Ausgabe 05/2009 |
Oktober - Dezember 2009 |
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Transhumanz - Spaniens grüne Lebensadern
Hunderte Schafe ziehen blökend durch Madrids Innenstadt. Dass sie
dabei ein heilloses Verkehrschaos verursachen, interessiert die Herde wenig.
Schließlich wandern die Schafe schon seit Jahrhunderten auf den traditionellen
Viehtriebwegen, den Cañadas.
Mit der Nutzung der Cañadas, die durch die Innenstadt von Madrid
führt,
wollten die Hirten auf den besonderen Wert der Transhumanz
aufmerksam machen.
Bild:
Matthias Meissner
Im Süden Europas gibt es noch diese Kombination aus Almwirtschaft
und Nomadentum: die Transhumanz oder Wanderweidewirtschaft in Spanien. Dass
dieses Jahr die Cañada genutzt wird, die direkt durch Madrid führt, ist
allerdings weniger dem Instinkt der Schafe zuzuschreiben, als deren Hirten, die
mit der Aktion auf den Wert und die Bedrohung der Transhumanz aufmerksam machen
wollen. Der Weg, den die Schafe normalerweise zurücklegen, führt über Hunderte
von Kilometern durch zauberhafte, dünn besiedelte Landschaften, teils rau,
teils lieblich, gesäumt von mittelalterlichen Städten und Burgen, durch
Flusstäler, über jahrhundertealte Brücken bis in die Bergregionen der
nördlichen Küstengebirge in über 2.000 Meter Höhe, wo noch Braunbären leben.
Seit der Römerzeit ermöglicht die Wanderweide den Menschen in
Spanien eine nachhaltige Nutzung der erosionsgefährdeten Böden. Sie schuf und
sicherte Kulturlandschaften von seltener Schönheit und unglaublichem
Artenreichtum. Heute ist die Transhumanz der Schlüssel für die Erhaltung des
spanischen Natur- und Kulturerbes.
Euro Natur
Optimale Nutzung verschiedenster
Landstriche
Die
unterschiedlichen klimatischen Verhältnisse zwischen den Sommerweidegebieten im
bergigen Norden Spaniens und den Winterweiden im Landesinneren sind der Grund
für die Entstehung dieser besonderen Form des Nomadentums. Je nach Höhe und
Breitengrad findet man optimale Weidegründe zu ganz verschiedenen Jahreszeiten.
„Transhumante“ Viehzüchter lassen ihr Vieh den jeweils günstigsten
Weidebedingungen folgen und praktizieren so die extensivste Form der
Weidewirtschaft. Die meisten dieser Weideflächen könnten auf andere Art und
Weise überhaupt nicht bewirtschaftet werden, denn im Süden ist es im Sommer zu
heiß und trocken und im Winter im Norden zu kalt und feucht für die Viehzucht.
Euro Natur
Seit
Jahren engagiert sich die international tätige Umweltstiftung Euro Natur für
die Erhaltung und Förderung der Transhumanz in Spanien. Argumente für den
Schutz der alten Tradition gibt es zu genüge:
Die
Regionen im Süden, welche die Winterweiden beherbergen, sind über den Viehtrieb
wirtschaftlich und kulturell mit den futterreichen Bergregionen verbunden, in
denen die Sommerweiden von den Viehzüchtern gepachtet werden. Einerseits sorgt
die periodische Weidewirtschaft für eine schonende, natürliche Düngung und
beugt einer Verbuschung und damit auch der zunehmenden Waldbrandgefahr vor. Auf
der anderen Seite verhindert sie die Übernutzung und Erosion der Winterweiden,
welche die Ruhephase ab dem Frühsommer dringend benötigen, um sich eine
ausreichende Samenreserve für das kommende Jahr zu bewahren.
Quelle:
Wikipedia
Als
positiver Nebeneffekt verbindet das Netz der Cañadas eine Vielzahl ökologisch
wertvoller Gebiete. Die Viehtriebwege erfüllen dabei die Funktion grüner
Korridore, die geschützte Lebensräume miteinander verbinden und die Isolierung
gefährdeter Tierpopulationen verhindern. So profitieren auch die weltweit
letzten 200 Pardelluchse und die wenigen verbliebenen Wölfe auf der iberischen
Halbinsel von der Korridorwirkung der Cañadas. Dass die Wölfe auch hin und
wieder Schafe reißen ist für die Hirten kein schwerwiegendes Problem (siehe
auch Kasten: Die letzten Wölfe Spaniens).
Bild: Gunther
Willinger,Euro Natur
Foto:
Roland Knauer
5.000 Quadratkilometer
reserviert für Tiere und Pflanzen
Über die Jahrzehnte waren die Cañadas in Vergessenheit geraten,
weil Massenviehhaltung und Monokulturen die Wanderweidewirtschaft verdrängten.
Euro Natur ermöglichte zusammen mit verschiedenen Partnerorganisationen vor Ort
die Wiederbelebung der Transhumanz.
1993 begab sich zum ersten Mal wieder eine Herde auf den langen Marsch. 2.600 Merinoschafe sowie mehrere Rinder, Maultiere, Esel und Pferde legten auf der Cañada Real de la Plata eine Strecke von rund 400 Kilometern zu den Picos de Europa im Norden Spaniens zurück. Seither wurden im Rahmen des Projektes 2001 jedes Jahr mindestens zwei der Cañadas von Herden begangen, organisiert vom Concejo de la Mesta und mit zunehmender Beteiligung spanischer Viehzüchter. Foto:
Roland Knauer
Den ersten großen Durchbruch gab es im Jahr 1995: die Aufnahme der alten Schutzgesetze für die Cañadas in modernes spanisches Recht! Jede Verbauung und Nutzung dieser Routen außer für Viehtriebszwecke ist seither wieder verboten. Damit steht die Gesamtfläche der bis zu 100 Meter breiten Cañadas, nämlich 5.000 Quadratkilometer (etwa die Größe des Saarlandes) auf einen Schlag unter gesetzlichem Schutz! Karte Cañadas
Das Netz der Cañadas verbindet eine Vielzahl ökologisch wertvoller
Gebiete.
Durch die
Verankerung der alten Schutzgesetze für die Cañadas im modernen spanischen
Recht wurde die Gesamtfläche der bis zu 100 Meter breiten Cañadas, nämlich
5.000 Quadratkilometer (etwa die Größe des Saarlandes) auf einen Schlag unter
gesetzlichem Schutz gestellt.
Euro Natur
Das grüne Netz hat
viele Lücken
Gemeinsam mit spanischen Naturschützern arbeitet die Stiftung Euro
Natur daran, dass die erneuerten Schutzgesetze auch in der Praxis zur Anwendung
kommen. Hier ist noch viel Einsatz nötig. Streckenweise sind die Routen nicht
mehr oder nur noch schwer passierbar. Gebäude und Straßen, Müll - und
Schuttdeponien versperren den Weg. Teilweise fehlen die Wiesenstreifen, auf
denen die Herden beim Durchzug Nahrung finden können. Und noch immer sind die
Kontrollen der Behörden zu lasch.
Neben
erfahrenen Hirten werden die Herden von
Naturschützern begleitet, die den ökologischen Zustand der Trasse und ihrer
Umgebung kontrollieren. Viel Grund zur Freude gibt’s dabei, aber auch manche
schleichende Zerstörung wird sichtbar. Manchmal kann man an Ort und Stelle
durch Gespräche mit den Landbesitzern für Abhilfe sorgen, oder es werden
Verstöße gegen Schutzgesetze und Verbesserungsvorschläge an die zuständigen
Behörden gemeldet. Gerade durch die Einbindung der örtlichen Bevölkerung
konnten wichtige Schutzprojekte initiiert werden.
Foto: Hans-Joachim Mathlage
Heimat für Kranich,
Kaiseradler und Mönchsgeier
Die Winterweiden im Süden beherbergen Steppenvögel wie die
Großtrappe oder die Zwergtrappe und dienen Millionen von Zugvögeln als
Winterquartier. Deren wohl imposanteste Vertreter sind die Kraniche. Noch in
über zwei Kilometer Entfernung ist dann das seltsame Trompeten zu vernehmen,
das aus ihren langen Hälsen tönt. 60.000 der majestätischen Vögel genießen
jedes Jahr den milden Winter der spanischen Extremadura.
Großtrappe
(Otis tarda)
Quelle:
Wikipedia
Wolf, Kaiseradler, Mönchsgeier und Gänsegeier – allesamt stark bedrohte Arten – profitieren von der extensiven Viehwirtschaft und insbesondere von der Transhumanz als Nahrungsquelle. Oftmals folgen sie den wandernden Herden auf der Suche nach verirrten oder verendeten Tieren. Die Cañadas sollen wieder zunehmend Schutzgebiete und andere wertvolle Lebensräume miteinander verbinden.
Foto:
Roland Knauer
Neben der Arbeit in den Kranich - Überwinterungsgebieten werden
Verhandlungen mit Grundbesitzern in der Extremadura und in Castilia la Mancha
geführt; mit dem Ziel, ihre Ländereien als private Schutzgebiete einzurichten.
So entstehen zum einen jagdfreie Zonen, zum anderen werden Maßnahmen zur
Biotopverbesserung durchgeführt (z.B. das Pflanzen von Gebüschstreifen und die
Anlage von Wasserstellen), wobei erfahrene spanische Naturschützer ihren
Sachverstand einbringen und aktiv mitarbeiten.
Gemeinsam mit spanischen Partnerorganisationen sorgt Euro Natur dafür, dass das grüne Netzwerk wieder wächst. Nicht zuletzt eröffnen die Viehtriebwege eine Vielzahl von alternativen Nutzungsmöglichkeiten, die sich mit der naturverträglichen Landwirtschaft vereinbaren lassen. Speziell Freizeitaktivitäten wie Wandern, Radtouren oder Reitausflüge auf den Spuren der Wanderherden bieten eine einzigartige Kombination von Kultur und Natur und damit eine attraktive Basis für die nachhaltige touristische Nutzung der Viehtriebwege. Damit sind sie nicht nur für die Viehzüchter, sondern für die gesamte lokale Bevölkerung von wirtschaftlichem Wert.
Foto:
Roland Knauer
Doch die Naturschutzarbeit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Für die Erhaltung der Cañadas und der durch sie verbundenen Lebensräume sind die Organisationen auf Spendengelder angewiesen. Landkauf, Aufforstungsmaßnahmen, Hirtenhunde, politische Lobbyarbeit oder die technische Ausstattung von Kranich - Rangern und anderem Schutzpersonal – diese und viele weitere Maßnahmen zur Erhaltung der Transhumanz als einem wichtigen europäischen Kulturerbe und Verbindungsglied zwischen verschiedensten ökologischen Bausteinen auf der iberischen Halbinsel können Sie über Euro Natur unterstützen. Nehmen Sie mit uns Kontakt auf.
Sie gehören natürlich auch dazu,
die imposanten Mastin Espanol
Foto:
Roland Knauer
Gunther Willinger
Artikel zuerst
erschienen in „natur+mensch“,
Rheinaubaund, Nummer 4/2003
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