Ausgabe 04/2006
April 2006

Kaukasen in Georgien ....

... was man sonst nicht zu sehen bekommt

Bassara
Foto: Frank Schreier

Wer unsere Beschreibung von Georgien gelesen hat, erinnert sich sicher, im Nordosten des Landes liegt die Stadt und Region Kasbegi. Sie gehört zum großen Kaukasus.

In den dortigen Bergen wird nach alter Tradition immer noch Weidewirtschaft betrieben. Und dort findet man auch heute noch mit viel Wissen und Geduld die alten Schläge der kurzhaarigen Bergkaukasen.

Ein in Georgien lebender Deutscher, der seit 6 Jahren dauernd im Land lebt, schickte uns zu diesen Hunden eine ganze Menge Informationen und Bilder und die Geschichte von Bassara. Und von ihm handelt daher auch unser Artikel.

Frank schreibt:

" ... ich lebe mit meiner georgischen Frau, meinen drei Kindern und vier Hunden seit zehn Jahren anfangs überwiegend, seit sechs Jahren ständig in Tbilissi/Georgien. Von Beruf bin ich eigentlich Deutschlehrer meine Frau ist Biologin (Genetikerin).

Frank mit Bassara
Foto: Frank Schreier 

Seit dem 1.Maerz bin ich nur noch "nebenberuflich" Deutschlehrer, hauptberuflich bin ich jetzt Projektleiter der IBF - Georgia, der International Bear Foundation Georgia, deren Mutter - Organisation die IBF - Holland ist. Die IBF - Georgia befindet sich zurzeit im Aufbau, bis Mitte April ist die Legalisierungsphase abgeschlossen, dann werden wir auch unsere eigene Website einrichten.

Eines der Projekte, die wir beginnen möchten, ist das Projekt "Georgian Mountain Dog - Nagazi"; seine Inhalte sind u.a . die Erforschung, Bewahrung und (Rein) Zucht des georgischen oder kaukasischen Berghundes, den die Georgier "Nagazi" nennen.

Bassara
Im Hintergrund der Kasbek
Foto: Frank Schreier

Die von uns gezogenen Welpen wollen wir künftig an die Menschen in den Bergregionen mit gewissen Verpflichtungen abgeben. Dort fehlen die Hunde, aus vielen Gründen, die ich Ihnen, wenn es Sie interessiert, gerne einmal darstellen werde.

Ich beschäftige mich seit einigen Jahren intensiv mit dieser Hunderasse, habe selbst zwei Rüden und zwei Hündinnen des kurzhaarigen Bergtyps aus dem hohen Kaukasus, aus Kasbegi. Mit einigen Freunden zusammen bemühe ich mich seit längerem, die - in erster Linie - kurzhaarigen Hunde in Reinzucht zu erhalten."

Einen seiner Rüden - Bassara - beschrieb er in einer E-Mail. Und diese Beschreibung wollen wir veröffentlichen. Denn sie zeigt neben der Liebe und Achtung gegenüber diesem Hund sehr viel über den Charakter und das Verhalten dieser leider so selten gewordenen Hirtenhunde.

Bassara

Bassara, 1,5 Jahre alt
Foto: Frank Schreier

"Weißt du, was das Lustigste an meiner Suche nach Informationen und Erkenntnissen ist? Immer wenn ich meine, etwas Neues entdeckt oder erfahren oder gelernt zu haben und mit dem Neuen zu meinem Bassara komme, überfließend vor Liebe zu ihm und dem unbändigen Wunsch, ihn zu knuddeln, bleibt er einfach sitzen, seine Körperhaltung verrät seine unendliche Liebe zu mir - und er sieht mich mit seinen unglaublichen Augen an, die so alt sind wie der Kaukasus selbst und scheint zu denken: Ruhig Blut, Junge, das ist doch nicht neu. Die Berge um uns herum stehen schon ewig und werden noch stehen, wenn wir beide nicht mehr sind. Wir sind nur Teil eines größeren Ganzen, nimm dich und mich nicht so wichtig. Ich mache meine Arbeit, so gut ich kann, mach du deine so gut du kannst. - Und dann begreife ich, dass er seine weitaus besser macht als ich meine.

Ich habe dir unsere Geschichte versprochen, hier ist sie, ich versuche mich möglichst kurz zu fassen.

... Auf den Videos sah ich einige Hunde, die einfach anders waren. Du verstehst ganz sicher, was ich meine, wenn ich sage: Man kann von vielen Hunden völlig begeistert sein, aber dann sieht man plötzlich einen und man denkt sofort: DER ist es. So habe ich vier Hunde gesehen, die wie Wesen von einem anderen Hundestern waren: Khoda (was im Dialekt von Kasbegi "männlich, Mann" bedeutet), sein ein Jahr älterer Bruder Tugo (bedeutet so viel wie: "ein Hund, dem man mit Respekt begegnet") und Khodas Soehne Aptara ("Hyaene" - aber so sieht er gar nicht aus) und Tetri Khoda ("weisser Khoda"). 

Alle vier sind das, was ich einen echten Berghund-Rüden nennen würde. Von ihrer Kraft und Ausstrahlung und Dominanz kann man sich keine Vorstellung machen. Khoda, Tugo und Aptara sind schon tot, von ihnen konnte ich keinen direkten Sohn mehr bekommen. Aber Tetri Khoda lebt noch, ist jetzt zehn Jahre alt, aber leider ist er in Osseti. Von da an war es mein Traum, einen Sohn von ihm zu bekommen, und ich habe angefangen zu suchen.

Ergebnislos, monatelang. Ich hatte die Suche schon aufgegeben, da rief mich ein Freund an und sagte mir: Frank, in Kasbegi ist ein 9 1/2 Monate alter Sohn von Tetri Khoda zu verkaufen. Du kannst dir ungefähr vorstellen, was mit mir war. Am nächsten Tag war ich in Kasbegi und sah zum ersten Mal Bassara. Wir waren zu viert und sahen über die Gartenmauer. Dort saß er angekettet, sah auf und mir direkt in die Augen. Ganz ernst: Mit der ihm eigenen Ruhe hat er mir minutenlang direkt in die Augen gesehen, alle anderen waren für ihn Luft, selbst seinen Besitzer hat er völlig ignoriert. Ich stand dort, er sah mich an, ich ihn - und das wars: Ich verstand, dieser Hund wäre für mich das, was kein anderer jemals war noch sein wird.

Und dann kam der Schlag: Er war praktisch verkauft, ein reicher Russe aus Moskau hatte ihn dort auf einer Ausstellung gesehen und wollte ihn kaufen, für 3.000 Dollar. Die hatte ich nicht, beim besten Willen. Wir verhandelten mit ihm, wir stritten mit ihm, wir strichen ihm Honig um den Bart, ... es half nichts. Ich hatte Bassara (was übrigens "scharf" bedeutet) nicht einmal gestreichelt. Wir fuhren zurück nach Tbilissi, ich hätte weinen können. Ich gab mir alle Mühe, an etwas anderes zu denken, umsonst. Bassara war in mich eingebrannt, so blöd sich das anhört. Ob du es glaubst oder nicht, mir ging es richtig schlecht. Aber was konnte ich tun? Wie ich wusste, sollte er schon in wenigen Tagen in Moskau sein.

Bassara
Foto: Frank Schreier

Sechs oder sieben Wochen später rief mich plötzlich mein Freund an. Er war völlig aufgeregt und konnte kaum sprechen. Wir arbeiten zusammen an der Rasse, und er wusste, was dieser Hund mir bedeutete. Er sagte: Frank, Bassara ist noch in Kasbegi, dieser Russe hat ihn noch nicht abgeholt. Und wie ich erfahren habe, haben seine Besitzer 500 Dollar Schulden. Ich glaube, wir können ihn für dieses Geld bekommen. Wenn wir gleich fahren und ihnen 500 Dollar auf den Tisch legen, verkaufen sie ihn bestimmt.

500 Dollar hatte ich, denn wir hatten gerade unsere Wohnung verkauft und ein kleines Haus gekauft. Mit diesen 500 Dollar sollte unser Schlafzimmer eingerichtet werden. (Man muss vielleicht erwähnen, dass 500 Dollar hier sehr viel mehr sind als in Deutschland. Das Monatsgehalt eines Polizisten liegt zwischen 150 und 200 Dollar). Meine Frau verstand gleich, was Sache ist und fand es völlig in Ordnung, auf Matratzen zu schlafen. Wir sind sofort los, ich mit meinen 500 Dollar in der Tasche und nervöser als vor meiner Hochzeit.

In Kasbegi dasselbe Bild. Bassara sieht auf, mich an und nicht mehr weg. Ich stehe mit trockenem Hals und klopfendem Herzen. Temuri, mein Freund, hat mir verboten den Mund aufzutun, er will die Verhandlungen führen. Von 3.000 auf 2.500 Dollar geht relativ schnell, auf 2.000 auch noch, aber dann wird es schwierig. Der Besitzer fragt, ob er den Hund einmal rausbringen soll, Temuri stimmt zu, ich werde schwach.

Die Gartentür geht auf, heraus kommt der Besitzer mit Bassara, der sieht mich an, bleibt stehen, ich sehe ihn an. Bassara setzt sich in Bewegung, kommt auf mich zu, zieht seinen Besitzer hinter sich her. Meine Begleiter machen sich aus dem Staub. Bassara kommt bis zu mir, er riecht nicht einmal an mir - er setzt sich einfach direkt neben mich und lehnt sich an mich. Unvorstellbar! Dort stehe ich nun: an mich gelehnt Bassara, meine Hand auf seinem Kopf, um uns meine Begleiter und Temuri in Verhandlungen mit dem Besitzer - und meine geliebten Berge, hier bis über 5.000 Meter hoch. Ich komme mir vor wie in einer anderen Welt - und bin es ja auch.

Die beiden sind bei 1.500 Dollar. Weiter runter will der Besitzer nicht gehen, um keinen Preis. Da sagt Temuri zu ihm: Okay, wir haben 500 Dollar, mehr nicht. Überleg es dir gut. Wir steigen jetzt ins Auto und fahren nach Tbilissi zurück. Und wir werden nicht mehr kommen. - Dreht sich um und steigt ins Auto. Ich bekomme fast einen Herzschlag, der Besitzer nimmt die Leine aus meiner Hand. Bassara will nicht mit ihm gehen, er bleibt einfach sitzen. Temuri sagt, ich soll einsteigen, ich frage ihn leise, ob er sie noch alle hat. Ich sage ihm, ich werde mein Auto verkaufen, alles, aber diesen Hund gebe ich nicht mehr her. Temuri sagt mir leise und zart, ich solle das Maul halten, er wisse, was er tut. Ich verspreche ihm seinen frühen Tod, falls er sich täuscht und steige ein.

Temuri: Fahr langsam los.

Ich: Ich bringe dich um.

Temuri: Fahr! Wir bekommen den Hund.

Ich: Temuri, ich vertraue dir, aber glaub mir, du stirbst, wenn das ein Fehler ist.

Und ich fahre langsam los, das Herz schlägt mir im Hals, im Rückspiegel sehe ich Bassara, der immer noch dort sitzt und mir ruhig nachblickt. Plötzlich ein Ruf: Wartet einen Moment! Ich bleibe stehen, Temuri fragt unfreundlich, was denn noch sei, wir hätten keine Zeit, noch drei Stunden Fahrt vor uns.

Der Besitzer leiht sich mein Handy und ruft seine Frau an. Wir verstehen, dass die beiden streiten. Schulden und Hund und 500 Dollar usw. Bassara sitzt dort und sieht mich ununterbrochen an. Plötzlich legt der Besitzer auf, gibt mir mein Handy und sagt: Nehmt ihn mit. - Ich bin völlig fassungslos. Gebe ihm die 500 Dollar, öffne die Heckklappe. Bassara sieht mich ruhig an. Ich sage: Hopp, steig ein, wir fahren nach Hause. Und was macht er? Er steigt ein, setzt sich ruhig hin und wir fahren nach Hause.

Bassara
Foto: Frank Schreier

Und seit diesem Moment ist Bassara MEIN Hund. Und ich bin SEIN Frank. Nein, eigentlich schon früher, schon seit unserem ersten Treffen. Selbst wenn ich ihn nicht bekommen hätte, wäre er trotzdem MEIN Hund und ich SEIN Frank. Du verstehst Hunde, du verstehst vor allem Hirtenhunde - du verstehst sicher, was ich damit meine. 

Seit fast zwei Jahren ist Bassara jetzt an meiner Seite, und bis heute bin ich jeden Tag aufs Neue erstaunt, wie er ist, was er ist, wer er ist. So viel Stolz, Persönlichkeit, Intelligenz, Kraft, Mut, Freiheit und gleichzeitig so viel Liebe und Treue in einem Lebewesen!

Vielen kommt das alles sicher übertrieben vor. Das ist es nicht. Wer nicht bereit ist, solche Dinge zu glauben - und die Geschichte der Nagazi kennt - zig solcher Erzählungen - der ist es gar nicht wert, einen Hirtenhund an seiner Seite zu haben.

Es ist schon seltsam: Auf der einen Seite dieses "Gefährliche" für alle, die nicht zur Familie gehören und die ständige Bereitschaft, für die Familie alles zu wagen, zu kämpfen, einzustehen, immer und unter allen Umständen und bis zum Tod - und auf der anderen Seite diese unbedingte und grenzenlose Liebe und Treue. Das heißt Nagazi.

Jetzt kennst du auch "unsere" Geschichte. Sie ist dann doch länger ausgefallen als geplant. Vielleicht siehst du ja einmal Bassara, dann wirst du verstehen, dass ich dir eigentlich noch viel zu wenig erzählt habe. Bestimmt werden wir uns einmal persönlich kennen lernen."

Man stelle sich vor, dieser Hund wäre tatsächlich nach Moskau gekommen, unvorstellbar!

Hartmut Deckert

Tetri Khoda, Bassaras Vater
Foto: Frank Schreier 


Zu diesem Artikel bekamen wir folgende Leserbriefe: