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Charakter oder "Wesen" der Hirtenhunde

Mastin Espanol
Foto: Marietta Eggmann

Obwohl es innerhalb der vielen Rassen der Hirtenhunde auch im Charakter oder dem "Wesen" Abweichungen gibt und diese natürlich auch noch innerhalb einer Rasse zu beobachten sind, kann man im großen und ganzen schreiben, dass Hirtenhunde in vielen Eigenschaften identisch sind, in anderen sehr ähnlich.

Leider wurde in der Vergangenheit gerade über diese wichtigen Charaktermerkmale derart viel Unsinn geschrieben, dass man sich eigentlich gar nicht wundern darf, wenn Politiker auf die Idee gekommen sind, diese Rassen zu listen, also als "gefährliche Hunde" einzustufen.

Der Autor Th. A. Schoke bezeichnet z. B. die Hirtenhunde Rumäniens als so aggressiv im Umgang mit Artgenossen, dass man an den Herden immer nur einen Hund halten kann. Die Idee, dass dies schon einem effektiven "Herdenschutz" widerspricht, scheint ihm nicht gekommen zu sein. Aber allein eine derartige Aussage ist falsch.

Rumänischer Hirtenhund
Foto: Karpatenwilli

Kommen dann zu solch falschen Beschreibungen noch Sätze hinzu, wie der des "Gurus der Herdenschutzhunde-Szene" Günter Bloch, der schreibt:

"Herdenschutzhunde sind pauschal eben keine idealen Haus- und Familienhunde, es sind Caniden der besonderen Art.",

dann braucht man sich nicht wundern, wenn diese Hunde einen fast legendären Ruf genießen, der aber immer zu ihrem Nachteil ausgelegt wird.

Ein altes serbisches Sprichwort sagt: "Was du gesät hast, das wirst du auch ernten" und die Menschen, denen in den vielen Jahrhunderten, seit es Hirtenhunde gibt, eine "gute Aussaat" gelungen ist, haben auch heute noch Hunde, die sowohl in der Familie, wie aber auch bei der Arbeit zuverlässige Begleiter sind.

Kinderkumpel, Sarplaninac aus dem Kosovo
Foto: Deltari ilir

Eines aber sollte man nie vergessen: ein Hund ist ein Hund und jeder ist individuell, jede Rasse hat ihre Eigenarten, einen anderen Charakter, oder wie man das unter Hundeleuten nennt, ein eigenes Wesen.

Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit einer Halterin von Windhunden. Sie erzählte mir, wie stur und eigenwillig ihre Hunde sind, wie schlecht sie gehorchen, wenn sie etwas im Auge oder in der Nase haben und einiges andere Verhalten mehr. Kenn ich, war meine Antwort, denn genau das sagt man Hirtenhunden auch nach. Sicher wäre ich mir aber, dass auch Schlittenhundebesitzer oder Jagdhundehalter das gleiche erzählen. Wie schon geschrieben, Hund ist Hund.

Da diese Beschreibung aber von Hirtenhunden handeln soll, lasse ich mal die Dackel, Windhunde und Co. außen vor und beschreibe Sarplaninac, Kaukasen und deren Co.

Die "Grundeinstellung"

Hirtenhunde haben wie andere Rassen auch, eben eine gewisse Grundeinstellung. Das heißt dann, alle zeigen das gleiche, oder sehr ähnliche Verhalten, wenn es zum Beispiel um das Zusammenleben mit Menschen oder anderen Tieren geht. Dabei ist es unerheblich, ob ein Hund als "Arbeits - oder Familienhund" lebt.

Mastin Espanol
Foto: Hartmut Deckert

Sollte man Hirtenhunde "strategisch" einordnen, sind sie defensiv, d.h., sie verteidigen, aber greifen nicht an. Eigentlich ist das ein absolut logisches und überlebensnotwendiges Verhalten. Denn würden die Hunde mit "Hurra und Patriotismus" alles angreifen, was ihnen in die Quere käme, lebten sie nicht lange. Auch die geringste Verletzung kann nämlich für Arbeitshunde mit dem Tode enden.

"Theaterdonner" eines Sarplaninac
Foto: Gani Qallakaj

Es gibt genug Material, wo man dieses Verhalten nachlesen kann, aber die reine Defensive ist nicht so spektakulär, wie der angreifende Hund, der Wölfe im "Dutzend" erlegt und daher reden einige "Experten" dem in ihren Augen "mutigen und angriffslustigen" Hund das Wort.

Als Beispiele seien genannt: Roswita Hirsch-Reiter, die in ihrem Buch über Hirtenhunde in vielen Rassebeschreibungen schreibt, die Hunde sind aggressiv, bissig, angriffslustig, oder neigen "zu unvermuteten Reaktionen". Aggression wird in einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen beschrieben. Zwar gebe ich gerne zu, dass auch ich schon aggressive Hirtenhunde erlebt habe, aber das hat andere Gründe. Diese sind z. B. eine völlig falsche Sozialisierung. Ein Beispiel:

Vor Jahren wurde mir einmal ein junger Kaukase angeboten, den ich nicht gekauft habe. Der Grund, ich kannte seine Mutter. Die durfte z. B. mit ausdrücklicher Duldung ihrer Besitzer fremde Hunde und Menschen anbellen und aggressiv "anmachen", wenn sie an der Leine war. Ein derartiges Verhalten überträgt sich auf den "Nachwuchs". Inwieweit ihr "Nervenkostüm", also die Genetik in Ordnung war, konnte ich nicht beurteilen, vermutet habe ich allerdings, dass es auch damit nicht zum besten stand.

Kangal "rettet" Tochter
Foto: Birgit Meyer

Völlig zu Recht schreibt daher Elisabeth v. Buchwaldt auf ihrer Seite über Kangale, Hunde, die aggressives Verhalten innerhalb ihres Umfeldes zeigen, werden nicht geduldet. Hinzu kommt, dass Herden wandern. Dies geschieht aber nicht auf dem Mars oder in völlig menschenleeren Gegenden, sondern Nomaden und Hirten durchqueren bewohnte Gebiete, oder treffen an den Weideplätzen und in den Winterquartieren auf andere Menschen und Tiere. Dabei darf nichts passieren. Insoweit ist die Beschreibung der wilden, angriffslustigen, bissigen und aggressiven "Herdenschutzhunde" völliger Blödsinn.

Die andere Seite der Medaille ist die genetische Seite. Gerade in Deutschland werden sehr viele Hirtenhunde gezüchtet, die zwar auf Ausstellungen die tollste Bewertung nach Hause bringen, aber charakterlich gewaltige Defizite haben, deren Vererbung also nicht die beste ist. Eine derartige Entwicklung ist dann logisch, wenn reine Show- Veranstaltungen überbewertet werden - also Schönheit oder standardgerechtes Aussehen vor der Arbeitsfähigkeit und guten Nerven kommen.

Damit meine ich, dass in der Regel gerade in Deutschland sehr viele Richter über die charakterlichen Eigenarten dieser Rassen zu wenig wissen. Außerdem fehlt ihnen sozusagen der "Anschauungsunterricht", denn sie sehen in der Regel selten oder nie einen Hund, der arbeitet.

Pyrenäenberghund
Foto: Hartmut Deckert

Und natürlich ist es nicht Sinn einer Ausstellung, Verhalten und Charakter zu überprüfen. Anders wird das z. B. in Serbien-Montenegro gehandhabt. Dort unterzieht man die Hunde einem "Wesenstest". Mein Vorschlag war daher, für einen in der Zucht eingesetzten Hund eine Art Werteziffer zu erstellen. Punkte oder Bewertungen bekommt er für alles, was im Rahmen der Zuchttauglichkeit geprüft oder beurteilt wurde. Damit aber dann nicht wieder Ausstellungen die meisten Punkte erbringen können, sollen Wesensüberprüfung, Röntgen oder andere gesundheitliche "Tests" mehr "Punkte" bringen.

junger Kaukase
Foto: Hartmut Deckert

Leider sind in den letzten Jahren die Inzuchtquotienten immer schlimmer geworden. Inzucht aber kann neben gesundheitlichen Schädigungen (z. B. HD) auch charakterliche Veränderungen bewirken. Wohin das führen kann, habe ich beim Sarplaninac erlebt. Laut Aussage der ehemaligen Club Leitung sind alle in Deutschland gezüchteten Hunde miteinander verwandt. daher habe ich immer davon abgeraten, solche Hunde zu kaufen, nachdem der Club sich zu Zuchtsperren nicht entschließen konnte. Leider wird das auch in der Zukunft kein Thema sein, denn die derzeitige Vorsitzende ist an Ahnungslosigkeit kaum noch zu übertreffen, mitsamt dem Rest des Vorstandes.

Bei anderen Rassen ist es nicht viel anders. Obwohl mir vorgeworfen wurde, ich ließe mich vor den Karren eines Züchters spannen, bleibe ich dabei, dass ein Wurf aus Inzestverpaarungen eine Katastrophe und mit nichts gerechtfertigt ist. Mit dieser Verpaarung meine ich einen Wurf Maremmano Abruzzese, der in Deutschland fiel. Derartige "Zuchtversuche" oder Stümpereien haben mit einer verantwortlichen Zucht nichts zu tun.

Maremmano Abruzzese, 1,5 Jahre alt
Züchter Wolfgang Woltemade
Foto: Christian Donnert

Auch die "Autorin", "Züchterin" und Richterin Petra Krivy betont, wie wichtig eine gute Aufzucht und eine gesunde und "nervenstarke Linie" ist. Aber "Wein predigen und dann selber Wasser saufen" passt nicht zusammen. Eine Züchterin der Rasse Slovensky Cuvac erzählte mir nämlich, Kriviy habe auf einer Demonstration in Düsseldorf gegen die Hundeverordnung eine Rede gehalten und einen Slovensky dabei gehabt. Der allerdings stammte nicht aus ihrer Zucht, denn ihre Hunde seien "nicht mit den besten Nerven ausgestattet und es gäbe robustere Hunde".

Wie aber ist der Charakter eines Hirtenhundes dann wirklich? Auch dazu gibt es eine ganze Reihe Aussagen und die stammen von Züchtern, Kynologen und Richtern, die sich mit dem Charakter der Hirtenhunde sehr intensiv beschäftigt haben.

So schreibt Novak Radulovic aus Montenegro über den Sarplaninac:

"Über den Charakter des Sarplaninac wurde selten und wenig berichtet, und noch weniger geschrieben. Am wenigsten wurde dem Charakter während der Bewertung Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei sind der sichtbare Ausdruck und die Charakterzüge die bedeutendsten Komponenten jeder Einheit dieser Rasse.

Der Sarplaninac ist von Natur aus ein verteidigungsbereiter Wachhund. Das ist seit Urzeiten in seinen Genen verankert. Er lässt seinen Freund und seine Herde nie im Stich. Das ist eine wichtige Charaktereigenschaft. Es verwundert die Tatsache, dass dem so wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Man hat zwar im Standard erwähnt, dass der Sarplaninac ein mutiger und tapferer Hund ist, dass er aber ein gutmütiges und ruhiges Temperament besitzt. Er wurde als stabil und seinem Herrn treu ergeben bezeichnet."

Sarplaninac
Foto: Hartmut Deckert

Zu Recht hat er geschrieben, dass man über den Charakter dieser Rasse zu selten und zu wenig etwas geschrieben hat, denn unterdessen wird der wieder mehr berücksichtigt, wenn es sich darum dreht, wer in der Zucht eingesetzt wird, oder nicht.

Er bestätigt meinen Eindruck und schreibt dazu:

"Von diesen oberflächlichen Behauptungen kam man nicht weg, weil die Aufmerksamkeit der Experten, der Richter, Züchter und Liebhaber dieser Rasse meistens auf das Äußere gerichtet war. Man vernachlässigte den Charakter des Sarplaninac und damit auch die Aufgabe der Kynologie, einen Hund in seiner Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen zu betrachten. Im Gegensatz zu den Kynologen erzählt man im Sar Planina Gebirge, dort wo der Sarplanina seinen Herrn und die Herde beschützt, von seinen wahrhaftigen Heldentaten."

Das es auch im ehemaligen Yugoslawien eine ganze Zeit eine andere, der unseren ähnliche, Situation gab, beschreibt er ebenfalls:

"Leider konnte jeder, der aufmerksam war, und die Geschehnisse auf unseren Zuchtschauen in den letzten Jahren verfolgt hatte, bemerken, dass es viele Spezies dieser Rasse gibt, die ein mittelmäßiges Niveau der wünschenswerten Charaktereigenschaften besitzen und damit nicht befriedigen können.

Auf den Zuchtschauen können wir öfters Hunde beobachten die ängstlich und psychisch labil sind, Riesen ohne Kühnheit und Würde und ohne charakteristisches Selbstvertrauen. Man bemerkt auch, dass manche Richter solche Hunde auszeichnen und ihnen Titel verleihen. Auf diese Weise favorisiert man schwerste Formen der charakterlichen Normenabweichung. Es gibt keinen Zweifel daran, dass ein ängstlicher Sarplaninac ein unnützer und unfähiger Hund ist. Der Mangel an Kühnheit und Würde hebt alle seine guten Eigenschaften äußerer Schönheit auf. Die Schönheit ist ja bekanntlich eine Harmonie des Geistes und des Körpers. Viele Hunde der Gattung Sarplaninac müssten wegen ihrer Charakterschwäche aus der Zucht ausgeschlossen, und nicht wie es geschieht, preisgekrönt werden. Es gibt ja auch unter den ursprünglichen Hunden solche, die ängstlich und unreif sind, aber es ist ein Glück für die Rasse, dass sie keine Chance haben, auf die Entwicklung der Rasse Einfluss zu nehmen.

Die kynologischen Richter müssen aus diesen Gründen jeden Hund in seiner Gesamtheit betrachten, auf alle Auffälligkeiten achten und seinen Charakter genau beobachten. Dort wo die Harmonie in irgend einer Form gestört ist, muss man das deutlich mit einer abgewerteten Note und einer Beschreibung der Mängel hervorheben.

Ängstlichkeit, ein ausgeprägter Mangel an würdevoller Haltung, an Selbstvertrauen oder Selbstbewusstsein müsste streng bestraft werden, und solche Hunde sind von der Zucht auszuschließen. Mit einem strengen Maßstab der an das Exterieur und an den Charakter angelegt wird, werden wir die Zucht des Sarplaninacs auf eine höhere Ebene bringen um die Tatsache zu bestätigen, dass der Sarplaninac durch die Jahrhunderte ein unersetzbarer treuer Freund unserer Leute war."

Centralasiate
Foto: Hartmut Deckert

Hunde mit erkennbaren Mängel abzuwerten ist natürlich auch eine Möglichkeit, sie aus der Zucht auszuschließen. Egal auf welche Weise man nun feststellt, welche Tiere zuchttauglich sind, wichtig ist eben, den kompletten Hund zu beurteilen und nicht wie in Deutschland meistens üblich, nur das Äußerliche.

Natürlich könnte man argumentieren, hier werden keine Arbeitshunde benötigt, aber das könnte sich durchaus als Irrtum heraus stellen. Hinzu kommt, dass auch bei uns Züchter immer behaupten - und das wäre dann eine Schutzbehauptung - sie wollten die Rasse verbessern. "Verschlimmbessern" wäre richtiger.

Daher kann man den Satz von Novak Radulovic:

"Man hat zwar im Standard erwähnt, dass der Sarplaninac ein mutiger und tapferer Hund ist, dass er aber ein gutmütiges und ruhiges Temperament besitzt ..."

nicht oft genug wiederholen. Hinzu kommt:

"ist von Natur aus ein verteidigungsbereiter Wachhund",

also kein angriffslustiger, aggressiver oder zu unvermuteten Reaktionen neigender Hund.

Natürlich werden fast alle in Deutschland gezüchteten Hirtenhunderassen fast ausschließlich als "Familienhunde" gehalten, auch wenn das Günter Bloch nicht zu passen scheint und er eine derartige Haltung für schlecht hält. Nur was spricht gegen eine solche Haltung? Beachtet man die Wachsamkeit eines Hirtenhundes und erzieht oder sozialisiert ihn entsprechend, übertrifft er viele andere Rassen in Bezug auf "Familientauglichkeit", denn er ist eben kein "Canide der besonderen Art", sondern ein Hund wie andere Rassen auch. Nur im Vergleich mit manch anderer Rasse eben ruhiger und vor allem ausgeglichener.

Centralasiate
Foto: Hartmut Deckert

Um allerdings einen so beschriebenen Hirtenhund zu bekommen, wäre ein Umdenken in der Zucht bitter nötig. Daher stimmt es eben auch nicht, wenn man behauptet, Hunde aus Arbeitslinien seien hierzulande nicht zu gebrauchen. Denn ein nervenstarker und "stabiler" Arbeitshund gewöhnt sich nach meiner Meinung sehr wohl um, umgekehrt übrigens genauso.

Zu den angeblichen Eigenschaften der Hirtenhunde gehört auch, dass sie angeblich extreme Beller sind. Daher auch hierzu einige Gedanken, die mal wieder von der üblichen Meinung abweichen.

Der Beller

Dazu zwei Beispiele.

Günter Bloch schreibt über seine Kaukasenhündin Taiga in dramaturgischer Übertreibung:

"Aus dem Ursprungsland kommend, über einen Privatmann aus dem Ruhrgebiet an eine Tierschutzvereinigung abgegeben, an einen älteren Herrn weitervermittelt, landete die Owtscharkahündin im Februar 1998 zwecks Verhaltensüberprüfung bei uns. Die zweijährige Hündin zeigte angeblich unkontrollierte Aggressionen ... Leider kein Einzelfall. Herdenschutzhunde brauchen ein verhaltensökologisches Umfeld, das ihren Bedürfnissen entspricht ... Die Hündin Taiga bellte drei Tage lang durch, offensichtlich musste sich der angesammelte Energiestau erst einmal entladen."

Ludwig Matlas hingegen schreibt im Zusammenhang mit der Beschreibung des Sarplaninac:

"Trotz seiner ständigen Wachsamkeit und seinem Misstrauen gegenüber Fremden und allem Unbekannten, vergeht alles ohne Aufregung und Lärm. Er ist sorglos und voller Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Sein Gebell ist kräftig und laut, aber selten. Er belästigt nicht die Mitmenschen und bellt nicht wegen jeder Kleinigkeit, sondern nur dann, wenn es wirklich nötig ist."

Zwei typische Hirtenhunderassen, zwei unterschiedliche Beobachtungen. Wer hat Recht? An Stelle vieler schlauer Bemerkungen hilft vielleicht der kleine Tipp, mal die eigenen Hunde zu beobachten.

Pyrenäenberghund, ein aufmerksamer Beobachter
Foto: Hartmut Deckert

Wir hören von unseren Hunden zwar des öfteren Nachts Gebelle, aber wir hören in der Regel auch den Grund. Der kann sein: Die letzten "Gassigeher", Spaziergänger, oder der Bus, der in der Nähe unseres Hauses an der Haltestelle ankommt und sich unterhaltende Fahrgäste auslädt, usw. Unsere Kaukasin verbellt fremde Katzen und Igel, die sich Nachts im Garten aufhalten. Und ein besonders schlimmes Ereignis ist die Fahrt eines Ballons über unser Dorf. Ab einem bestimmten Abstand zu den Hunden ist sofort wieder "Ruhe im Karton". Schreiben will ich damit, beide sind keine starken Beller, sondern sie haben - siehe Ludwig Matlas - immer einen Grund. Entfällt der, ist von ihnen nichts zu hören.

Noch ein kleiner Tipp bei der Findung, welche Aussage richtig ist, könnte eine kleine Geschichte sein. Jeder kennt vielleicht noch das Märchen von dem Hirten, der immer wieder rief: "Der Wolf, der Wolf", nur um seine Nachbarn zu ärgern. Denn die kamen natürlich sofort, um ihm zu helfen. Als sie merkten, dass nie ein Wolf kam, ließen sie ihn schreien und kümmerten sich nicht mehr um ihn. Eines Tages aber kam tatsächlich ein Wolf und trotz seiner Hilferufe half ihm niemand.

So ginge es auch Hirtenhunden, daher bellen sie immer nur dann, wenn es einen Grund gibt. Bezogen auf ihre ursprüngliche Aufgabe als "Wächter der Herde". 

Rüdenspiele
Foto: Carsten Wolf

Sicher werden eine ganze Reihe von Hirtenhundebesitzern Beispiele bringen können, dass ihr Hund eben doch viel und häufig bellt. Aber wie schon geschrieben, das kann genetische Ursachen haben, oder eben eine Frage der Sozialisation sein. Hinzukommt vielleicht, dass eine Menge Hunde in einer "reizarmen" Umwelt leben. Meinen tue ich damit, dass die oft in den Augen der Hunde "langweilige" Haltung eine Rolle spielt. Denn genauso, wie man einen Hund überfordern kann, gibt es natürlich auch eine Unterforderung. Als Beispiel sei genannt, dass ein immer im Haus lebender Hund dieses Leben als langweilig empfindet und sich abreagiert, indem er verschiedene Handlungen zeigt, z. B. Möbel zu Zahnstochern zu verarbeiten, oder eben "ohne Ende" bellt, aus Frust sozusagen.

Denn man muss eben immer bei Hirtenhunden beachten, dass ihr eigentlicher und damit natürlicher "Gebrauchswert" voraussetzt, dass die Hunde immer im Zusammenhang mit ihrer Arbeit gefordert sind. So schreibt Vojislav Anastasijevic:

"Alle diese Hirtenhunde aus dem Osten haben dasselbe Aufgabengebiet, das war der anfängliche Grund ihrer Entstehung und später auch der Zucht: Es war die Verteidigung und der Schutz der Herden und des Besitzes. Ihr gemeinsamer genetischer Code und die gleiche Nutzung bestimmten ihre kräftige Konstitution und ihren mutigen Charakter ... Er musste die großen Herden beschützen und vor Raubtieren verteidigen, vor allem vor Wölfen und Bären.

... Solche Eigenschaften haben ihn zu einem unersetzlichen Wert für einen Hirten gemacht. Das Leben eines solchen Hundes war dem des Menschen gleich. Es gibt zahlreiche Erzählungen in den Dörfern des Sar Planina Gebirges und auch darüber hinaus, wo von den großen Heldentaten dieser mutigen, ausdauernden Beschützer der Herden gesprochen wird."

Aber auch als "Familienhund" ist er geeignet, denn Vojislav Anastasijevic schreibt weiter:

"Auf Grund seiner Verhaltenseigenschaften, besonders wegen seiner Ergebenheit gegenüber der Familie und seiner duldsamen Beziehung zu Kindern, ist er immer mehr als Liebling ohne Mangel im Haus beliebt und im Gebrauch als furchtloser Beschützer der Familie, des Besitzes und als Bewacher von größeren Objekten und Grundstücken."

Im Gegensatz zu Beschreibungen in Deutschland wird hier sehr fein unterschieden. Denn auch in dieser Beschreibung des Gebrauchswertes eines Sarplaninac kommt immer der Hinweis auf das defensive Verhalten von Hirtenhunden.

Immer wieder ist im Zusammenhang mit Hirtenhunden zu lesen, sie sind besonders stur und eigenwillig. Das stimmt schon, ist aber auch falsch. So schreibt Vojislav Anastasijevic:

"Als ein sehr anpassungsfähiger Hund, der mit Freude entsprechende Aufgaben übernimmt, wird der Sarplaninac für spezielle Aufgaben bei der Armee und Polizei verwendet. Diejenigen, die den Sarplaninac für amtliche Zwecke eingesetzt haben, gaben ihm immer die höchsten Noten."

Mastin Espanol
Foto: Marietta Eggmann

Diese Sätze erinnern mich an meinen Großvater, der einen sehr gut gehorchenden Dackel hatte, obwohl der Dackel in Bezug auf Sturheit und Eigenwilligkeit einem Hirtenhund in nichts nachstehen soll.

Vielleicht ist es aber auch so, dass viele Menschen von ihren Hunden zu viel erwarten. Anders ausgedrückt, sollten sie einmal ihre eigene Umwelt beobachten. Wenn meine Frau etwas von mir will, lautet meine Antwort sehr oft: ja gleich. Denn z. B. will ich einen Satz zu Ende schreiben, eine Datei vorsichtshalber speichern, meine Zigarette zu Ende rauchen, usw. Ein derartiges Verhalten wird bei den meisten Menschen akzeptiert, bei Hunden aber sehr oft nicht.

Das hat sicher viele Gründe. Einer könnte sein, dass wir mit den bekannten deutschen oder europäischen Rassen ganz andere Erfahrungen gesammelt haben, als mit Hirtenhunden. Das heißt, wir kannten diese Rassen besser, denn sie sind zahlenmäßig viel häufiger vertreten. Ein deutscher Schäferhund gehorcht anders, nicht unbedingt besser. Das ist übrigens kein typisches Verhalten der so genannten "Schutzhunde", sondern man kann diesen Gehorsam auch bei Hütehunden beobachten. Und der bedeutet letztendlich, es geht alles ein bisschen flotter und schneller, als bei einem Hirtenhund und ist genetisch bedingt. Denn durch eine sorgfältige Auslese der Arbeitshunde wurden und werden bestimmte Verhaltensmuster gefördert oder unterdrückt.

In einigen Ländern, in denen Hirtenhunde eine größere Rolle spielen, sieht man das anders. In Yugoslawien fast ein "Nationalheiligtum", kannte die Bevölkerung die einheimischen Rassen Sarplaninac und Kraski Ovcar besser, als "ausländische Rassen". Somit hatte und hat man eben eine andere Erwartungshaltung an sie.

Ausgelöst durch die Angst vieler Menschen vor Hunden und den leider zu häufigen Unfällen mit diesen sehen wir die Rolle der Hunde in unsere Gesellschaft heute völlig anders. Um dieser Rolle gerecht zu werden, bieten Hundeschulen, Trainer, Tierpsychologen und andere "Quacksalber" Ausbildungen an, die z. B. dem Wesen eines Hirtenhundes entgegenstehen. Erinnere ich mich an meine Kindheit oder Jugend in den 50er und 60er Jahren, hatten Kinder und Hunde ganz andere Freiräume. Die aber sollten Hunde wenigstens dort wieder bekommen, wo es möglich ist. Damit meine ich dann aber nicht nur die Hirtenhunde.

So gesehen bin ich dafür, das ganze "alberne Gehabe" dieser Ausbildungen auf Nützlichkeit oder Notwendigkeit zu überdenken und einen großen Teil davon in den Müll zu stecken. Als früherer "Platzgänger" in einem Hundeverein bin ich erstaunt, wie wenig unsere Hunde können müssen, um mit uns zusammen zu leben.

Und noch mal Mastin Espanol
Foto: Marietta Eggmann

Zurück zum Thema, dem Wesen der Hirtenhunde. Bereits 1958 hält Dr. Ludwig Matlas einen Vortrag, der sich eben mit genau diesem beschäftigt. Auch daraus Auszüge. Er sagte:

"Durch die fortschreitende Zucht, durch die Aufmerksamkeit, die man bei der Auswahl der Zuchttiere anwandte einerseits, und durch die rigorose Auswahl jener Hunde, die dem Menschen nicht entsprochen haben andererseits, hatte sich auch das Wesen des Hundes dem Menschen angepasst, sich formiert, verstärkt, und bis zu einem gewissen Grad auch stabilisiert. Durch diese Tatsachen können wir heute ruhig von spezifischem Wesen einzelner Hunderassen sprechen, durch das sich verschiedene Rassen mehr oder weniger unterscheiden.

Für den Sarplaninac kann ich sofort festlegen, dass sein Platz nicht dort zu suchen ist, wo elegantes Exterieur oder groteske überbetonte Form dominant sind, sondern vor allem dort, wo nach gefälligem, festem und sicherem Wesen gefragt wird ...

... Sein Wachinstinkt resultiert nicht aus der Angst, nicht aus Mangel an Vertrauen, und auch nicht aus reinem Schutztrieb, wie das bei vielen anderen Rassen der Fall ist, sondern es ist sein eigenes Gefühl, seine Eigenheit und dadurch eine unermesslich positive Wesenseigenschaft ...

... Seine Reaktionen sind meistens sehr durchdacht, jedoch schnell genug, um effektiv eingreifen zu können. Das Schöne ist dabei, dass er selten übertreibt. Zu Mitmenschen ist er gutmütig, wobei er sich mit Kindern besonders gut versteht. Zu seinem Herrn ist er sehr anhänglich und treu, er möchte ständig bei ihm sein, und trotzdem ist er kein Schmuser ...

... Er ist kein Eremit, aber auch kein besonders geselliger Hund ... Als Bestie wäre er unbrauchbar, er muss immer dem Menschen ein nützlicher Helfer sein. Nebenbei ist er ein sehr geschickter Hund, ein sehr findiger Hund, womit seine Wesensgrundlage bereichert und seine Lernfähigkeit garantiert wird, besonders wenn ihm die gestellte Aufgabe entspricht ... Der Sarplaninac besitzt ein mittleres Temperament ."

Dem könnte ich natürlich in allen Punkten zustimmen, aber ich will ergänzen, dass er mit dieser Beschreibung allen Hirtenhunderassen gerecht wird, so gut und richtig ist sie.

Auch seine folgenden Aussagen gefallen mir für Hirtenhunde sehr gut:

"... Trotz seiner hohen Verteidigungsbereitschaft ist er kein Raufer, er mag keine Stänkereien. Ist es aber nötig einzugreifen, so wird er nicht zurückweichen oder vertrieben werden. Sehr angenehm ist sein kaum bestehender Jagdtrieb ... Zu alledem was ich bisher gesagt habe, muss ich noch bemerken, dass der Sarplaninac ein außerordentlich gutes und langfristiges Gedächtnis besitzt. Aus diesem Grund ... kann ich behaupten, dass alles, was der Sarplaninac einmal gelernt hat, bei ihm auch sicher und dauerhaft in Erinnerung bleibt."

Kangalhündin Shira
Foto: Klaus Schaper

Auf Sonne folgt Regen, oder jeder Vorteil hat auch einen Nachteil und so sagte Dr. Matlas damals:

"Bei allen Vorzügen die angeboren und vererbt sind, wie z. B. die Wesenseigenschaften, bin ich verpflichtet, auch die Wesensschwächen zu erwähnen. Eine Schwäche dieser Hunde ist ihre Dickköpfigkeit. Der Wille ist sehr stark, aber er ist kein Trotzkopf, so dass ihn ein mitdenkender Abrichter leicht zur willigen Mitarbeit bringen kann, und damit ein hohes Leistungsniveau erreicht. Er ist ein harter, und doch gut führbarer Hund. Seine Arbeit ist etwas legerer (nicht zackig!) und deshalb um so sicherer.

Die zweite Schwäche ist sein Mangel an Begeisterung für die Arbeit. Er ist zu selbstständig, meidet das Wasser und ist nicht besonders interessiert für Bringgegenstände. In allem, auch in diesen Dingen hat er Ausdauer. Alle diese Schwächen sind jedoch mit etwas Mühe abbaubar. Wie wir sehen, ist der Sarplaninac ein sehr angenehmer Hund, treu seinem Führer und dem Haus, freundlich, gehorsam, ein Mitstreiter mit mittlerem Temperament. Er ist aufmerksam und unerschrocken, er bewahrt lange seine Ruhe, wenn es aber nötig ist, dann geht er der Konfrontation nicht aus dem Wege.

Trotz allem haben die Züchter alle Hände voll zu tun. Es ist vor allem darauf zu achten, dass die Gutmütigkeit der Hunde nicht in Stumpfheit, und sein ruhiges Temperament nicht in Faulheit ausartet. Um seinen brillanten Charakter zu bewahren, muss eine aufmerksame Zuchtwahl geführt werden. Um ein optimales Verhalten zu erreichen und um seine guten Eigenschaften voll zur Entfaltung zu bringen, sollte man sich mit den einzelnen Hunden intensiv beschäftigen und ihnen Gelegenheit geben zu lernen."

Vergleiche ich derartige Beschreibungen der Stärken und Schwächen der Hirtenhunde mit dem, was in Deutschland geschrieben wird, komme ich zu einem Urteil über die Autoren und Autorinnen, das ich mir verkneifen will, es wäre zu beleidigend. Und noch etwas will ich anfügen. Mit diesen Beschreibungen wäre es nicht möglich gewesen, Hirtenhunde zu "listen". Aber die drei zitierten Kynologen wussten von "Kampfhundeverordnungen" nichts, oder haben diese Aussagen lange vor diesen aufgeschrieben oder verkündet.

Nachdem mit den Aussagen von Novak Radulovic, Vojislav Anastasijevic und Dr. Ludwig Matlas beschrieben wurde, wie Hirtenhunde und ihr Charakter einzustufen sind, möchte ich noch einfügen, wie sich dieser Charakter auswirkt.

Über defensives Verhalten wurde schon geschrieben, nicht aber, wie das funktioniert. Denn fast ausschließlich besteht die "Taktik" darin, mit Getöse und Radau, also einem richtigen Theaterdonner seine Wachsamkeit zu zeigen und fremdes oder Fremde einzuschüchtern. Da Hirtenhunde nicht gerade klein sind und einen richtigen Resonanzraum haben, klingt dieses Gebell sehr beeindruckend. Ein Do-khyi Halter bezeichnete es als "Nebelhorn", schaurigschön.

Do-khyi-Hündin auf der IRAS Stuttgart 2005
Foto: Hartmut Deckert

Diese Taktik funktioniert solange, wie eine Grenze oder ein bestimmter Sicherheitsabstand nicht unterschritten wird. Nur so sind Hirtenhunde auch als Familienhunde geeignet und können in menschlichen Siedlungen leben. Allerdings setzt ein reibungsloses "Funktionieren" in der Familie voraus, dass die Hunde sehr sorgfältig sozialisiert werden. Also auch akzeptieren, dass z. B. zu den eigenen Kindern auch die Kinder der Verwandtschaft oder der Nachbarschaft gehören. Sonst kann es einem passieren, wie dem Kaukasenbesitzer, der seine beiden Hunde abgeben wollte, weil sie die Leibwächter seiner Kinder waren und das gab Ärger im Dorf.

Überschreitung der Grenzen heißt nichts anderes, als das Hirtenhunde eben bestimmte Dinge, also Menschen, Tiere, oder Grundstücke bewachen und niemand akzeptieren, wenn sie nicht ihre Menschen dabei haben, die eine Entscheidung treffen. Aber dieses Verhalten kann man auch bei anderen Rassen beobachten, mehr oder weniger ausgeprägt. Bei den gerade in Deutschland völlig zu Unrecht verschrienen so genannten "Kampfhunderassen" funktioniert es allerdings überhaupt nicht. Die wedeln noch mit dem Schwanz, wenn ein "Einbrecher" die Bude ausräumt, oder apportieren sogar nicht allzu schwere Gegenstände.

"Bullis", die Clowns unter den "Kampfhunden"
IRAS Stuttgart 2005
Foto: Hartmut Deckert

In einer ganzen Reihe von Beschreibungen werden Hirtenhunde als unnahbar oder sehr mürrisch beschrieben. Das halte ich auch nicht für richtig, denn ein derartiges Verhalten hat sicher mit der Sozialisation der Hunde zu tun. Während Hunde, die in der Familie leben, derartiges Verhalten eigentlich nicht zeigen, ist das bei reinen Arbeitshunden unter Unständen anders. Voraussetzung ist allerdings immer eine richtige Aufzucht.

Zu diesen mürrischen Rassen zählen angeblich z. B. der Komondor, oder auch Südrussen. Dazu fällt mir dann immer ein Komondor ein, den ich einmal auf einer Ausstellung in Stuttgart kennen lernen konnte. Der war höchstens faul und bequem, aber mürrisch war er nicht.

Alle Hirtenhunde sind freiheitsliebende und selbstständige Hunde, das sollte man bei ihrer Haltung bedenken. Wer also einen Hund zum joggen oder als "Sportgerät" braucht, sollte es mit anderen Rassen versuchen. Sicher gibt es bei einer ganzen Reihe von Haltern Konflikte, weil sie nicht bereit sind, oder es vielleicht auch nicht können und dann diese Eigenschaften nicht akzeptieren. Natürlich heißt das nicht, man soll einem Hund alles erlauben, es heißt vielmehr, derartige Charaktere in die richtigen Bahnen zu lenken. Patentrezepte gibt es dafür nicht, denn es hängt von den Umweltbedingungen der Halter ab.

Natürlich heißt Selbstständigkeit und Freiheitsliebe auch nicht, der Hund darf machen, was er will, sondern das heißt, man sollte ihm soweit wie möglich entgegenkommen, ihm aber auch seine Grenzen aufzeigen. Die allerdings sind fließend, denn jeder Halter hat unterschiedliche Haltungsbedingungen. Entgegenkommen kann man ihm z. B. auf Spaziergängen und in der so genannten Unterordnung. Da nämlich bricht man sich keinen Zacken aus der Krone, wenn man es etwa legerer angeht.

Allen Hirtenhunden sagt man nach, sie seien Einmannhunde und unbestechlich. Beides sehe ich anders. Denn sie sind - wie auch sehr oft beschrieben wird - eben sehr gute Familienhunde. Und aufgrund ihrer Größe für Kinder sehr gut geeignet. Allerdings gehört dazu, dass Hund und Kind immer unter Aufsicht stehen sollten. Das darf bei anderen Rassen aber auch nicht anders sein. Unbestechlich? Welche Rasse wäre das wirklich? Daher sollte man auch hier Hirtenhunden nicht etwas andichten, was so nicht stimmt.

Aufgrund ihrer "angeborenen" Wachsamkeit sind Hirtenhunde nicht nur die "Wächter der Herde", sondern auch sehr gute Wächter für Haus und Hof. Sie aber als Wachhunde zu bezeichnen, ist nicht richtig, denn die Hunde machen das sozusagen freiwillig, brauchen aber trotzdem "ihre" Familie. Würde man sie aus dieser "ausquartieren", wäre es mit dem Wachhund schnell vorbei.

Wer bisher von einem so richtig anschmiegsamen Schmuser verwöhnt war, sollte sich bei einem Hirtenhund umstellen, denn sie zeigen zwar sehr deutlich und auch durchaus anhänglich, was sie von den Mitgliedern der Familie halten und brauchen natürlich auch ihre Schmuserunden und Streicheleinheiten, aber "Schmeichler" sind sie auf keinen Fall.

"Bauer Gottfried" mit seinem Sarplaninac
Foto: Dorette Knobbe

Zum Charakter eines Hirtenhundes gehört, dass er ein ausgesprochener Spätentwickler ist. Das heißt, sie haben zwar bereits mit weniger als 2 Jahren ihre voller Körpergröße erreicht, aber "geistig" erwachsen sind sie erst mit etwa 3 - 4 Jahren.

Das ist vielleicht auch deshalb wichtig, weil ich der Meinung bin, man sollte Hunde, die sich derart langsam "ausbilden", nicht zu früh in der Zucht einsetzen. Als Limit denke ich, nicht unter 2 Jahren. Züchter, die dies aber vorher tun, schauen in meinen Augen zu sehr aufs Geld und das hat mit einer verantwortungsvollen Zucht nichts zu tun. Eine ganze Reihe von Rassehundezuchtvereinen sieht das aber anders, als ich und daher würde ich mich natürlich freuen, wenn sowohl die Zuchtordnungen geändert würden, aber auch die Welpenkäufer meinen Ratschlag beherzigen und dann eben auf den Kauf bei einem derartigen Züchter verzichten.

"Fuchs, du hast die Gans gestohlen!"
Stimmt nicht, Centralasiaten passen auf sie auf!
Foto: Hartmut Deckert

In vielen Rassebeschreibungen der vernünftigen Art wird darauf hingewiesen, dass sich Hirtenhunde in der Regel sehr gut mit anderen Haustieren vertragen. Das liegt in ihrer Veranlagung und stimmt so natürlich. Dazu schreibt Valeria Slembrouck:

"Auch andere im Haushalt lebende Tiere akzeptieren sie in der Regel problemlos. Besonders enge Bande pflegen sie zu Jungtieren zu knüpfen, die innerhalb ihres Wirkungsbereiches geboren werden oder aufwachsen. Sie können geradezu verliebt sein in kleine Lämmer oder Zicklein oder auch Kätzchen, die in ihrem Haushalt aufwachsen. So verfolgte z. B. die Komondorhündin der Autorin jedes neu im Haushalt eingezogene Katzenkind wie vernarrt und stets besorgt tage- bis wochenlang schwanzwedelnd auf Schritt und Tritt durch alle Räume – immer mit der Nase dicht am Hinterteil des vornweg laufenden Tierchens. Von anderen Komondoren wird berichtet, dass sie "ihre Kätzchen" im Maul von Raum zu Raum herum tragen. Ihr angeborener Drang, kleinere und schwächere Lebewesen zu beschützen und zu bemuttern, ist stark ausgeprägt."

"Schöne Sauerei", Centralasiaten und Minischweine
Foto: Steffi + Uwe Tütjer

Die gleiche Autorin beschreibt übrigens den Charakter des Komondor - und das gilt meiner Meinung nach für alle Hirtenhunde - folgendermaßen:

"Durch und durch ehrliche Haut - geradlinig und konsequent in seinen Handlungen und Reaktionen, auch wenn diese nicht immer mit der Einschätzung durch uns Menschen konform gehen. Erfährt er eine konsequente und faire Führung von Seiten seines Meisters, so erwidert er diese mit Respekt und echter, tiefer Loyalität und unverbrüchlicher Freundschaft für die Seinen, mit denen er einen "Bund fürs Leben" eingeht."

Diese Einschätzung gefällt mir wesentlich besser, als die Beschreibung zahlreicher "Experten", die der Meinung sind, Hunde im allgemeinen und Hirtenhunde im besonderen betrachteten ihre Menschen als reine "Dosenöffner".

Angeblich durch die Farbe bestimmt, sind die Hirtenhunderassen im Charakter unterschiedlich. So schreibt Roswita Hirsch-Reiter, dass die weißen Rassen angeblich leichter zu führen und weniger aggressiv sind. Auch ein "echter Schmarrn", denn natürlich kann man derart unterschiedliches Verhalten nicht an der Farbe festmachen. Hat dann einer der "Weißen" doch mal eine negative Eigenschaft, wird sie immer den anderen Rassen angehängt. Das zeugt schon von der Ahnungslosigkeit dieser Fachleute.

Da in einigen Veröffentlichungen immer wieder Hirtenhunde beschrieben werden, die z. B. Ausbildungen als Rettungs - oder Therapiehunde haben und bei diesen die Farbe absolut keine Rolle spielt, kann das Argument von der "Leichtführigkeit" bestimmter Rassen einfach nicht stimmen. Im übrigen zeugt diese Ausbildungsmöglichkeit auch davon ,dass diese Rassen eben eine sehr hohe Reizschwelle haben, sonst wäre diese Art der Ausbildung gar nicht möglich.

Im Zusammenhang mit dem Charakter der Hirtenhunde wird oft betont, die Hunde lassen sich nicht gerne von Fremden anfassen und das hat etwas mit Scheu zu tun. Richtiger wäre statt der Scheu eine "angeborene Zurückhaltung", die kann man aber auch bei anderen Rassen beobachten.

Auch Centralasiaten bewachen alle und jeden
Foto: Steffi + Uwe Tütjer

Ebenso nicht richtig ist die Beobachtung, Hirtenhunde würden außerhalb ihres gewohnten Territoriums eine solche Scheu zeigen. Ein gut geprägter und vernünftig aufgezogener Hirtenhund ist immer und überall selbstbewusst und nervenstark. Dies liegt in seiner Tradition, oder seinem Ursprung, sonst hätte er seine Aufgabe als Beschützer von Hab und Gut nicht erfüllen können. Nicht umsonst spricht man von der "hohen sozialen Kompetenz" dieser Hunde. Die ist aber nur dann gegeben, wenn die Hunde charakterfest sind.

Dazu habe ich bereits geschrieben:

"Wer sich nämlich mal Gedanken darüber macht, unter welchen Umständen Hirtenhunde arbeiten, wird schnell merken, dass dies nicht sein kann. Denn eine wandernde Herde hat mit Territorium nichts zu tun und die Hunde müssen ihre Arbeit und Aufgabe in jeder Umgebung erfüllen. Daher beobachte ich eine Unsicherheit bei meinen Hunden, wenn sie ihr "angestammtes Revier" verlassen, absolut nicht. Hunde, die ein solches Verhalten aber zeigen, sind entweder nicht richtig sozialisiert, oder diese Unsicherheit ist genetisch bedingt, oder diese Hunde haben zeitweise oder dauernd vor etwas Angst und die hat Gründe.

In meinen Augen haben Hirtenhunde einen "objektbezogenen" Wach- oder Schutztrieb, niemals aber einen territoriumsbezogenen. Das heißt, sie beschützen alles, was sie während ihrer Sozialisierung oder "Ausbildung" kennen gelernt haben. Ob dies Tiere, ein Grundstück, oder Haus, oder Menschen sind, ist absolut nebensächlich."

Letztendlich gehört zum Charakter der Hirtenhunde- Rassen, dass sie in der Regel keinen, oder einen nur sehr schwach ausgeprägten Jagdtrieb besitzen. Keine Regel ohne Ausnahme, denn den beiden türkischen Rassen Akbash und Kangal wird nachgesagt, sie seien einer gepflegten Jagd nicht abgeneigt. Die geringe Lust am jagen ist deshalb wichtig, weil die Hunde an der Herde bleiben sollen und nicht zu "Jagdausflügen" aufbrechen sollen.

Zusammenfassend würde ich den Charakter eines Hirtenhundes so beschreiben:

Ein ruhiger und ausgeglichener Hund mit einer hohen Reizschwelle, defensivem Verhalten und "seiner" Umwelt "sehr zugetan". Daher ist er entgegen aller Behauptungen nach einer guten Sozialisierung als Familienhund sehr wohl geeignet. Voraussetzung ist allerdings, dass man einen Hund bekommt, der aus einer verantwortungsvollen Zucht stammt, der also die richtigen Gene hat. Daher sollte man die Finger von Züchtern lassen, die mit Ausstellungsergebnissen prahlen.

Ein langes Leben und immer eine Aufgabe
Mastin Espanol
Foto: Marietta Eggmann

Hartmut Deckert


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