn. Die für den Ackerbau lohnenden Lagen, vor allem auch im Tsangpo-Tal, werden entsprechend besetzt.

Es gab kein nationales Bewusstsein, keine gemeinsame Sprache – trotz des gemeinsamen genetischen und sprachlichen Ursprungs - und keine staatliche Organisation. Die unterschiedlichen Völker verwendeten unterschiedliche Warn- und Erkennungsrufe (so Gelbrich).

Wiege der tibetischen Kultur und des Staatswesens

Die Geschichte Tibets ist nun überwiegend von frommen buddhistischen Schreibern aufgezeichnet worden und beginnt damit eigentlich erst im 7. Jahrhundert nach Chr. Nur die "Bönpo", die wenigen überlebenden Mönche der "Bön-Religion", bewahrten eine mündliche Überlieferung an sagenhafte Könige, die weit vor die buddhistische Zeit zurück reicht - und heute durch die neuesten Forschungen von Tibetspezialisten bestätigt wird. Dabei wurde auch klar, dass man diese Königsüberlieferung fälschlicherweise den Vorfahren der "buddhistischen" Yarlung-Könige zugeschrieben hatte.

Denn im 2. Jhrdt. v. Chr. bis ins 7. Jhrdt. n. Chr. verbreitete sich in Tibet unter dem Eindruck der unvorstellbaren Naturgewalten und ihrer Unberechenbarkeit unter den Nomaden ebenso wie den angesiedelten Bauern die schamanistische Bön-Religion, die trotz des Buddhismus bis heute überlebt hat. Das Wort Bön kann man mit "Beschwörung" oder "Anrufung" übersetzen, aber auch mit "singen" oder "rezitieren". Die Bön-Religion besteht aus zahllosen, teils blutigen Beschwörungs- und Geisterritualen, die der Bewusstseinserweiterung dienen sollen. Mit ihrer Verbreitung entsteht in Tibet auch langsam ein gemeinsames kulturelles und staatliches Bewusstsein.

Gläubige in Tibet; Buddhismus-Lamaismus;
von: Tadra-Kinderdorfprojekt

Und die eigentliche Wiege der tibetischen Kultur liegt nicht etwa in Lhasa und dem Yarlung-Tal, sondern 1000 km westlich, noch hinter ihrem heiligen Berg, dem Kailash, im Garuda-Hochtal. Hier hat der Tibetologe Baumann das Silberschloss der Shang-Shung-Könige aus der grauen Bön-Vorzeit entdeckt. Von hier aus beherrschten diese Könige weite Teile Zentralasiens und des Himalaja bis nach Nepal und Bhutan hinein, bevor der Buddhismus auf das Dach der Welt gelangte. Hier im einst von Nomaden besiedelten Garuda-Tal liegt, - so Lopon Tenzin Namdak vom Bön-Kloster Thiten Norbuche in Katmandu -, "unser Shambhala". Es ist Teil des im 7. Jhrdt. n. Chr. im Kampf mit Songtsen Gampo untergegangenen Shang-Shung-Reichs, das Tibet zuvor so lange beherrschte. Vom britischen Autor James Hilton wurde das Wort "Shambhala" wohl zu "Shangri-la" verballhornt (Quelle: Spiegel 17/06). Im Laufe der Zeit wurde aus "Shambhala" ein mystisches Reich, aus dem die Retter der Menschheit kommen sollten.

Doch schon lange vor der buddhistischen Übernahme der Macht in Tibet durch die Yarlung-Könige um Songtsen Gampo erfreuten sich die Bön-Tibeter an gedrungenen, langhaarigen Kleinhunden und schätzten ihre großen Wach- und Schutzhunde. Und durch die Ausbreitung der Macht der Bön-Könige über weite Teile Zentralasiens, fast Tausend Jahre lang, war der ständige Austausch der asiatischen Steppenhunde nach Tibet hinein über einen langen Zeitraum gewährleistet.

Die in diesem Beitrag und in den folgenden Teilen eingefügten Fotos von Hunden und Menschen in Tibet wurden mir vom Tadra-Kinderdorfprojekt in Tibet zur Verfügung gestellt. Das Tadra-Projekt hat in Tibet Internatsschulen errichtet, in denen tibetische Kinder, auch Waisenkinder, betreut und ausgebildet werden. Ich bitte Sie, diese Arbeit durch Spenden zu unterstützen.

Wenden Sie sich bitte an den Ansprechpartner Deutschland,

Herrn Lobsang Palden Tawo in
58515 Lüdenscheid, Stettiner Str. 11a;
Tel.: 02351-944753; Fax: 02351-944754
e-mail: info@tadra.de
www.tadra.de

Adolf Kraßnigg

Wird fortgesetzt ...