Ausgabe 09/2006
September + Oktober 2006

Do Khyi - Mythos und Wirklichkeit

Killing legends!

Teil 1: Von den chinesischen Quellen bis Marco Polo

Der Mythos

Unter allen großen, molossoiden Hunderassen nimmt der Do Khyi, ansonsten auch Tibetdogge oder Tibet Mastiff genannt, schon wegen seiner imposanten Erscheinung und seines außergewöhnlichen Verhaltens eine Sonderstellung ein. Er gehört auch zu den seltenen großen Hunden in der europäischen Haltung, weil seine Zucht nicht ganz einfach ist.

Kaum ein anderer großer Hund ist zudem mit einem vergleichbaren Mythos ausgestattet. Tibetische Lamas bezeichnen ihn als Verkörperung des Geistes des Himalajas und sagen ihm Qualitäten tibetischer Schutzgeister (zornvolle Götter) nach, wie sie sich etwa im „Schwarzen“ (Mahakala) manifestieren.

Da wollen europäische Hundehalter und Züchter nicht nachstehen und arbeiten kräftig mit an den Do-Khyi-Legenden. Hier ein paar ausgewählte:

Danach sei der Do Khyi:

  • als tibetischer Prototyp der Molosserhunde in Tibet vor etwa 7000 Jahren anzusehen, (also im Mesolithikum, der Mittleren Steinzeit, entstanden – Quelle: Hundekosmos)
  • eine der ältesten Hunderassen der Welt, was auf vielen Abbildungen aus dem Altertum gezeigt werde, z.B. dem berühmten Relief von Ninive ca. 850 v. Chr., dem von Nimrod ca. 640 v.Chr. oder gar Felsmalereien im Königreich Zansgar, mindestens 3000 Jahre alt; (Quelle: diverse private Webseiten)
  • auch von chinesischen Quellen mehr als 1000 Jahre v. Chr. erwähnt (Quelle: unter anderem eine Gräfin!)
  • von Alexander dem Großen (356 – 326 v. Chr.) von seinem Zug nach Indien in Gestalt großer, doggenartiger Hunde mitgebracht worden; diese bildeten angeblich die Ausgangsbasis für die Zucht der Molosser (Quelle: Hundekosmos. Im Kontext wird nahe gelegt, dass es sich hier um Hunde handelt, in die zumindest die Tibetdogge eingekreuzt worden ist).
  • von Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) erstmals erwähnt worden (Quelle: F.C.I. - Standard vom 24.3.04; unter „Kurzer historischer Abriss“)
  • von Marco Polo auf seiner Reise zum Mongolenfürsten Kubilai Khan (Treffen angeblich 1275 n.Chr.) beschrieben worden. (Quelle: fast überall, wo vom Do Khyi die Rede ist)
  • die Urform aller heutigen Mastiff- und Molosserrassen. (diverse Quellen, auch scheinbar „offizielle“)
  • sogar das Bindeglied zwischen Wolf, Wildhund und der domestizierten Form des heutigen Haushundes; vom schwarzen Tibetwolf abstammend, dazu noch vom indischen Rotwolf und dem indischen Rothund. (Quelle: diverse private Webseiten)
  • eine „autochthone“ Rasse, habe sich also selbständig und ohne Zutun des Menschen entwickelt; (Quelle: private Webseiten)

Imponierende Merkmale eines imponierenden Hundes, die aber einen Schönheitsfehler haben: Keine einzige dieser Behauptungen lässt sich beweisen, ja, fast alle sogar ausdrücklich widerlegen! Damit will ich mich intensiv befassen. Da sich die o. g. Legenden teilweise überschneiden, gehe ich nach Sachlogik vor und nicht unbedingt chronologisch.

Die folgende Darstellung basiert überwiegend auf öffentlichen Quellen, die jedermann zugänglich sind (bis auf Gelbrich, s. u.), und arbeitet mit daraus sich ergebenden Schlussfolgerungen.

Die historischen Legenden

7000 Jahre Tibetdogge (Do Khyi)?

Woher weiß der Autor im „Hundekosmos“ das? Die frühesten schriftlichen tibetischen Quellen gehen nämlich nur auf das 7. nachchristliche Jahrhundert zurück. Hier finden wir von buddhistischen Autoren auch immer mal wieder Hinweise auf den Do Khyi mit den vier Augen Buddhas. Mündliche Überlieferungen durch die Bönpos, die wenigen überlebenden Mönche der alten Bön-Kultur, reichen bis ins 2. Jahrhundert vor der Zeitenwende. Hier liegt der Beginn der tibetischen Kultur und der staatlichen Organisation, nämlich der Herrschaft der Shang-Shung-Könige. Von daher wissen wir auch, dass bereits in der Bön-Kultur die kleinen, langhaarigen, gedrungenen Hunde sehr geschätzt waren. Wir können sicher annehmen, dass es zu diesem Zeitpunkt auch große Hunde in Tibet gegeben hat, vom Do Khyi aber gibt es keinen gesicherten Nachweis.

Die Jahrhunderte und Jahrtausende vor der Bön-Kultur liegen in Tibet im Dunkeln. Nur spärliche archäologische Befunde und Sprachuntersuchungen werfen ein schwaches Licht in die tibetische Vorzeit. (Neuerdings aber bieten auch genetische Studien grundlegende Informationen über die tibetische Frühzeit. Doch dazu später mehr).

Chinesische Quellen, die ab und zu angeblich von Tibet oder gar tibetischen Hunden berichten, sind bei näherer Betrachtung nicht belastbar. Auch dazu später mehr. So bleibt die Behauptung auf eine Abkunft der Molosser von tibetischen großen Hunden wie dem Do Khyi (tibetischer Prototyp), datiert bis in die Mittlere Steinzeit, ein bloßes Hirngespinst!

Alexanders große Hunde

Olympias, die Mutter Alexanders, stammte aus dem Königsgeschlecht der Stadt Epeiros, den Molosserzüchtern des alten Griechenlands. Olympias war berühmt für ihre eigene Molosser-Zucht. Alexander nahm auf seinem Kriegszug Molosserhunde mit nach Indien, die als Wach- und Schutzhunde eingesetzt wurden. Möglicherweise ließ Alexander auch große indische Hunde nach Pella bringen, der Hauptstadt Makedoniens. Er selber hat seine Heimat nicht wiedergesehen. Doch auch diese indischen Hunde konnten nicht die Ausgangsbasis einer Zucht sein, die längst schon existierte.

Ersterwähnung des Do Khyi durch Aristoteles?

Aristoteles ist der berühmteste Lehrer Alexanders und kannte selbstverständlich auch dessen Mutter Olympias und ihre Molosserzucht. Die Molosserfreunde, z. B. im Club für Molosser in Deutschland, weisen darauf hin, dass Aristoteles den Molosserhunden aus Epeiros (Epirus ist die lateinische Fassung) seine Wertschätzung zeugte. Die entsprechende Stelle lautet: „In Molossis zeichnet sich eine Hunderasse, die als Beschützer der Herden dient, durch ihre Größe und unbändigen Mut gegen wilde Tiere und vor allen anderen Hunden aus“(zitiert nach „Hundekosmos, Kreta und Mykene).

Selbstverständlich war Aristoteles ständig über die Taten und Erlebnisse Alexanders bei dessen Zug nach Indien informiert. Denn dieser führte neben den Gefährten, den „hetairoi“ wie Ptolemaios, Seleukos oder Philotas, alles Schüler Aristoteles´, einen ganzen Stab an Schreibern und Biografen mit sich, die mit ihren Berichten über die Taten Alexanders die heimischen Makedonier bei Laune halten und die wackeligen hellenischen Bundesgenossen beeindrucken sollten. Propaganda für den Feldherrn – gewürzt mit ordentlichen Anteilen der in Persien und Indien gemachten Beute!

Und der Chef der Propaganda-Abteilung Alexanders ist ausgerechnet Kallisthenes, Aristoteles´ Neffe! Von ihm und den anderen makedonischen Führern aus seiner ehemaligen Schule in Mieza erfährt der hochgeachtete Gelehrte nicht nur die offiziösen Meldungen, die für die makedonische und hellenische Öffentlichkeit frisiert sind, sondern auch die tatsächlichen Fakten des Alexanderzuges. Ja, er lässt sogar über diese Quellen wissenschaftliche Fragen erforschen, die er per Brief stellt. So werden ihm z.B. während des Ägyptenfeldzugs auch die wichtigsten Maße der Cheopspyramide übermittelt.

Nachvollziehbar sind wegen seiner Intimkenntnisse deswegen Aristoteles Bemerkungen zu den „stiernackigen indischen“ Hunden. Doch von tibetischen Hunden ist in Alexanders ausführlichen Berichten nichts zu finden! Und darum ist auch bei Aristoteles von tibetischen Hunden nirgendwo die Rede. Nicht einmal von China hatte der größte griechische Universalgelehrte Kenntnis, so wenig wie auch die Römer nach ihm. Nur die „Serer“ auf der Seidenstraße kannte man, nicht aber den Anfang dieses bedeutendsten Handelsweges der Antike! So ist es mehr als unwahrscheinlich, dass Aristoteles aus dem unendlich abgeschiedenen Hochland von Tibet Nachrichten vom Do Khyi erhalten hat.

Marco Polo, König von Tibet

Als berühmtester Do Khyi Berichterstatter gilt Marco Polo, den die Do Khyi Legende sogar zum „König von Tibet“ ernennt. Marco Polo kehrte 1295 n.Chr. von einer angeblich 24 Jahre dauernden Reise von Venedig nach Asien zurück. Dort sei er unter anderem in Karakorum, der Hauptstadt der Mongolen, vom Großkhan Kubilai nicht nur empfangen worden, sondern habe diesem sogar als Berater und als dessen Statthalter in China gedient.

Doch kaum einer seiner Zeitgenossen nahm ihm schon damals seine Erzählungen ab. Man hielt sie in Gänze für Lügengeschichten und nannte Marco Polo abschätzig „messer milione“, Herr Million, oder sogar „messer mentitore“, Herr Lügner! Diese Einschätzung wird heute von etlichen Fachleuten geteilt.

Dietmar Henze etwa, der Autor der „Enzyklopädie der Entdecker und Forscher der Erde“, analysiert im Beitrag über Marco Polo auf 370 Seiten seine Reisebeschreibung mit bislang einzigartiger Sorgfalt, setzt sie zu den darin aufgeführten geographischen Gegebenheiten in Beziehung und vergleicht jeden Satz aus dem Reisebericht mit den Berichten späterer Reisender.

Abschließend kommt er zu dem Ergebnis, dass Marco Polo sicherlich nie in China gewesen ist und seinen Bericht aus fremden Schilderungen frei zusammengesetzt haben muss. Über Marco Polo fällt er wörtlich folgendes Urteil:

„Seine ganze lange vorgegebene Reise indes - und das zu klären, war hier erste Aufgabe - ist ein blankes Fabelstück, um es deutlicher zu sagen: der kolossalste Schwindel der globalen Entdeckungsgeschichte.“

Zitatende; (Quelle zu Dietmar Henze: Wikipedia).

Für unseren Do Khyi heißt das: Marco Polo hat ihn nie gesehen und seine Schilderungen über „Hunde groß wie Esel“ beruhen bestenfalls auf Hörensagen arabischer Quellen, deren Fehler er übrigens gleich mit abschrieb! Kein guter Zeuge für unsere Do Khyi!

Statt Marco Polo mit seinem erlogenen Ruhm hätte ein anderer Reisender die Ehre des europäischen Zeugen der mongolischen Weltherrschaft verdient gehabt. Der flandrische Mönch Willem von Rubruk brach 1253 n. Chr. nach Asien auf und erreichte ein halbes Jahr später Karakorum, die Hauptstadt des Mongolenreichs. Hier residierte Möngke, der 4. Nachfolger Dschingis Khans, über ein Reich von der Ostküste Chinas bis nach Russland. Rubruk ist der erste und einzige Europäer, der das Zentrum des mongolischen Weltreichs gesehen und präzise beschrieben hat. Von tibetischen Hunden erfahren wir auch in seinem Reisebericht nichts.

Obwohl Willem von Rubruk Möngke Khan persönlich eine Bibel übergeben konnte, wurde ihm schnell klar, dass eine Missionierung der Mongolen erfolglos sein werde. Rubruks Bericht „Reise zum Großkhan der Mongolen“ dient heute den deutschen Ausgräbern der einstigen Metropole Karakorum als präzise Anleitung und Richtschnur sowohl für die Ausgrabungen wie auch für die Rekonstruktion der bereits von Dschingis Khan errichteten ersten Hauptstadt der Mongolen.

Kubilai Khan, Bruder und 1260 n. Chr. Nachfolger Möngkes, verlegte dann seine Hauptstadt nach Peking.

Übrigens: Der Name Tibet geht möglicherweise auf eine Formulierung Marco Polos von einem Land „Thebet“ nördlich von Indien zurück. Auch das aus arabischen Quellen abgekupfert – selber war er nicht dort!

Abbildungen im Altertum

Aber da gibt es doch die vielen Abbildungen großer Hunde aus alter Zeit weit über die Grenzen des Himalaja hinaus, insbesondere auch auf assyrischen Reliefdarstellungen, die in den Palästen von Ninive und Nimrod „reinrassige“ Do Khyi anzeigen! Und Darstellungen auf Grenzsteinen, Wandbemalungen in Klöstern usw.!

Bevor wir die einen oder anderen Fachleute um eine Einschätzung und Klärung bemühen, wollen wir uns selbst bemühen und, gerüstet mit dem Werkzeug des Zweifels, die assyrischen Reliefs anschauen (siehe nächstes Bild!): Was sehen wir z. B. auf einer Tonscherbe aus Nimrud, datiert um 640 v. Chr.? Einen großen, langen, mächtigen, bulligen Hund mit ochsenhaft plumper Statur und starken Knochen, hochgeringelter Rute, dem kurzen Körperhaar, das für Hunde in heißen Regionen typisch ist, einem Kopf, der erkennbar zu klein und lang ist, als dass er die geforderten Proportionen des Do Khyi aufweist, mit mächtigen Hängeohren und ausgeprägter Faltenbildung an Hals und Lefzen. Douglas Oliff, Molosserexperte, erinnert dieser Hundetyp an den Mastino Napoletano, ohne dass er den Stammbaum der Molosser gleich nach Ninive verlegen will.

Ochse von Nimrod!

Vergleicht man diesen „Assyrischen Hundetyp“, der möglicherweise als Kriegshund oder auch als Zugtier oder auch Wachhund gedient hat, mit den Do-Khyi-Bildern aus der Fernsehserie bei Pro 7 „Hunde des Himalaja“, - auf diese Weise entgehen wir dem Streit um den „richtigen“ Do Khyi in unserem Zuständigkeitsbereich -, so sind die dort gezeigten Tibethunde schon vom Augenschein meilenweit entfernt von den „Ochsen aus Ninive oder Nimrod“. Kraftvoll sind sie zweifellos, die dort in Nepal gezeigten Do Khyi, doch gleichzeitig auch ungemein elegant, ja fast hochbeinig und insgesamt von Proportionen, die das Gegenteil der plumpen Körperbilder der Assyrer darstellen. Und nimmt man die Behaarung dazu, dann fehlt den Altertumshunden erst recht ein wesentlicher Teil dessen, was uns das Erscheinungsbild des Do Khyi heute so unnachahmlich macht. (Leider werden im erwähnten Fernsehfilm durch den Begleitkommentar fast alle der oben genannten Legenden nachgeplappert.)

Problemfeld: Übertragung von Hundedarstellungen

Was man aber grundsätzlich von Übertragungen von Hundedarstellungen aus vergangenen Kulturen auf die Gegenwart halten kann, das formuliert Uli Gelbrich schon 1987 in seinem Buch „Tibetische Hunde“ (- erschienen im Urania-Verlag; das Buch selber ist nicht mehr im Handel zu bekommen, aber der Kynos Verlag hat mir erlaubt, für diesen Aufsatz das Buch als Quelle zu verwenden und auch Abbildungen zu benutzen. Gelbrich hatte von der ehemaligen DDR aus einen viel leichteren Zugang zu den Ergebnissen archäologischer Grabungen in der Mongolei und den angrenzenden Regionen sowie zu den Archivforschungen in China, Tibet und der Mongolei als Interessierte aus dem Westen.)

Da heißt es also bei Gelbrich:

„Es gab jedoch in der gesamten Menschheitsgeschichte immer Situationen, in denen Mensch und Tier über lange Zeiträume, z. T. über Jahrhunderte, isoliert gelebt haben und in denen es für die Haushunde keinen Kontakt zu Wildpopulationen (oder anderen Hunden) gab. Damit waren die Voraussetzungen für Rassebildung und temporären Bestand der Rassen gegeben. Bei späterem Kontakt der Tiere mit anderen domestizierten oder wildlebenden Formen lösten sich die Rassen ineinander wieder auf. Es ist deshalb nicht möglich, die Erscheinungsformen von Hunden in früheren Zeiten aufgrund gewisser Ähnlichkeiten als Ahnenkennzeichnung für die heutigen Rassen zu werten“.

(Im nächsten Bild sehen wir die hundeköpfige tibetische Göttin Khyi-Goma. Müssen wir den Dackel als 5. tibetische Hunderasse in die „tibetischen“ Klubs aufnehmen?)

Und weiter Gelbrich:

„Bildliche Darstellungen von Hunden aus den alten Kulturen ... können nur den Hinweis geben, dass es damals diese Grundtypen gab, die jedoch jederzeit wieder .. in neue oder vorhandene Formen übergehen konnten“.

Das bedeutet: Die assyrischen Großhunde müssen keinesfalls eine Verbindung zu den später beschriebenen Molossern bzw. Epeiroten haben. Noch weniger muss es ein Verbindung geben zu den römischen Kriegshunden drei oder mehr Jahrhunderte später, oder den britannischen Mastiffs, oder den sächsischen Bandogs, die als Wachhunde ebenso eingesetzt wurden wie im Krieg. Und es gibt keinen Beweis dafür, dass diese „Assyrer“ überhaupt in irgendeiner Verbindung mit den Wach- und Herdenschutzhunden in Tibet stehen!

Die heutigen Molosserhunde gehen übrigens nicht auf die griechischen Zuchten aus Epeiros zurück, sondern bestenfalls auf römische Molosserzuchten. Und es gibt deswegen auch von den Molossern keine nachweisbare Verbindung zum Do Khyi, selbst wenn man diesen heute als „molossoid“ bezeichnet.

Die chinesischen Quellen!

Am meisten Freude bereiten mir aber immer wieder die chinesischen Quellen. Es gibt ja in den letzten 4000 Jahren in der historischen Entwicklung der Welt kaum etwas, zu dem man keine chinesische Quelle angeführt sieht. Und so lassen sich solche natürlich auch für den Do Khyi finden. Da vermeldet uns z. B. im Jahr 1935 (!) Aga Gräfin von Hagen (zitiert nach KTR-Reporter 2/1997, S. 87), schon 1121 v. Chr. sei der (Tibethund) Ngao, vier Fuß hoch, von einem im Westen Chinas lebendem Volke „Liu“ (dem Herrn/Würdenträger/Kaiser?) Wo-Wang zum Geschenk gemacht worden.

Das Schöne an chinesischen Quellen besteht darin, dass kaum einer sie überprüfen kann. Wie viele Sinologen gibt es z. B. europaweit, die nicht nur die mehr als 3000 Jahre alten chinesischen Schriftzeichen entziffern können und gleichzeitig noch kompetente Kynologen sind? Wo obendrein die meisten chinesischen Quellen über die tibetischen Regionen während der „Kulturrevolution“ Mao Zedongs vernichtet worden sind! Und wie viele Tibetologen gibt es weltweit, die sich mit den Anfängen der tibetischen Kultur und ihren Verknüpfungen mit China oder der Mongolei beschäftigen? - Weniger als ein Dutzend!

Datum 1121 v. Chr. unmöglich

Darum werden diese „exotischen“ Quellen so gerne von Leuten zitiert, die chinesische Schriftzeichen nicht von Krähenfüßen unterscheiden können. Kann ich auch nicht, aber ich vergehe mich auch nicht an diesen. Denn Dr. Bräuer aus der sinologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum versichert mir, zu der behaupteten Zeit, 1121 vor Christus, gäbe es für eine solche Botschaft, wie von der Gräfin Hagen zitiert, gar keine adäquate Entwicklung entsprechender chinesischer Schriftzeichen!

Die älteste uns bekannte chinesische Schrift findet sich auf Bronzegeräten, die bis ins 2. Jahrtausend vor Chr. zurückgehen, sowie auf den in Honan gefundenen, meist mit Orakelsprüchen beschrifteten Tierknochen. Mit diesen Bilderschrift-Zeichen wäre aber eine solche Mitteilung wie von der Gräfin behauptet nicht schreibbar.

Erst lange Zeit danach findet sich schon eine etwas fortgeschrittenere Entwicklung der chinesischen Schrift. Das Lexikon "Shuo wen" (entstanden etwa 100 n. Chr.) enthält auch etwa 320 Zeichen, die, als Zhouwen bezeichnet, eine schon etwas fortgeschrittene Entwicklungsstufe darstellen und als eine etwa seit dem Herrscher Shi Huangdi (827-781) verwendete Art genormter Kanzleischrift angesehen werden können. Erst Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends entwickelte sich die chinesische Bilderschrift zu einer verkehrsfähigen Schrift, die in der Lage war, Syntax und Semantik einiger der damaligen Sprachen in China vollständig abzubilden (zusätzl. Quelle: www.Schriften-lernen. de).Als dann der „Erste Gottkaiser“ Qin Shihuangdi (259 - 210 v. Chr.) mit brutaler Gewalt China vereinigt und ein absolutistisches und zentralistisches Regime errichtet, lässt er eine vereinfachte Standardschriftform entwickeln und alle mythologischen Einflüsse daraus entfernen.

Mit anderen Worten: Die von der Gräfin genannte Botschaft konnte 1121 v. Chr. nicht in chinesischen Zeichen geschrieben werden. Glaubwürdig wäre diese angebliche chinesische Quelle, wenn man aus „vor“ Christus „nach“ Christus macht. Nur das ergäbe sowohl von der Entwicklung der chinesischen Schrift her wie auch von der Entwicklung der tibetisch-chinesischen Beziehungen einen Sinn. Das „nach Christus“ ist dann allerdings 2200 Jahre später! Doch wollen wir nicht unbescheiden sein. Selbst eine heute 900 Jahre bestehende Rasse wäre schon ein außerordentliches Phänomen!

Dritte Möglichkeit

Es gibt aber bei diesem vermeintlichen Tibet-Mastiff-Nachweis aus grauer Vorzeit noch eine dritte Möglichkeit. Dr. Mary Täuber, einst Hauptzuchtwartin des KTR, selber Besitzerin von vier originalen Do Khyi „direkt aus Tibet“, behauptet in einem 1999 im KTR-Reporter veröffentlichten Schreiben: „Die Rasse ist sehr alt... Der Hund, den ein Dalai-Lama dem chinesischen Kaiser Wu-Wang, schenkte, soll vier Fuß hoch gewesen sein“. Unschwer erkennen wir hier den von Aga Gräfin von Hagen an Wo-Wang verschenkten Ngao.

Nun könnte man sagen: Aber sorry, Frau Täuber! Einen Dalai-Lama gibt es, ein Dank dem Mongolen-Großfürsten Altan Khan, erst mehr als zweieinhalb Tausend Jahre (!) nach der angeblichen chinesischen Quelle aus dem Jahr 1121 v. Christus. Aber vielleicht hat Frau Täuber besser nachgelesen oder zugehört als die Gräfin Aga. Denn die Schenkung des Dalai Lama am Ausgang des 16. Jahrhundert – oder später – an einen chinesischen Kaiser ergibt mehr Sinn als die Behauptung der Gräfin!

Nur wo dieser Wo-Wang geblieben ist? Denn vor der Reichseinigung durch Qin Shihuangdi (221 v. Chr.), den Namen spricht man etwa „Tschin Schewangdi“ aus, kann man von einem Kaisertitel in China nicht reden, auch wenn man manchmal eine solche Bezeichnung in den Quellen liest. Darum nennt sich „Qin“ auch „Erster Gottkaiser“. Doch in keiner der Kaiserlisten seit der Qin-Dynastie habe ich Wu-Wang finden können. Auch in der Herrscherliste der fast sagenhaften Shang-Dynastie, welche in der fraglichen Zeit um 1121 v. Chr. in China den größten Einfluss hatte, findet sich kein Wo-Wang oder Wu-Wang. Nur das Zitat von Aga Gräfin von Hagen geistert seit Jahrzehnten bis heute durch die verschiedenen Beschreibungen der Geschichte des Do Khyi. Und jeder schreibt vom anderen ab! Wo die Gräfin abgeschrieben hat, weiß man heute wohl nicht mehr.

Liu gleich Tibeter?

Mit dem ausgewachsenen Fehlgriff der Gräfin Aga verliert auch die Zuordnung „Liu gleich Tibeter“ ihre Glaubwürdigkeit. Erst Recht, wenn man die Behauptung aus anderen Quellen sieht, auf den oben erwähnten Tierknochen (= Orakel) sei angeblich ein Volk namens „Qiang“, gesprochen „Tschiang“, als Tibeter zu identifizieren. Doch weder zur Zeit der „Liu“, ob und wann immer das gewesen sein mag, noch der „Qiang“ gibt es auch im Entferntesten etwas, was man „Volk der Tibeter“ nennen kann. Davon lässt sich bestenfalls 1000 Jahre später, also ab dem 2. Jahrhundert vor Chr., reden!

Im heutigen Chinesisch heißt „Qiang“ laut Xinhande-Wörterbuchdatenbank übrigens auch „abstimmen, vergleichen“ (eine der diversen angegebenen Bedeutungen). Das würde zu den Orakelsprüchen passen. Andererseits hat mir ein „native Speaker“ versichert, die „Qiang“ seien die Tschiang-Nomaden, die im ersten vorchristlichen Jahrtausend in Tibet einwanderten. Das würde zu dem passen, was in der einzigen wissenschaftlich ernst zu nehmenden Quelle (Gelbrich, dazu später mehr) über die Entwicklung der Tibethunde zu finden ist.

Wer sind dann aber die Liu? Im Xinhande findet sich zu „Liu“ das Wort „entwischen“! Kann aber auch „Taugenichts“ bedeuten. Eine Volksbezeichnung „Liu“ ließ sich aber auch mit dem „native Speaker“ nicht feststellen. Dr. Bräuer übrigens will nicht grundsätzlich ausschließen, dass es Volksbezeichnungen wie „Liu“ und „Qiang“ für Völker in „Richtung“ Tibet gegeben haben kann. Dies aber heute schlüssig zu beweisen, sei fast unmöglich.

Die Chinesen übrigens nennen Tibet, so Lobsang Palden Tawo vom Tadra-Kinderdorf -Projekt, „Land der roten Gesichter“. Damit sind die braungebrannten Menschen Tibets gemeint. Das chinesische Wort dafür habe ich nicht finden können. Im modernen Sprachlexikon heißt Tibet auf Chinesisch „Xizang“. Alles klar?

von: Adolf Kraßnigg

Wird fortgesetzt ...


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