Ausgabe 06/2005
Juni 2005

Interview mit Suzette Preiswerk da Mota Veiga,

Präsidentin des portugisischen Estrela Clubs 

4. Teil

Frage: Wenn man Deinen Erzählungen folgt, muß eigentlich ein Hund in einem Haus oder gar einer Wohnung todunglücklich sein. Sehen wir das richtig?

Suzette: "Ich bin sicher, dass ein Hund draussen auf einem grossen Grundstück glücklicher ist, als im meist zu warmen Haus. Diese Tierschutzvereine verstehen nicht gerade viel von der Sache. Dass die meisten Leute arbeiten müssen, ist eine Tatsache, aber die Hunde gewöhnen sich durchaus an die Umstände wo sie wohnen."

Frage: Dann müssen wir natürlich nachfragen, ob es denn wiederum für einen Hirtenhund nicht auch möglich ist, in Häusern oder Wohnungen zu leben, wenn man ihnen genügend Auslauf bietet.

Suzette: "Sicher ist ein Hirtenhund eher für jemand, der bereit ist, sich mit der Natur des Hundes auseinander zu setzten und zum Glück gibt es solche Leute. Nur ist es schwierig, besonders in D oder CH solche Hunde zu haben, wenn jemand nicht das Glück hat, ganz auf dem Land zu wohnen und nicht zu nahe Nachbarn hat. Anderseits muss man sagen, dass der Hund auch sehr anpassungsfähig ist. In Schweden kenne ich Leute, die haben Estrelas in der Wohnung und anscheinend geht es. In Porto kenne ich jemand, der mitten in der Stadt wohnt (in einem Haus mit kleinem Garten und Nachbarn) und er hat 3 Estrelas. Da sie aber nachts bellen, nimmt er die Hunde nachts ins Haus (nicht unbedingt üblich in Portugal). Also es kommt eigentlich immer auf das Wie  und Wo an. Kein Fall ist gleich. Auch sind nicht alle Hirtenhunde gleich. Einer kann sich sehr gut anpassen, ein anderer ist eigenwilliger, oder etwas schwieriger im Umgang.Wenn man einen oder zwei Hirtenhunde kennt, heisst das nicht, dass man alle kennt und alle gleich sind."

Frage: Kannst Du das mal an einem Beispiel erklären? Wir meinen das unterschiedliche Verhalten von Hunden, das dann als Angst oder Aggressivität ausgelegt wird.

Suzette: "Einmal wurde mir folgende Geschichte von einem meiner Hund erzählt: Ich verkaufte einen Welpen an eine nette Familie, Sie besuchten mich und alles ging gut. Dann hörte ich lange nichts mehr. Erst viel später erzählte mir der Mann, dass Lion (der Name des Hundes) ihn gebissen hätte, nachdem er ihn "gestraft" hatte. Irgend eine blöde Situation, der Hund gehorchte nicht, der Mann dachte, man muss etwas autoritär sein mit diesen Hunden und wollte ihn strafen und der Hund biss ihn in den Arm. Er musste sogar ins Krankenhaus.  Dann wollte er den Hund nicht mehr, fand aber niemand der ihn wollte. So blieb der Hund im Zwinger. Vielleicht einen Monat später (der Biss war schon etwas in Vergessenheit geraten) schaute der Hund so traurig den Mann an. Der Mann liess den Hund raus und der Hund benahm sich nett und unterwürfig. Seitdem ist alles prima, Er sagte mir, der Lion sei der netteste Hund geworden, absolut keine Agressivität. Wie konnte das passieren? Ich erklärte ihm, dass er wahrscheinlich den Hund schlagen wollte, als der Hund Angst verspürte. In seiner Angst hat der Hund so defensiv reagiert. Er hätte mehr Geduld haben müssen. Eine bedenkliche Geschichte mit Happyend."

Frage: Viele Besitzer von Hirtenhunden sind der Meinung, daß ihr Hund immer um sie herum leben muß und auch, daß er immer und überall dabei sein muß. Bist Du auch dieser Meinung, oder denkst Du, daß es für den Hund nicht besser ist, wenn er seine gewohnte Umgebung hat? Ist er nicht "glücklicher", wenn er sein Grundstück hat und seine Menschen?

Suzette: "Ich gebe Dir Recht, dass ein Hund, der immer und überall dabei ist, nicht unbedingt glücklicher ist, als ein Hund der auf einem grossen Grundstück lebt, auf einer Farm etc. Ich denke, die Hunde gewöhnen sich an die Art von Haltung, die ihnen gegeben wird und eigentlich hängt es mehr davon ab, ob der Besitzer die Bedürfnisse des Hundes richtig einschätzen kann. Ich kann meine 10 Hunde nicht im Haus haben. Manchmal nehme ich einen rein, hauptsächlich die Jüngeren, damit sie sich an alle Situationen gewöhnen, aber eigentlich sind sie am liebsten mit den anderen Hunden zusammen und nicht unbedingt vor dem Fernsehen, das ist für sie zu langweilig. Gewöhnt sich aber ein Hund daran, sein Herrchen überall zu begleiten, dann gewöhnt er sich an diese Gewohnheit und fühlt sich happy. Es ist aber gut, dass Hunde früh lernen auch allein zu warten, denn es wird immer einmal der Moment kommen, da dies nötig ist. Wenn er dies früh normal gelernt hat, ist das ein grosser Vorteil und der Hund leidet weniger unter Trennungsstress, wenn dieser bestimmt einmal unumgänglich ist."

Frage: Ist es für die Gesundheit eines Hundes nicht besser, wenn er das ganze Jahr über immer unter den gleichen Verhältnissen lebt, also z. B. im Freien? Oder anders gefragt, hat eine Haltung im Haus nicht gewaltige Nachteile?

Suzette: "Stimmt, für die Fellentwickling ist Freilandaufenthalt viel besser, auch für die Gelenke. Es gibt nichts Schlimmeres für die Gelenke, als ständig auf einem glatten Boden zu gehen und wenn möglich noch öfters auszurutschen. In Portugal halten die meisten Portugiesen ihre grossen Hunde nicht im Haus, oft wird gesagt "der arme Hund, der in einer Wohnung lebt". Das ist natürlich auch eine Mentalitätsache. In Mitteleuropa, sagt man das Gegenteil "die armen Hunde, die immer draussen sind". Wie gesagt, der Besitzer soll die Situation den Bedürfnissen des Hundes anpassen. Wenn ein Hund im Haus lebt, muss er als Ausgleich viel und lange spazieren gehen. Man muss Antirutschmaterial auf den Boden verlegen, wegen dem Ausrutschen und man braucht einen speziell guten Staubsauger. Im grossen Garten ist der Hund bestimmt auch glücklich und der Besitzer auch, solange keine Nachbarn stören, dann muss man eben den Hund rein nehmen."

Frage: Viele Hundehalter in Deutschland glauben, ihre Meinung sei die richtige. Wichtig ist aber doch auch, daß man sich informiert, wie die Hunde und Hirten in den Ländern leben, aus denen die Hunde kommen. Würdest Du es denn unterstützen, mal die Verhältnisse vor Ort anzuschauen? Oder machst Du so etwas schon in Portugal?

Suzette: "Hätten wir Zeit und Geld, sollten wir eine Studienreise  in den Balkan und Centralasien unternehmen und die verschiedenen Hundeschläge studieren. Sicher würden die Einheimischen denken, was für eine verrückte Gruppe, wegen den Hunden umherreisen.

Letztes Jahr, um diese Zeit, in der ich (jährlich) eine Serra da Estrela-Hund Ausstellung in Manteigas organisiere, kam die Präsidentin vom CPC (in Deutschland VDH) und noch ein Richter. Am Tag darauf machten wir eine Tour in den Bergen, um kurzhaarige Estrelas bei den Hirten zu besichtigen.Als wir an einer Hirtenhütte anklopften und nach dem Hund fragten, fragte die Hirtenfrau ganz verwundert, ja was hat der Hund getan? Es war ihr ganz unverständlich, dass soviele Leute (schicke zudem, denn diese Lissaboner kommen mit Stadtschuhen und schicken Kleidern in die Berge), dass die Leute alle so weit in die Berge gehen, um einen simplen Hund zu sehen. Es war irgendwie sehr komisch und ich musste lachen. Diese Lissaboner Gesellschaft war sehr erstaunt zu sehen, wie simpel diese Hirten leben, irgendwie noch wie vor 100 Jahren. Die Hütten sind innen ganz verrusst, denn das Kaminfeuer ist mit schlechtem Abzug versehen. Ganz spärlich möbliert. Manche haben einen Generator für den Strom oder Solarstrom, den aber der Blitz ausser Betrieb gesetzt hatte. Aber es gibt dort den besten Käse und den besten Rohschinken und etwas sauren Wein, alles selbstgemacht. (Nun hoffe ich, dass ihr Lust bekommen habt, mich zu besuchen)."

Frage: Hast Du denn nicht auch ab und an Probleme, wenn Du mit so großen Hunden unterwegs bist? Oder haben die Leute, die nicht ständig mit Estrela leben, nicht auch Angst vor den Hunden, oder wollen mit ihnen nicht viel zu tun haben?

Suzette: "Vor einigen Tagen kam ich zurück von einer Hundeausstellung südlich Lissabon.

Auf der Heimfahrt hatte ich noch eine Panne. Es leuchete plötzlich das rote Warnlicht auf und ich hielt mitten auf der Autobahn an und musste den Abschleppdienst herbei rufen, denn obschon alles normal schien, hatte ich zu grosse Bedenken mit dem roten Warnlicht zu fahren, Öl, Wasser, Temperatur normal, aber das Warnlicht war nicht wegzukriegen. In meinem Renault Scenic (ohne Hintersitze) hatte ich meine zwei Hunde. Als der Abschleppdienst den Wagen mitsamt den Hunden aufladen wollte, wurde der Everest wütend, dass ein anderer Mann auf meinem Sitz Platz nahm und bellte sehr wütend. Trotz dem Gitter bekam der Mann Angst und ich musste auf dem Gepäck Platz nehmen, nur so beruhigte sich der Everest. Dann war die Frage, welches Taxi bringt mich nach Hause mitsamt den Hunden? In südlichen Ländern weigern sich oft Taxifahrer Hunde mitzunehmen. Ich fand aber einen netten Taxifahrer und die Hunde durften auf den Ledersitzen Platz nehmen und benahmen sich sehr würdig. Ich war aber doch stolz, wie mein junger Everest,  sowie die junge Quica, mein Auto so gut verteidigt haben."

Frage: Welche Erfahrungen hast Du mit Rudelhaltung gemacht? Geht das überhaupt und wenn ja, wie? Sicher gab es doch schon die eine oder andere Beißerei.

Suzette: "Meine Hunde leben auch zum grossen Teil im Rudel zusammen. Es kommt aber immer wieder vor, dass es zu einer Beisserei kommt. Im grossen Ganzen sind die Weibchen verträglich, aber immer ganz friedlich geht es nicht zu. Ich beobachte viel, um herauszufinden, wie das Rudel funktionniert. Eine Hündin musste ich trennen, da sie schon zweimal gebissen wurde und ich will sie auf Ausstellungen mitnehmen. Bolero kommt noch mit dem jungen Everest aus, aber wie lange? Sicherheitshalber lasse ich sie nicht zusammen alleine, denn ganz plötzlich könnte der Bolero merken, dass es ein Rivale ist. Noch zeigt sich der junge Everest mit Bolero sehr unterwürfig, aber er interessiert sich schon sehr für die Weibchen und ich möchte nicht, dass der Bolero dies merkt."

Frage: Bleiben wir mal bei der Haltung und welche ideal ist. Spielt es denn nicht vielmehr eine Rolle, was für ein Verhältnis Hund und Halter haben? Wenn diese gut ist, kann doch eine Haltung im Freien nicht so nachteilig sein.

Suzette: "Ich bin felsenfest überzeugt, dass nicht die Haushaltung oder Zwingerhaltung, oder Freilandhaltung einen Hund glüklich macht. Es kommt immer darauf an auf das wie was wo etc. und an was der Hund gewöhnt wurde. Ich nehme von Zeit zu Zeit einen oder zwei Hunde zeitweise mit ins Haus, aber da ich 10 Hunde habe, geht es einfach nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass bei mir die Hunde sich im Haus langweilen, sie horchen immer, was draussen geht und sind eigentlich lieber draussen mit den anderen.

Im Haus kann sich eventuell eine stärkere Bindung entwickeln (weil man ständig zusammen ist) aber man kann auch viel schneller Fehler begehen, besonders Leute, die in Hundeerziehung noch nicht sehr viel Erfahrung haben. Oft habe ich beobachtet, dass viele versuchen mit (zuvielen) Leckerli den Hund in die richtige Bahn zu lenken und es geschieht das Gegenteil. Die Aussenhaltung kann durchaus artgerecht sein, wenn der Besitzer den Hunden genug Zeit widmet.

Es ist eigentlich die gleiche Frage, soll ein Kleinkind (im Vorschulalter) den ganzen Tag bei der Mutter sein oder lernt es mehr in einer guten Kinderkrippe? Die Antwort wäre JEIN."

Frage: Oft sagt man dann bei einer Haltung im Freien, dadurch würden die Hunde ängstlich, oder scheu. Aber wir denken, daß daran meistens die Gene schuld sind, oder höchstens eine falsche Prägung. Bei der Vererbung spielen natürlich auch auch alle Vorfahren eine Rolle. Und bei der Prägung machen Züchter und Halter Fehler.

Suzette: "Das stimmt absolut. Man kann längst nicht nur auf die Elterntiere schauen. Die Gene kommen von überall her. Aber ein erfahrener Züchter kennt seine Tiere mit denen er arbeitet. Man kann bei einem jungen Welpen sehen, wie er sich verhält und davon ableiten, dass der Welpe ein gutes Sozialverhalten entwickeln wird. Man soll natürlich bei der Erziehung nicht allzu viele Fehler machen. Wenn man täglich einen Welpen beobachtet, kann man eine Ahnung haben, ob er speziell dominant wird oder eher fügig ist, ob er ein Draufgänger sein wird, oder eher etwas abwartend. 

Ein Hirtenhund braucht auch eine lange Entwicklungszeit. Ein leicht ängstlicher Hund in der Jugend kann ein ruhiger anhänglicher Hund im Erwachsenenalter werden. Ein stürmischer Hund braucht eine festere Hand, um  geführt zu werden, damit er sich unterordnet und nicht selbst die Zügel in die Hand nimmt."

Frage: Du verkaufst ja auch viele Hunde ins Ausland. Gibst Du da den Leuten lieber Rüden, oder Hündinnen? Und was erzählst Du den Käufern, wie ein Estrela zu halten ist, wenn er in dichter besiedelten Gegenden lebt?

Suzette: "Für das Ausland empfehle ich praktisch immer Weibchen, weil diese leichter zu führen sind und weniger Kraft entwickeln. Ich verkaufe nur Rüden, wenn die zukünftigen Besitzer schon mit grossen eigenwilligen Hunden Erfahrung haben, nie in ein Reihenhaus (wegen den Nachbarn) und warne eher zu sehr, was auf die Leute zukommt, statt gut zuzureden, dass es ganz liebe einfache Hunde sind.

Sie sind wirklich lieb, aber man muss sie kennen und immer der Chef bleiben im Rudel. Es sind auf keinen Fall Hunde mit denen man gemütlich im Park spazieren kann und die Hunde kommen aufs Wort wenn man ruft. In vielen Fällen kann man sie in einem besiedelten Ort nicht von der Leine lassen. Das sage ich den zukünftigen Besitzern klar und eigentlich habe ich keine spezielle Probleme gehabt. Nur eine Hündin, die ich in der Schweiz platziert habe und die Besitzer haben manchmal etwas Mühe, weil sie sehr unfolgsam ist und eben nicht aufs Wort gehorcht. Sie ist nicht aggressiv, aber verbellt jemand, der komisch aussieht. Dann hageln gleich viele Kommentare von den anderen Leuten, was ist das für ein Hund etc !

Deshalb soll man den Hund gar nicht erst ab der Leine lassen, höchstens in den Bergen, wo wenig andere Leute sind. Ich bin mit meinen zwei jungen Hündinnen auch in der Schweiz spaziert (letzten November, als ich von Strasbourg zurück fuhr). Ich liess sie rennen und sie gingen manchmal recht weit weg, aber sonst überhaupt keine Probleme, alle Leute fragten, was es für Hunde sind.

Nur den Bolero würde ich nicht frei lassen, wenn ich ihn bei mir hätte. Aber hier in den Bergen nehm ich ihn oft mit und kann ihn frei lassen. Mit dem jungen Everest ging ich letzthin auch in den Bergen spazieren. Was geschah? Er und die junge Hündin hinter ihm her, verschwanden einfach. Weit und breit keine Hunde mehr. Wütend setzte ich mich ins Auto und wartete. Ich wusste, einmal kommen sie wieder zum Auto zurück, aber wann?. Ich musste eine halbe Stunde warten, dann waren sie wieder da, ganz glücklich (und ich auch). Es hätte auch länger dauern können. Bolero hatte dies in seiner Jugend auch gemacht, heute achtet er darauf, dass er mich nicht verliert."

Frage: Wenn sich Hunde so verhalten, wie Du es gerade beschrieben hast, zeugt das ja von großem Selbsbewußtsein. Ein ängstlicher Hund würde so ein Verhalten wohl kaum zeigen. Wie steht ein Hirte zu ängstlichen Hunden?

Suzette: "Ich finde das Thema "Ängstlichkeit" hochinteressant und es ist kein Fall gleich dem anderen. Ich kenne Hunde, die kommen aus Zwingern wo die Sozialisation null ist und sind deswegen nicht ängstlich. Dann kenne ich Hunde, die eine gute Welpenzeit hatten, am Anfang zu keiner besonderen Ängstlichkeit neigten und dann plötzlich mit 3 oder 4 oder 5 Monaten ängstlich werden. Dies kann vorbei gehen oder auch andauern. Deshalb neige ich dazu zu denken, dass es genetisch bedingt ist. Natürlich kann man durch richtige Erziehung und Einwirken vieles gutmachen.

Ich denke, es ist gar nicht ungewöhnlich, dass Hirtenhunde allgemein manchmal ängstlich sein können. Denn ängstliche Hunde sind misstrauisch und weichen den Menschen aus. Um ihre Angst zu vertuschen, zeigen sie sich aggressiv (manchmal ohne es wirklich zu sein). Dieses Verhalten stört den Hirt nicht. Er schmust sowieso nie mit dem Hund und berührt ihn praktisch nie. Ängstliche Hunde sind besonders aufmerksam und sind die ersten, die Bellen. Auch dies mag der Hirt. Im Rudel sind ängstliche Hunde regelrecht nützlich. Deshalb wurden die Hirtenhunde vom Hirten nie wegen der Ängstlichkeit "aussortiert", in den Bergen stört das niemand. Es gibt aber so viele verschiedene Arten von Ängstlichkeit, so dass es schwer ist, die Ursache auf einen Nenner zu bringen. Man braucht viel Geduld und Hundeverständnis. Man muss dem Hund Sicherheit vermitteln und ihn gleichzeitig an uns binden, damit er Halt findet. Schüchterne Hunde können durchaus ihren Reiz haben, aber es gibt auch ängstliches Verhalten mit dem es schwer ist, umzugehen. Deshalb interessieren mich die Erfahrungen der anderen."

Frage: Man denkt, ein Hund ist entweder ängstlich oder selbstbewusst. Und man kann ausgleichen durch entsprechende Prägung.

Suzette: "Das habe ich auch sehr lange gedacht. Ich kenne aber sehr viele Fälle, wo Hunde ängstlich wurden, oder seit dem Welpenalter, obschon sie ausgezeichnet geprägt wurden etc. Ich kenne zum Beispiel Schweizer Züchter (den Portugiesen traut man vielleicht weniger), die den Welpen die besten Verhältnisse bieten, im Haus sein, Kinder um sich, Auto fahren, etc. und die Welpen sind ängstlich. Einfach unerklärlich. Dann hat dieser Züchter einmal eine andere Linie genommen und die Hunde waren auffällig anders im Verhalten, nicht ängstlich, es handelt sich um dieselbe Rasse. Ich kenne Zuchtlinien, da sind die Hunde durchschnittlich mehr ängstlich, als andere Zuchtlinien und die Bedingungen sind die selben.

Natürlich ist Sozalisation und Welpen-Prägung enorm wichtig und kann vieles ausgleichen. Der Junghund durchläuft auch verschieden Phasen in seiner Entwicklung. Ganz klein bis zu 2 Moanten kennen die wenigsten normal aufgezogenen Welpen Angst, gehen auf die Leute zu etc. Dann bei 3 Monaten durchlaufen sie eine unsichere Phase. Sie fühlen sich wohl im Rudel und etwas verloren ausserhalb. Manche mögen keine unbekannten Menschen, andere wiederum nicht. Ich gehe immer davon aus, dass die Elterntiere ein ganz normales soziales Verhalten zeigen und zutraulich sind. Diese verschiedenen Phasen wiederholen sich während der ganzen Jugend des Hundes. Manche Hunde entwickeln plötzlich eine unerklärliche Angst,  andere wiederum überhaupt nicht. Welpenspielstunde finde ich super, leider in Portugal noch wenig bekannt. Ich gehe mit den Junghunden immer mit anderen selbstbewussten Hunden spazieren, damit sie es lernen. Manche lernen es sehr gut, andere haben mehr Mühe. All meine Beobachtungen zeigen mir, dass vieles genetisch ist (oder vererbt wird). Es wäre für mich viel einfacher, wenn die Erziehung die Hunde formt, wie wir möchten. Ich wollte auf portugiesisch eine Arbeit darüber schreiben, bin aber noch nicht so weit. Sicher stimmt es, dass wir immer der Chef im Rudel sein müssen. Trotzdem würde ich in solch einer Situation aufpassen und es nicht darauf ankommen lassen."

Frage: Man kann ja einem jungen Hund antrainieren, sich zu unterwerfen. Dies geht am einfachsten mit der Wegnahme von Futter und es dann wieder geben. Übst Du so was?

Suzette: "Ich gebe nur grosse Knochen an die Hunde, wenn diese getrennt angebunden sind oder sonst getrennt sind, denn die Situation ist einfach heikel. Die jüngeren Hunde bekommen die Knochen zuletzt. Ich empfehle immer den Leuten, den Welpen schon ganz früh einen Kochen zu geben und wieder wegnehmen, damit der Welpe merkt, dass wir die Oberhand haben. Aber einem ausgewachsenen Hund einen Knochen wegnehmen, wenn dieser knurrt, das ist sehr heikel. Ich würde in Zukunft lieber die Knochen den Hunden geben, wenn sie getrennt sind, als Belohnung, eventuell dazu anbinden, das zeigt unsere Macht, dass er den Knochen haben kann, aber nur wenn wir wollen und an dem Ort, den wir bestimmen.

Ein Beispiel: Meine erste Estrela-Hündin Sambah (ist mit 12 Jahren gestorben), hatte einen sehr guten Charakter, war aber verfressen und wehe, wenn ihr jemand einen Knochen wegnehem wollte. Sie hätte mich vermutlich sogar gebissen. (Damals hatte ich noch wenig Erfahrung mit dominanten Hunden). Also liess ich sie mit dem Knochen. In allen anderen Belangen gab es überhaupt keine Probleme. Heute kann ich jedem meiner Hunde den Knochen wegnehmen. Aber wie gesagt, nie würde ich Knochen verteilen ohne dass die Hunde jeder an seiner Stelle angebunden sind, sonst käme es ganz bestimmt zu einer wüsten Rauferei, auch wenn die Hunde sich sonst sehr lieben."

Frage: Immer wieder hört man Geschichten von den "wüsten" Raufereien. Soll man da eingreifen, oder die Hunde die Sache unter sich ausmachen lassen? Zumal, wenn es so große Hunde sind.

Suzette: "Ich denke, es ist immer schlimmer, wenn der Mensch bei einem Hundestreit eingreift. Das Beste ist, sich entfernen (es braucht schon Nerven). In den meisten Fällen machen die Hunde untereinander aus, wer der Gewinner ist, ohne allzu viel Blutvergiessen. Höchstens mit einem Wasserschlauch eingreifen, oder (wenn die Hunde nicht zu gross sind) den Angreifer bei den Hinterbeinen wegziehen, das verunsichert ihn und er lässt los. Aber solange der Mensch daneben steht und eventuell noch schreit, feuert das die Hunde zusätzlich an. Sehr oft stürtzt sich dann der unterlegene Hund noch mehr auf den Angreifer und bald sind sie wieder ineinander verbissen. Das Beste ist wegrennen, dann dauert der Kampf nicht lange und die Wunden sind sehr selten tödlich. Etwas zunähen und Antibiotica und in spätstens zwei Wochen ist alles verheilt.

Meine Hunde waren schon öfters in Kämpfe verwickelt. Die schlimmsten Verwundungen passierten, als Bolero mir entwich und sich auf einen grossen Mischling stürtzte. Es war ein Volksfest zur Karnevalzeit, daneben tanzte eine Volksgruppe und dementsprechend waren viele Leute anwesend (wie in einem Film). Ich versuchte den Bolero noch zurück zu halten und wurde so bäuchlings durch das ganze Fest geschleppt, bis so viele Leute neben mir standen und riefen, lassen sie los! Sie hatten Angst um mich und ich hatte Angst um die Hunde.

Dann rissen mehrere Männer an den Hunden herum, die ineinander verbissen waren. Resultat: Bolero hatte unter dem Auge einen riesigen herunterhängen Hautfetzten und der andere Hund auch ein paar Bisswunden. Ich ging per Notfall zu meinem TA nach Guarda (1 Std.), Narkose und zunähen. In 10 Tagen war alles OK.

Hätten die Leute nicht eingegriffen, waere es viel weniger schlimm geworden, da bin mir sicher. Auch im Gehege gibt es unter den Hündinnen manchmal Beissereien, die gar nicht vorauszusehen sind. Alle kommen gut aus, die Rangordnung scheint in Ordnung sein und am anderen Morgen treffe ich einige Hündinnen total ueberzogen mit Schlamm und einige mit mehreren Bisswunden, manche tief. Aber tödlich oder mit schlimmeren Verwundungen ist mir noch nie passiert."

Frage: Mein Hund hat mich angeknurrt und nach mir geschnappt. Im Reflex habe ich ihm eine "gewischt". War das richtig? Und wie kann ich mich in Zukunft vielleicht besser verhalten?

Suzette: "Ich denke auch, dass ein Hund seinen Herrn nie ankurren darf. Aber da dies nun einmal passiert, würde ich ganz ruhig Deine Chefposition überdenken. Nicht Gewalt anwenden und die Sache nicht von einem Tag auf den anderen lösen. Hat Dein junger Hund eventuell zuviel Freiheit? Kann er tun und spielen, wann immer er will? Bestimmt er, wo er auf dem Spaziergang schnüffeln kann und wohin er lieber geht? Bekommen die Hunde zu fressen, bevor die Menschen an dem Tisch sitzen? Von nun an, musst Du dem Hund Schritt für Schritt zeigen, dass Du der Chef bist. Vor dem Fressen muss er Sitz machen und jeder Hund muss angebunden an der Stelle fressen, die man ihm zuordnet. Das Fressen 15 Minuten stehen lassen und dann wieder wegnehmen, ohne Kommentar. Wenn der Hund nicht ruhig angebunden bleibt, solange warten bis er sich ruhig benimmt und erst dann das Fressen geben. Wenn der Hund im Gang liegt und man will vorbei gehen, muss er aufstehen und seinen Platz räumen. Es versteht sich, dass er nicht aufs Sofa liegen darf, das gibt dem Hund das Gefühl, dass er der Herr ist. Es gibt viele Momente am Tag, indem wir betonen müssen, dass wir das Sagen haben. Es gibt auch sehr gute Bücher, die dies in allen Einzelheiten erklären, denn es ist normal, dass man am Anfang seine Fehler macht, aber man sollte nicht zu viele Fehler machen, besonders wenn der Hund einen dominanten Charakter entwickelt.

Ich weiss, es ist nicht immer leicht, den Oberchef zu spielen bei unseren Hunden, aber die täglichen kleinen Begebenheiten zeigen dem Hund, ob wir das Sagen haben oder er. Man muss aber auch wissen, dass Hunde sich durchaus wohl fühlen, wenn sie genau wissen, wer der Chef ist. Nichts ist für einen Hund verwirrender, wenn ihm zeitweise (unbewusst) gesagt wird, er sei der Chef und dann sollte er plötzlich diese Rolle wieder abgeben. Dann können nämlich Probleme entstehen.

Ich persönlich finde es besser, dem Hund täglich Signale zu senden, um zu sagen, wer der Chef ist, statt es bis zum Äussersten kommen zu lassen. Bei sehr dominanten Hunden ist dies wichtig, denn ein Schlag im richtigen Moment kann vielleicht manchmal wirken, aber manchmal auch eine gegenteilige Reaktion provozieren. Das Bestrafen durch Schlagen ist falsch, denn der Hund bekommt wahrscheinlich Angst und einen ängstlicher Hund darf man nie schlagen, weil es eine defensive unkontrollierte Reaktion hervorrufen kann und der Hund versucht sich zu verteidigen, indem er zubeißt. Ich habe vor kurzem das Buch von Jan Fenell gelesen und sie erklärt sehr gut, wie man mit schwierigen Fällen umgeht, ohne Gewalt, nur in der Sprache des Hundes zu sprechen.Man hat nie ausgelernt."

Wird fortgesetzt ...

Alle Bilder sind von Suzette Preiswerk da Mota Veiga


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