Ausgabe 10/2006
November + Dezember 2006

Do Khyi - Mythos und Wirklichkeit

Killing legends!

Teil 2: Anknüpfung an "Unklare chinesische Quellen" - Mastiff und Molosser - Randlage Tibets - Do Khyi und die Evolution - Zuchtverhalten

Beispiel Hunnen

Welche Probleme die chinesischen Quellen grundsätzlich machen, - und wie wenig sie hilfreich sein können -, soll an einem anderen, auch in Europa bekannten Beispiel gezeigt werden. Die meisten Europäer wissen, dass die Hunnen unter Attila (um 375 n. Chr.) das damals weströmische Weltreich aufgemischt und ausgedehnte Plünderungszüge auch im heutigen Deutschland und Frankreich unternommen haben. Sie kamen aus dem Osten, woher da auch immer, und irgendwie verschwanden sie dann wieder im Osten. Sie brachten übrigens auch ihre langhaarigen Hunde mit, so dass wir aus deren Beschreibungen einiges über die zentralasiatischen Owtscharkas erfahren.

Natürlich findet man auch über die Hunnen vielsagende chinesische Quellen, diesmal bereits in der Standard-Schriftform des vereinten China, die z. B. von den erfolgreich vertriebenen "Hsiung-Nu", andere Transkription "Hiung nu" (beides gesprochen: Schung-Nu - so versicherte mir einst ein taiwanesischer Mitstudent und Judogenosse) berichten. Doch obwohl Generationen von Historikern, Sprachwissenschaftlern und Archäologen daran arbeiten, ist bis heute kein schlüssiger Beweis gelungen, dass es sich z. B. bei den "südlichen Hsiung-Nu" in den chinesischen Quellen, oder irgendeiner anderen Abteilung dieser Volksgruppe, tatsächlich um den Schrecken des Abendlandes handelte. Bis heute ist die Herkunft der "europäischen" Hunnen nicht zweifelsfrei geklärt. Jede Spur, die man bisher verfolgt hat, endete letztlich im Ungewissen. Und diese "europäischen" Hunnen haben eine breitere Spur in der Welt hinterlassen als unser Do Khyi.

Kurz-Schluss

Also: "Große Hunde in chinesischen Quellen gleich Do Khyi", diese Rechnung geht nicht auf. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Quellen echt sind oder nur ein Fake. Das ist nichts als ein gedanklicher Kurzschluss, weil man nur erkennt, was man sehen will! Und das gilt für die assyrischen und sonstigen Hundeabbildungen ebenso. Denn große Hunde gab es überall in der von China überschaubaren Welt, wo Herden und menschliche Behausungen zu schützen und zu bewachen waren - oder mit denen man Krieg führte. Es gibt darum auch nicht den geringsten Beweis dafür, dass es sich bei den "Liu" um Einwohner von "Böd", Tibet, und bei Ngao um einen Do Khyi gehandelt hat.

Molosser und Mastiff!

Auch die behauptete Abkunft aller modernen Mastiff- und Molosserrassen von der Tibetdogge erscheint nicht nur aus den vorangegangenen Erklärungen, sondern auch aus mehreren anderen Gründen höchst unwahrscheinlich. Die heutigen Mastiffhunde nämlich gehen auf britannische Wach- und Kriegshunde zurück, die den Molossern der römischen Eroberer erheblich überlegen waren. Diese großen britannischen Hunde wurden schleunigst in die Molosser eingekreuzt. Diese Kreuzungen könnten die Vorformen der heutigen "molossoiden" Hunde gewesen sein. Dass diese Britannier aber auf eingeführte tibetische Hunde zurück zu führen seien, dazu gehört schon eine gewisse Wahnvorstellung über die Verbreitung tibetischer Hunde in der Welt. Damit können wir aber zu einem weiteren und dem wahrscheinlich wichtigsten Hindernisgrund kommen: Der geografischen und historischen Randlage des Hochlands von Tibet.

Geografische und historische Randlage Tibets

Zwar finden wir im tibetischen Hochland bereits seit ein paar Tausend Jahren nomadische Einwanderer wie auch Ackerbauern, die mit ihrem Vieh auch ihre Hunde mitbringen. Sie weichen dem Druck von Überbevölkerung und/oder übermächtiger Konkurrenten aus den nordöstlichen Steppengebieten und Siedlungsgebieten im Westen Chinas in ein Land aus, das keineswegs als ein Traum für Siedler oder Viehbauern bezeichnet werden kann. Im Schnitt weist das extremste Hochland der Erde einen Höhe von ca. 4500 m aus mit Hochlandsteppe, felsiger Gebirgslandschaft, einigen wenigen fruchtbaren Regionen in Flusstälern wie dem Tsangpo, im Winter mit eisigen Temperaturen und noch eisigeren Stürmen geplagt und im Sommer von Trockenheit gepeinigt. Reinhold Messner allerdings vergleicht das tibetische Klima mit dem der alpinen Almen in mehr als 2000 m Höhe. Das heißt aber auch: Das alpine Klima ist deutlich rauer als das tibetische Klima!

Dennoch: Der Grunzochse, auch Yak genannt, der in unserem Bewusstsein als ein typisch tibetisches Rind gilt, geht bei Temperaturen über 0 Grad Celsius zugrunde! Soweit zu den Bedingungen, unter denen die tibetischen Viehnomaden leben müssen!

Wer sich die teilweise unwirtliche Landschaft und isolierte Lage Tibets veranschaulichen will, schaue bei Google Earth nach. Vom Golf von Bengalen aus nach Norden über Bhutan und dem Hauptkamm des Himalaja "fliegend" findet er Lhasa und kann sich orientieren. Der Blick gleitet über zerklüftete Felsenwüsten und -steppen und erkennt die weitere Umschließung des tibetischen Hochlands durch Kunlun und Karakorum - nicht gerechnet die vorgelagerten Barrieren der Taklamakan im Tarim-Becken und der Gobi-Wüste. Per Internet kann man in jedes Gebirgstal hineinklettern und fast selber die Illusion der "Kora", der Umrundung des 6714 m hohen Kailash mit der magischen Formel "Om mani padme hum" (Oh du Kleinod in der Lotosblüte!) nachvollziehen. So anschaulich vermag kein herkömmlicher Atlas das Bild Tibets zu vermitteln. Und am Ende der Reise über das Hochland Richtung Osten kommt auch der Laie zur Erkenntnis: Ein halbwegs begehbarer Zugang zum Hochland, und der ist schon schlimm genug, konnte nur aus Nordosten, d. h. den heute mongolischen Steppenregionen erfolgen.

Extreme Anpassung

Die geografische Lage Tibets ist also nicht nur durch ein spezielles Klima, sondern auch durch extreme Isolation geprägt. Und die Hundetypen, die in Tibet entstanden sind, stellen eine Anpassung an die spezifischen Bedingungen dieser extremen Gebirgslandschaft dar. Der Do Khyi stammt sogar aus der höchsten aller Gebirgslagen, dem Himalajagebiet! In fast allen Berichten über diese Hunde, aber auch über andere tibetische Nutzhundrassen, wird immer wieder erwähnt, dass sie unter den warmen und gemäßigten Klimabedingungen des Flachlandes nicht lange überleben können bzw. degenerieren und keinen Nachwuchs bekommen. Unter all den gerade genannten Umständen ist die Behauptung eines weiträumig wirkenden Exports der Tibetdogge, zum Beispiel in die drückend heißen Gebiete Indiens, des Zweistromlandes, nach Ägypten oder über die Seidenstraße nach Kleinasien bis nach Griechenland - in die Hände der Molosserkönige etwa - eine abenteuerliche Vorstellung.

Übrigens: Noch in den 40er-Jahren scheiterte in Deutschland ein Versuch, tibetische Shakhyis zur Zucht zu bringen - genauso wie der erste Zuchtversuch mit Do Khyi in Europa gescheitert war. Das Gelingen einer heute leidlichen Do Khyi Zucht außerhalb des Himalajas seit den 70er Jahren muss daher als glückliche Fügung angesehen werden - oder doch auch als Folge diverser Einkreuzungen in die ursprüngliche Tibetdogge? Dieser Punkt soll später noch intensiver befragt werden. Aber wir sehen ja im neuen F.C.I.-Standard den Versuch, dieser ständigen Bedrohung der Rasse Do Khyi zu begegnen!

   

Verschwinden des Do Khyi im Bild: Do Khyi-Mischlinge in Tibet
(das Bild wurde vom Tadra-Kinderdorfprojekt zur Verfügung gestellt)

Die vorher von Gelbrich beschriebene Auflösung temporär existierender Rassen dürfte übrigens heute auch bei den Do Khyi in deren Ursprungsgebiet, dem Himalaja-Grenzland zwischen Tibet, Nepal und Bhutan in vollem Gange sein. In der schon eben erwähnten Fernsehserie (Pro 7; vor 10 Jahren) über die Hunde im Himalaja (Abenteuer Hunde: Nepal) wurde deutlich, dass der Do Khyi in reiner Form immer mehr verschwindet und überwiegend nur noch in Mischlingsformen zu finden ist.

Dazu kommt die physische Vernichtung der großen tibetischen Hunde durch die Chinesen seit der Annektion Tibets 1959. Reinhold Messner etwa, der selber zwei Do Khyi in seiner Tiroler Burg gehalten hat, behauptet 1995, die Chinesen hätten die meisten Tibetdoggen, derer sie habhaft werden konnten, schlicht aufgefuttert! Sicher ist: Die Chinesen haben systematisch tibetische Hunde ausgerottet, um die tibetische Kultur im Kern zu treffen. Denn sie wussten um die besondere Beziehung der Tibeter zu ihren Hunden.

 

Ob der Do Khyi als Rasse, so wie wir ihn heute kennen, wenigstens in den nichtasiatischen Ländern überleben wird, ist selbst mit dem neuen F.C.I. - Standard noch lange nicht gesichert! Die heutigen Massenproduktionen von Hunden nach "Do Khyi Art" in China und Taiwan, bei denen alles Mögliche zusammen gepanscht wird, stellt bereits jetzt eine gewaltige Bedrohung der heutigen Do Khyi Rasse dar.

Der Do Khyi und die Evolution

Wölfe und Hunde

Wenden wir uns nun zur Abwechslung den Behauptungen von der evolutionären Abkunft des Do Khyi von indischem Rothund, indischem Rotwolf und schwarzem Tibetwolf zu. Dem Namen nach wahrhaft eine illustre, bunte Ahnenschaft, bei dem verschiedene Gattungen und Spezies, Wildhund und Wolf, sich zusammengetan haben, um den Do Khyi seine besondere Bedeutung zu verleihen. Aber wer sind diese genannten Ahnen eigentlich und wie realistisch ist ihre Verbindung?

Nun, der indische Rothund ist das asiatische Pendant zum afrikanischen Wildhund. In Indien wird der Rothund auch Dhole genannt, und unter diesem Namen erscheint er übrigens auch in Rudyard Kiplings "Dschungelbuch" als schier übermächtiger Gegner Moglis (Frosch!) und seiner Wolfsmeute. Aber hier hatte Kipling Unrecht, denn Dhole und Wolf gehen sich in der Regel aus dem Weg und zwischen den Arten gibt es scharf getrennte Verbreitungsgebiete.

Der Dhole ist also kein Wolf, sondern gehört als Wildhund der Gattung (genus) "Cuon" an. Der Wolf aber zählt zur Gattung "Canis" mit dem Beinamen (Spezie) "Lupus". Und schon vor mehr als 20 Jahren wies Trumler nach, dass alle Haushunde Abkömmlinge des Wolfs sind und keine andere Gattung der Caniden dabei mitgemischt hat. Auch der Do Khyi gehört also zur Gattung "Canis" und ist "Subspezie" von "Lupus", eingeordnet als "Canis lupus familiaris", was man schlicht mit "Haushund" übersetzen darf.

Dann wäre aber der Hinweis auf den "indischen Rotwolf" und den "schwarzen Tibetwolf" so verkehrt nicht? Weit gefehlt! Einen indischen Rotwolf gibt es nicht, nur einen amerikanischen, den man als eine Mischform von Wolf und Kojote verdächtigt. Den Begriff "asiatischer Rotwolf" gibt es zwar, aber das ist nur ein "Falschname" des "Rothundes", des Dholen. Hier ist jemand offensichtlich einer biologischen Verwechslung zum Opfer gefallen, oder hat schlicht irgendwo falsch abgeschrieben.

Genetische Bestimmungen

Bleibt nur der "Schwarze Tibetwolf" übrig. Den gibt es tatsächlich, und er muss nicht einmal schwarz, sondern kann sogar rot sein. Aber als Do Khyi Ahne scheidet auch er endgültig aus. Denn die neuesten Genuntersuchungen (sind auch schon wieder einige Jahre alt) zeigen eindeutig: Der Haushund stammt vom "gemeinen" Grauwolf ab, dem "Canis lupus lupus". Und alle anderen Unterarten des Wolfs scheiden als Vorfahre des Haushundes aus. Übrigens auch die Wolfsform, die Trumler für den Ahnen des Haushundes favorisierte, nämlich Canis lupus pallipes, der indisch-persischen Unterart des Grauwolfs. Dafür ergaben allerdings die genetischen Untersuchungen von 140 Haushundrassen, dass drei Viertel von einer einzigen (!) Wolfsmutter abstammen! Für unseren Fall aber gilt: Auch bei der evolutionären Abstammung nimmt der Do Khyi keine Sonderrolle ein. Erst Recht nicht als "Bindeglied zwischen Wolf, Wildhund und der domestizierten Form des heutigen Haushundes"!

Autochthon: tumbes Wortgeklingel

Was bleibt von den oben erwähnten Legenden noch übrig? Die Behauptung, der Do Khyi sei eine "autochthone" Rasse, habe sich also selbständig und ohne Zutun des Menschen entwickelt. (Habe ich tatsächlich auf einer privaten Webseite gefunden!)

Was soll man nur von einer solchen Behauptung halten! Sie ist so weit entfernt von jeder Kenntnis über die Entwicklung und Beschaffenheit einer Hunderasse, dass sie eigentlich keiner näheren Beschäftigung wert ist. Aber aus ihr spricht auch eine tumbe Arroganz und Missachtung der züchterischen Fähigkeiten der tibetischen und asiatischen Steppenvölker, aber auch der alten Kulturvölker. Diese ignorante Einstellung erfordert allerdings ein nachhaltiges Entgegentreten. Aber der Reihe nach!

Autochthon heißt zunächst nichts anderes als "im eigenen Land entwickelt", also nicht eingewandert und nicht importiert! Aber von dem Moment an, in dem der sich selbst domestizierende Wolf (Entstehungs-Hypothese "Sozialschmarotzer") zu einem Hund mit einer bestimmten Funktion wie "Wachen, Jagen, Hüten, Herden schützen" wird, geschieht das nur durch den selektiven Eingriff des Menschen. Die Ausdifferenzierung der verschiedenen Hundetypen ist nicht nur die erste große Domestikationsleistung des Menschen, sondern auch ein frühes Meisterstück.

Die Vorstellung, ein Wolf könne von alleine vom Jäger seiner Beute zum Schutzhund für seine Beute werden, kann man nur als Unsinn bezeichnen. Nicht umsonst gilt diese Umformung als letzte große Funktionsänderung bei der Domestikation des Wolfs und verlangt massive züchterische Lenkung des Verhalten und der körperliche Erscheinungsform des Hundes. Noch heute müssen junge "Herdenschutzhunde" eine spezifische Sozialisation sowohl beim Menschen als auch in der Herde durchmachen, um für ihre Aufgabe eingesetzt werden zu können. Die Fähigkeit, ihre Aufgabe selbständig wahr zu nehmen, ist für etliche Hunderassen typisch – und Ergebnis einer entsprechenden Selektion. So übrigens auch für Hütehund-Versionen des Tibet Terriers.

Zuchtverhalten der "primitiven" Völker

Oft liest man den Hinweis, dass ein planvolles Züchten von Rassehunden wie in Europa ab dem 19. Jahrhundert mit Erstellen von Zuchtbüchern usw. in Tibet und anderen Regionen der Welt nicht stattgefunden habe. Diese europäische Art zu züchten nennt man gerne auch "Hochzucht". In der Regel wird mit dieser Bemerkung die Zuchtleistung anderer Kulturen und Völker herabgesetzt. Und das ist gleich mehrfach falsch.

Zunächst gab es außerhalb Europas schon lange Zuchten, in denen penibel Stammbäume festgehalten wurden. Die Molosserkönige aus Epeiros, die assyrischen Fürsten ebenfalls, stützten ihre Hundezuchten selbstverständlich auf schriftlich fixierte Stammbäume. Ähnliche Hochzuchtformen lassen sich auch beim Peking-Palasthund oder beim Chow-Chow, in China also, feststellen - lange bevor in Europa eine solche "Zucht durch konsequente Isolation" praktiziert wurde. Eine solche Art von Zucht lässt sich bei diesen schriftversessenen Hochkultur-Völkern auch nicht anders denken.

Ein lehrreiches Beispiel ist, neben der Hundezucht, auch ein paralleles Zuchtverhalten in der arabischen Pferdezucht, bei der Linien bis zu den Begleitpferden Mohammeds zurückführbar sind. Und die chinesische Pferdezucht ist, wie sollte es auch anders sein, von den Herrscherhäusern immer als groß angelegte zentrale Aufgabe verstanden worden, um den Steppenvölkern Paroli bieten zu können.

Doch auch bei scheinbar schriftlosen Völkern, vor allem aus den Steppengebieten der Erde, aber auch den Sachsen und Kelten in abgelegenen "Insellagen" findet man ein systematisches Zuchtgeschehen. Diese Völker blicken auf Tausende Jahre an Zuchterfahrung bei Rindern, Pferden, Ziegen, Schafen und Hunden zurück. Dagegen wirkt der Zeitraum von hundert Jahren in der "modernen" Rassehundezucht als lächerlich gering. Und was an Schrift fehlt, - auch die germanische Runenschrift wird nur wenig gebraucht -, ersetzen diese ahnenstolzen Völker durch Gedächtnis. Hier führt man mühelos eine Ahnenreihe über 10 und mehr Generationen zurück - wenn man denn diese Abstammung für wichtig hält!

Zuchtstrategien

Der entscheidende Unterschied zwischen der "modernen Hochzucht" und den "sonstigen" Zuchtformen liegt also nicht in ihrem planvollen Vorgehen, sondern in den unterschiedlichen Zuchtzielen. Die Tibeter züchteten Hunde für ihre spezifische Umwelt, und es gab hier keineswegs nur Nutzziele, sondern durchaus auch Luxusziele. Der Do Khyi erfüllte in erster Linie Nutzziele als Wach- und Herdenschutzhund, aber auch ästhetische und religiöse Vorstellungen.

Der Tibet Spaniel ist gewiss ein besonders kostbarer Luxushund und gehört zur Gruppe der Löwenhunde Buddhas - doch vielleicht schon aus vorbuddhistischen Zeiten stammend. Auch wenn immer wieder behauptet wird, die Tibeter würden keine unserer Auffassung ähnliche Rasseunterscheidung bei den Apsos machen: Die Tatsache, dass es bereits in Tibet den Tibet Terrier, Lhasa Apso, Tibet Spaniel und Shi Tau (nicht Tzu) und andere als klar zu unterscheidende Rassen gibt, widerspricht eindeutig dieser Behauptung.

Ausgenommen der heutige Shi Tzu, den Gelbrich lediglich als amerikanisch-europäische Nachzucht nach optischem Vorbild der Mandschu-Hunde (Hochzuchtform!) darstellt, sind alle diese o. g. Hunderassen in Tibet selber entstanden und in Europa lediglich "weiter gezüchtet" worden. Richtig ist allerdings, dass die Tibeter einen weiter gefassten Begriff der Rassezuordnung von Hunden haben als die europäische Zucht.

Die europäische Rassehundezucht dagegen orientierte sich in erster Linie an den Bedürfnissen des englischen Landadels zu Beginn des 20. Jahrhunderts - sich überschneidend mit den Bedürfnissen der wohlhabenden Bürger, der Viehhalter und der Handwerker, die mit Vieh zu tun haben (z. B. Metzger). Und je mehr Luxusbedürfnisse und gesellschaftliche Gesichtspunkte wie Marktlage bei der Züchtung von Hunden eine Rolle spielen, desto weiter entfernt sich die europäische Rassehundezucht von natürlichen Begebenheiten und Umständen zugunsten künstlich definierter Formstandards. So ist lediglich die "wertneutrale" Feststellung zutreffend, es habe in Tibet keine Rassehundezucht im Sinne der europäischen Formstandards gegeben.

Andere Zuchtwerte

Tibetische Nomaden z. B. nahmen eine läufige Hündin auf den Sattel und ritten in ein fremdes Lager, damit sie dort von einem geeigneten Rüden, der sich dieses Vorrecht erkämpfen musste, - eben den besten des Lagers -, gedeckt werden konnte. Auf diese Weise vermieden sie Inzucht und sorgten dafür, dass die Nachkommenschaft alle nötigen Eigenschaften vererbt bekam, die sie bei ihren Aufgaben in der nomadischen Gesellschaft brauchten.

"Moderne" Rassehundzüchter betreiben dagegen zur Rassefixierung Inzucht oder "Linienzucht", was eine Beschönigung des Begriffs "Inzucht" - bis hin zum Inzest - darstellt und eine scharfe Selektion auf Formstandards hin bedeutet. Gegen die meisten dieser Zuchtvorstellungen kämpft Frau Dr. Helga Eichelberg seit mehr als 10 Jahren in allen ihren Publikationen an, nicht immer erfolgreich. Und es kann nur unter "modernen" Do Khyi Züchtern ein erbitterter Streit darüber ausgefochten werden, ob die Farbe "Zobel" zum Zuchtausschluss führen muss oder nicht! Kommentar von Frau Eichelberg: Habt ihr bei den Do Khyi nicht größere Probleme?

Gezielte Zucht

Auch der Do Khyi ist also das Ergebnis einer zielgerichteten Zucht, wenn auch mit anderen Gewichtungen als die Formwertzucht, in Funktionsauslese durch die Viehnomaden Tibets ebenso wie der dörflichen Bauerngesellschaft. Doch in buddhistischer Zeit wurde er mit einer besonderen Bedeutung ausgestattet. Die zwei hellen Flecke über den Augen vieler Do Khyi wurden als Augen Buddhas gedeutet, die in der Lage seien, Geister zu sehen und die Menschen davor zu warnen.. Die Anwesenheit eines Do Khyi wurde also als ein gutes Omen angesehen. Für viele Tibeter repräsentiert der Do Khyi also "das Wesen bzw. den Geist des Himalaja"! Und das heisere Bellen des Do Khyi klingt in ihren Ohren wie das Anschlagen eines Gongs. Doch als entscheidendes Fazit bleibt: Die Entstehung des Do Khyi ist weit entfernt von allem, was eine falsche Auffassung vom Begriff "autochthon" betrifft, vor allem, wenn hier ein von Menschen unabhängiges Entstehen gemeint ist! Und damit löst sich auch die letzte hier behandelte Legende in Luft auf.

Adolf Kraßnigg

Wird fortgesetzt ...

Nachtrag:

Die in diesem Beitrag und in den folgenden Teilen eingefügten Fotos von Hunden und Menschen in Tibet wurden mir vom Tadra-Kinderdorfprojekt in Tibet zur Verfügung gestellt. Das Tadra-Projekt hat in Tibet Internatsschulen errichtet, in denen tibetische Kinder, auch Waisenkinder, betreut und ausgebildet werden. Ich bitte Sie, diese Arbeit durch Spenden zu unterstützen.

Wenden Sie sich bitte an den Ansprechpartner Deutschland:

Herrn Lobsang Palden Tawo
58515 Lüdenscheid, Stettiner Str. 11a;
Tel.: 02351-944753; Fax: 02351-944754
e-mail: info@tadra.de
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